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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 27.01.2004 06:00

Untersuchungen zur Baumstabilität
Entwurzelt

Letzten Frühling versetzte ein ETH-Forscher Fichten am Uetliberg künstlich in Schwingung. Ende 2003 riss er sie um. Die ersten Hinweise deuten darauf hin, dass die Durchforstung für die Festigkeit der Bäume bedeutsam ist.

Von Christoph Meier

Pflegen oder nicht Pflegen, das ist eine wichtige Frage im Schweizer Wald. So heisst es einerseits im neuen Waldprogramm (1): „Der Wald schützt uns. Pflegen wir ihn.“ Zudem wird im Voranschlag des Buwals für 2004 erwähnt, dass Massnahmen gefördert werden sollen zur Verhütung und Behebung von ausserordentlichen Waldschäden, welche die Erhaltung des Waldes - insbesondere dessen Schutzfunktion - gefährden können. Andererseits sind die angespannten Finanzen auch im Forstbereich spürbar, so dass man mit möglichst wenig Waldpflege auskommen möchte. Doch nicht nur die Finanzierung ist ein Argument für reduzierte Eingriffe. Aktuelle Untersuchungen belegen, dass das Durchsetzungsvermögen einzelner Bäume grösser ist als angenommen und somit mit nur wenig Pflege stabile Bäume heranwachsen können.

Umgezogen

Was ist nun aber ein stabiler Wald? Diese Frage verfolgte der ETH-Forstingenieur Pierre Vanomsen der ETH-Professur für Waldbau (2) auf der Stufe einzelner Fichten. Letzten Frühling versetzte er verschiedene 1913 gepflanzte Fichten im ETH-Forstwald in Schwingung (3). Damit wollte er die dynamischen Bedingungen während eines Sturmes simulieren. Der Versuch wurde mit je vier Exemplaren in einem stark und schwach durchforsteten Waldteil durchgeführt. Das heisst, dass früher im ersten Fall mehr schlecht geformte Stämme dem Waldstück entnommen wurden als im zweiten, um den erwünschten Fichten mehr Wuchsraum zu bieten.

Entwurzelt und bereit zum Auswaschen: Wurzelballen einer Fichte. gross

Ende letzten Jahres ging Vanomsen erneut in den ETH-Forst. Dieses Mal rückte er den Fichten noch mehr auf den Leib: Er riss sie mit Hilfe eines Traktors um. Mit am Ort bei der Entwurzelungsaktion war auch das Team Baumstabilität (4) des eidgenössichen Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF). Es unterstützte mit der nötigen Messtechnik und seinem Know-how Vanomsens Umziehversuche. Für Versuchsleiter Holger Simon und seine Kollegen ergab sich dadurch die Gelegenheit, die mechanische Stabilität von Fichten auf dem Uetliberg mit Bäumen an subalpinen Standorten zu vergleichen. Bisher konnte das SLF-Team gleichartige Versuche in verschiedenen Wäldern der Landschaft Davos durchführen.

Für das Umreissen befestigten die Forscher das Zugseil auf einem Fünftel der Baumhöhe. Sie zogen mit einer Kraft von bis zu zwölf Tonnen. Dabei massen sie die Kraft, die nötig ist, bis der Baum umstürzt. Zeitgleich erhoben sie Daten zur Neigung und der Dehnung des Stammes. Anhand von Bildserien bestimmten sie auch die Biegelinie des Stammes, aus der sich weitere Materialkenngrössen ableiten lassen, sowie den Versagensdrehpunkt, um den sich der Baum beim Umstürzen dreht.


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Eine Fichte vor dem Fall: ETH und SLF Forscher bei Baumstabilitätsuntersuchungen am Uetliberg. gross

Unterschiede auf den ersten Blick

Obwohl die Wurzelstöcke noch nicht fertig ausgewaschen und auf ihren Verzweigungsgrad hin vermessen worden sind sowie die verschiedenen aufgenommenen Daten weiter analysiert werden müssen, erkennt Vanomsen doch schon Unterschiede zwischen den Fichten aus dem schwach und dem stark durchforsteten Waldstück. Hatte sich bereits letzten Frühling gezeigt, dass die Eigenfrequenz der Fichten im stark durchforsteten Stück tiefer ist, so fielen auch ihre durch das Umreissen an den Tag gekommenen Wurzelballen aus. Sie waren bis zu dreimal mächtiger als die Vergleichsexemplare. Vanomsen will seiner eigenen detaillierten Analyse nicht vorgreifen, doch wäre er überrascht, wenn sich diese Tendenz nicht auch an den anderen Parametern festmachen liesse.

Erwünscht: Bäume wie Stahlträger

Holger Simon kann auf den ersten Blick weniger Aussagen machen. Das liegt daran, dass die gemessenen Daten und die Bildserien erst genauer ausgewertet werden müssen. Eine Grössenordnung der Maximalkräfte von drei für die schwach- und zwölf Tonnen für die starkdurchforstete Fläche kann er dennoch bereits angeben. Als Bauingenieur wäre es ihm am liebsten, wenn sich Bäume wie Stahlträger verhalten würden. Doch da sich in Bezug auf diesen Aspekt die Natur nicht ganz Simons Vorstellungen beugt, arbeitet er zusammen mit seinen Kollegen an der Entwicklung von Simulationsmodellen (5), die Berechnungen der Interaktion einzelner Bäume und ganzer Bestände mit Naturgefahren ermöglichen sollen. Zur Kalibrierung dieser Modelle werden möglichst viele Daten aus Feldversuchen benötigt.

Zuerst weitere Daten durchforsten

Kann man aber nach der Entwurzelung der Fichten etwas zur Waldpflege sagen? Am Uetliberg scheint die Durchforstung die Bäume gefestigt zu haben. Viel weiter auf die Äste hinaus wollen sich die Wald-erprobten Simon und Vanomsen nicht wagen. Nach Abschluss dieser Studie seien noch weitere Untersuchungen nötig, um zu überprüfen, ob die ersten Hinweise auf einen Effekt der Durchforstung auf die Stabilität sich auf andere Standorte und ganze Wälder übertragen lassen. Denn die Forscher wissen: Acht Bäume machen noch keinen Wald.

Experten beurteilen die Entwurzelung: ETH-Professor Jean-Philippe Schütz, Matthias Kalberer vom SLF und ETH-Forstingenieur Pierre Vanomsen. gross


Fussnoten:
(1) Waldprogramm: www.waldprogramm.ch
(2) Professur Waldbau: www.fowi.ethz.ch/pwb/D_PROF/deutsch/index.htm
(3) Vgl. „ETH Life“-Bericht „Fichtenswing“: www.ethlife.ethz.ch/articles/fichtenswing.html
(4) Ein WSL Projekt aus dem Bereich Naturgefahren. Projektleiter: Tor Lundström (mailto: t.lundstroem@slf.ch)
(5) Vgl. Team Baumstabilität am SLF (www.slf.ch/lebensraum-alpen/treestability/welcome-de.html) insbesondere die Einzelbaum- und Bestandesmodellierung (www.slf.ch/lebensraum-alpen/treestability/versuche-de/modellierung-de.html)



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