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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 18.06.2002 01:00

"Farewell Symposium" zum Rücktritt von Helga Nowotny
Was folgt?

Zum Abschluss ein grosses "Farewell Symposium", das noch einmal "ihre" Ideen versammelte und Protagonisten, die ihre Ära am Collegium Helveticum prägten. Die scheidende Leiterin Helga Nowotny lud gestern Montag zum Disput über "Trading Zones of Knowledge Production. What follows?" Der Antworten sind, wie sich zeigte, viele.

Von Norbert Staub

"Davon haben wir geträumt, als darüber nachgedacht wurde, was auf die Ära Paul Feyerabend folgen sollte", meinte ETH-Rektor Konrad Osterwalder zu Beginn des Symposiums beim Blick in den aus den Nähten platzenden Meridian-Saal im Collegium Helveticum (CH). Nämlich einen lebendigen "Marktplatz der Wissenschaft" zu schaffen, der aus dem Innern der ETH heraus das Gespräch anregen sollte - in alle Richtungen: in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, sowie zwischen Arriverten und Newcomern. Damit habe sich das Collegium unter Helga Nowotny eine Reputation geschaffen, die es vom "Nice to have" zu einem "Must" gemacht habe.

Zuwenig ETH-Alliierte

Davon ging auch Yehuda Elkana aus. Der Wissenschaftsphilosoph und gegenwärtige Rektor der Central European University in Budapest war seinerzeit einer der "Taufpaten" des CH. Dessen Gründung sei die Einsicht vorangegangen, dass der wachsenden Unübersichtlichkeit von wissenschaftlichen Theorien, Sprachen und Zielsetzungen – kurz: der Gefahr eines von schrecklichen Vereinfachern herbeigeredeten "Kriegs der Disziplinen" nur mit mehr sozialer Kompetenz seites der Forschenden selbst begegnet werden könne.

Die Suche nach Alliierten auf dem Weg zu diesem "Utopia" sei allerdings harzig gewesen, hielt Elkana deutlich fest. Manchen Ingenieuren und Naturwissenschaftlern gerade an der ETH mangle es anscheinend trotz so gigantischer Probleme wie dem Klimawandel, Aids oder einer möglichen globalen ökonomischen Krise hartnäckig an Einsicht, dass hier nur über alle Disziplinengrenzen hinweg Lösungen erarbeitet werden könnten. Dazu brauche es nicht zuletzt eine gehörige Portion Mut, denn wo Probleme universal werden, werde es das Engagement der Forscher ebenso – und unversehens fänden diese sich im politischen Kontext wieder. Umgekehrt, so Elkana selbstkritisch, hätten die Sozialwissenschaftler lange genug Daten gesammelt, diese interpretiert und erst dann die Mathematiker herbeigerufen, "etwas Ordnung in ihre Zahlenreihen zu bringen".

Untaugliches Vokabular?

Vor einer anderen Fehlentwicklung warnte der französische Wissenschaftshistoriker Dominique Pestre. Das sozialwissenschaftliche Durchleuchten der Wissensproduktion und ihrer vielfältigen Implikationen für die Menschen habe zwar Hunderte von Studien, aber kaum durchschlagende Einsichten gezeitigt. Zu bedenkenlos werde mit Grössen wie "Wissenschaft", "Gesellschaft" oder "öffentliches Interesse" operiert. Vielleicht müsse man sich, um etwa das angebliche "Misstrauen" breiter Kreise der (naturwissenschaftlich-technischen) Forschung gegenüber zu analysieren, zunächst auf ein konkreteres, nützlicheres Vokabular einigen, so Pestre. Auf der anderen Seite sei eben dieser Forschung, die sich als Expertensystem verstehe, immer noch zuwenig bewusst, dass sie (menschen-) rechtliche, finanzielle und moralische Zonen berühre, ergänzte Priska Gisler, Soziologin und Assistentin von Helga Nowotny.


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panel trading zones of knowledge
Das Abschieds-Symposium für Helga Nowotny umfasste vier Panels. Im Bild jenes zum Thema "History and Social Studies of Science". gross

Zunehmend also: Wissen als Machtfaktor? - Der englische Politologe Michael Gibbons jedenfalls sieht die Wissenschaftspolitik (Fokus: Entstehung des Wissens) immer mehr durch "Wissenspolitik" ersetzt (Fokus: Gebrauch des Wissens). Entsprechend seien nicht-wissenschaftliche Regulationsmechanismen im Vormarsch, die das Tun der Forscher kontrollieren.

Selbstregulierung: Pro und Kontra

Das gilt bekanntlich vor allem für die Biowissenschaften. Gegen diesen Trend verwahrte sich dezidiert Hauke Hennecke, ETH-Professor für Mikrobiologe: so hätten Physiker zuerst vor den Gefahren der Kernenergie gewarnt; ähnlich sei es neuerdings, entgegen den Vorhaltungen durch einzelne Politiker, beim Klonen und der Stammzellen-Diskussion gewesen. Die Forscher, so Hennecke, seien selbst am ehesten in der Lage, die Folgen – auch die negativen – ihrer Arbeit einzuschätzen. Diese habe mit dem Vordringen zum genetischen Erbe des Menschen radikal neue Dimensionen angenommen, erklärte der Biologe und Wissenschaftsphilosoph Hans-Jörg Rheinberger. Im Raum stehe die Frage nach den Grenzen des "Human Engineering" – wo liegen sie, wer definiert sie?

Warnung vor "Dinosauriern"

Darauf Antworten zu finden, ist und bleibt wohl die Rolle der Hochschulen. Der von vielen wahrgenommene "Rückstand" der europäischen auf die US-Institute beschäftigte eine Abschlussrunde, unter anderem den Politologen Björn Wittrock, den Unternehmer und Wissenschaftsmäzen Branco Weiss und Charles Kleiber, den Schweizer Staatssekretär für Wissenschaft. Dieser empfahl Schweizer Hochschulen, mehr miteinander zu kooperieren, um die "kritische Masse" für den Wettbewerb mit Spitzenuniversitäten in Übersee zu erreichen. Branco Weiss hingegen befürchtet, dass die europäischen Hochschulen trotz "Bologna" zu "Dinosauriern" werden, schwer beweglichen Gebilden mit langsamen und dazu wenig professionellen Entscheidprozessen.

"Jetzt noch nicht"

In ihrer Synthese knüpfte Helga Nowotny hier an und betonte, dass die Universitäten sich mit dem europäischen Forschungsraum auseinandersetzen sollten: "Die Hochschulen müssen ihre Rolle in diesem sich abzeichnenden Kontext finden, denn so oder anders: er kommt." Und wie geht es weiter für Helga Nowotny? – Sicher nicht ohne Arbeit, zumal auf besagter europäischer Ebene. Dazu zitierte die Vielbeschäftigte Augustinus, der über sein nicht ganz erfolgreiches Bemühen um Enthaltsamkeit sagte: "Weniger, aber jetzt noch nicht."




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