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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 11.04.2003 06:00

D-CHAB Forum
Bakterium hilft gegen Krebs

Mit neuen Konzepten für die Krebstherapie befasste sich am Mittwoch das dritte D-CHAB-Forum auf dem Hönggerberg (1). Vorgestellt wurden neue Methoden aus der Nuklearmedizin, der Radio-Onkologie und der pharmazeutischen Forschung. Interessant ist die Stoffklasse der Epothilonen, Naturstoffe, die gegen verschiedene Tumore effizient wirken.

Von Michael Breu

Wie bei vielen anderen Naturstoffen spielte der (kalkulierte) Zufall bei der Entdeckung eine wesentliche Rolle. Die Geschichte beginnt in den späten 1960er-Jahren. Forscher suchen intensiv nach neuen Medikamenten gegen Krebs. 1971 isolieren sie aus der Pazifischen Eibe (Taxus brevifolia) eine komplexe chemische Verbindung, das Taxol (2). Der Stoff wird zum Milliarden-Dollar-Erfolg; das Chemieunternehmen Bristol-Myers Squibb vermarktet das Produkt zur Behandlung verschiedener Tumore, vor allem gegen Eierstock- und Brustkrebs. Weitere Produkte folgen – etwa die „Taxotere“ von Rhône-Poulence Rorer. Doch ein Problem stellt sich schnell: Die Isolation des Naturprodukts aus der Pazifischen Eibe stösst an die Kapazitätsgrenze; es gibt schlicht zuwenig dieser Nadelbäume. Und den Stoff im Labor künstlich herzustellen, ist alles andere als einfach; die Struktur ist zu komplex. Die Forscher weichen deshalb aus und werden bei der Europäischen Eibe fündig; sie enthält eine dem Taxol verwandte Substanz. Dennoch: Die Herstellung von Taxol ist noch immer nicht effizient genug. Deshalb wird intensiv nach neuen Naturstoffen geforscht.

Computerberechnete Kalottenmodelle, Strukturformeln und Stabmodelle (v. links) des Epothilon A und B. Kohlenstoff: schwarz; Sauerstoff: rot; Stickstoff: blau; Schwefel: gelb; Wasserstoff: weiss. Bild: C.N.C. Boddy/Angewandte Chemie gross

Bakterium aus Südafrika

Das Team um Gerhard Höfle und Hans Reichenbach von der Gesellschaft für Biotechnologische Forschung in Braunschweig ist erfolgreich. 1987 isolieren sie aus dem Myxobakterium Sorangium cellulosum – sie haben es im Uferboden des Zambesi in Südafrika gefunden – die Stoffklasse der Epothilone und melden sie 1993 zum Patent an; als Medikament werden die gefundenen Verbindungen jedoch nicht weiterentwickelt. Etwa zur gleichen Zeit isolieren Wissenschafter von Merck in den USA unabhängig von der deutschen Gruppe das Epothilon A und B und finden heraus, dass die Substanzen gegen Tumore hoch wirksam sind und die Taxole um bis das Dreissigfache übertreffen. Ein Wettlauf um die Synthese beginnt, am schnellsten ist Samuel J. Danishefsky von der Columbia University (Totalsynthese 1996).

Das Epothilon-produzierende Myxobacterium: Wachsende Zellen (links) und Sporenkapseln. Bild: Hans Reichenbach gross

"EPO 906" in der klinischen Forschung

Doch nicht nur chemisch kann das Produkt hergestellt werden. Auch im Fermenter lässt sich das Myxobakterium vermehren und aus ihm die Epothilone isolieren. Diese Methode bevorzugt Karl-Heinz Altmann, Global Head of Chemistry bei Novartis und ab Juli 2003 Professor am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der ETH Zürich (als Nachfolger von Prof. Otto Sticher). „Die Novartis – damals noch Ciba Geigy – erhielt 1994 von Gerhard Höfle und Hans Reichenbach für Tests Substanzen, die wucherungshemmend und zytotoxisch wirken, darunter auch das Epothilon“, sagt Karl-Heinz Altmann. Schnell habe sich gezeigt, dass die Verbindung signifikant besser sei als viele der bekannten Krebsmedikamente und auch gegen multiresistente Krebszellen wirke. „EPO 906“, so heisst die Substanz bei Novartis intern, wurde deshalb im Juni 1999 in Phase-I-Tests erfolgreich geprüft. Derzeit befindet sich das potenzielle Medikament in Phase-II der klinischen Untersuchung.


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Epothilone stören die Zellteilung. Der Naturstoff wird als Tumortherapeutika getestet. Bild: Angewandte Chemie gross

Auch die Konkurrenz forscht intensiv an einer Anwendung der Epothilone. Hoffmann-La Roche untersucht ein Produkt in Phase-I, das Unternehmen Bristol-Myers Squibb zwei Produkte in Phase-II. Im Gegensatz zu Novartis wurden die Produkte bei beiden Pharmaunternehmen synthetisch hergestellt.

Eingriff in den Zellzyklus

Inzwischen haben Forscher herausgefunden, wie die Substanz wirkt. „Da sich Krebszellen häufig teilen, sind sie besonders anfällig gegen Substanzen, welche die Funktion der Mikrotubuli beeinträchtigen“, erklärt Karl-Heinz Altmann. Mikrotubuli sorgen im Zellzyklus als Spindelfasern für die ordnungsgemässe Trennung von Chromosomen auf jede Tochterzelle und sind ein wichtiger Bestandteil des Cytoskeletts. Normalerweise werden diese Fasern ständig auf- und abgebaut. Epothilone (wie auch Taxol) stören den Vorgang der so genannten Depolymerisation und hemmen deshalb die Zellproliferation. Der Name Epothilon ist übrigens von den chemischen Struktureinheiten abgeleitet; das Grundgerüst (ein 16-gliedriges Makrolid mit sieben Stereozentren) trägt die funktionellen Gruppen Epoxid, Thiazol und Keton (3).


„Selektiv zerstören“

Zur Bekämpfung von Krebs gibt es verschiedene Konzepte. Eine Übersicht zum aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung verschaffte das dritte D-CHAB-Forum, das am Mittwoch auf dem Hönggerberg stattfand. „In der Radio-Onkologie wird das Tumorgewebe bestrahlt“, erklärte Urs Martin Lütolf, Professor am Departement für Medizinische Radiologie des Zürcher Universitätsspitals. Dadurch soll der Zellzyklus gezielt gestört und die Apoptose (Zelltod) eingeleitet werden. „Die Strahlendosis wird dabei hyperfraktioniert“, sagte Lütolf, das heisst: „Mehrmals am Tag wird das krankhafte Gewebe mit kleinen Dosen bestrahlt.“ Ebenfalls teste das Universitätsspital neue Medikamente, die Tumore „aushungern“, so genannte Angiogenese-Hemmer. Erfolg versprechend sei das Produkt PTK 787/ZK 222584 von Novartis und Schering, das sich derzeit in Phase-II der klinischen Untersuchung befinde. Die Kombination von Zellzyklusblockern und Bestrahlung könne erreichen, dass sich während der Bestrahlung möglichst viele Zellen in der strahlungssensiblen Phase befinden.

Eine Übersicht über Radiopharmazeutika gegen Neuroblastome gab August Schubiger, Professor für Radiopharmazeutische Wissenschaften an der ETH Zürich, am Paul-Scherrer-Institut und am Zürcher Universitätsspital. Das Neuroblastom ist ein (seltener) Tumor, der das Nervensystem des Kleinkindes befällt. Mit radioaktiv markierten Antikörpern versucht das Team um August Schubiger, den Tumor „selektiv zu zerstören“.

Einen ähnlichen Weg mit einem anderen Ziel verfolgt Dario Neri, Professor für Biomakromoleküle am Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der ETH Zürich. Sein Team stellte eine ganze Palette von Antikörpern her, welche neu gebildete Tumor-Blutgefässe angreifen und verschliessen. Der radiomarkierte Antikörper L19 befindet sich in Italien und der Schweiz in klinischer Untersuchung; Ergebnisse der klinischen Studie mit den ersten zwanzig Patienten erschienen im Februar 2003 auf der Titelseite der Zeitschrift „Clinical Cancer Research“.

Wie die Diagnostik vereinfacht und Medikamente gezielt getestet werden können, erklärte Bernhard Wolf, Professor für Medizinische Elektronik an der TU München. Sein Team hat Zellen auf den Prüfstand gestellt und biophysikalisch untersucht. Entstanden ist ein Chip, der für Therapie und Diagnose eingesetzt werden kann. In etwa einem halben Jahr sollte er kommerziell erhältlich sein.




Fussnoten:
(1) Resultate des D-CHAB-Forums in der Hauszeitung „Molekül“: http://www.chem.ethz.ch/D-CHEM-Communications/index.html
(2) Pazifische Eibe: www.giftpflanzen.com/taxus_brevifolia.html
(3) Kyriacos C. Nicolaou et al.: „Chemie und Biologie der Epothilone“, Angewandte Chemie, 1998, 110, 2120-2153 (der Aufsatz wurde vor fünf Jahren eingereicht und gibt einen guten Überblick; er ist dem Chemie-Nobelpreisträger Elias J. Corey gewidmet, der heuer 75 Jahre alt wird): www3.interscience.wiley.com/cgi-bin/fulltext?ID=45000938



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