ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
English Version English Version
Print-Version Drucken
Publiziert: 16.04.2003 06:00

Fichten–Swing

Wie wirkt sich die Durchforstung auf die Wurzelverankerung aus? Dieser Frage geht ein ETH-Forscher im Uetlibergwald nach, indem er Fichten künstlich in Schwingung versetzt. Die Ergebnisse sollen helfen, die Auswirkungen von Stürmen wie "Lothar" besser zu verstehen und ihnen vorzubeugen.

Von Christoph Meier

Am Anfang des Metzgerweglis in der Nähe der Haltestelle Uitikon Waldegg der Uetlibergbahn: Schaut man in das Kronendach, ist man irritiert. Eine einzelne Fichte schwingt mächtig hin und her, und der Rest der Bäume steht still. Rund hundert Meter weiter stösst man auf die Ursache des seltsamen Phänomens. Die verdächtige 40 Meter hohe Fichte ist auf vier Metern Höhe über ein Stahlseil mit einem servo-hydraulischen Zylinder verbunden, der das Seil regelmässig anzieht und so den Baum in Schwingung versetzt. Beträgt die Auslenkung beim Ansatz des Seiles zwischen fünf und zehn Zentimeter, sind es in der Krone doch mehrere Meter. Viel kleiner sind die Bewegungen in der Nähe des Stammes am Boden, wo die Wurzelplatte zu atmen scheint.

Von der Wurzel bis zur Krone

Den ganzen Spuk zu verantworten hat Pierre Vanomsen, Doktorand bei Jean-Philippe Schütz, ETH-Professor für Waldbau (1). Zusammen mit der EMPA (2) vermisst Vanomsen die Fichte in vielfältiger Weise: in 25 Meter Höhe ist ein in drei Achsen messender Beschleunigungsaufnehmer montiert, ein Meter über dem Boden befinden sich zwei Neigungsmesser, und an einem Stahlgestell rund um den Baum messen acht Wegaufnehmer die Wurzel- und Erdbewegung. Zudem führt ein Kabel in den Boden zu einem Mikrofon, das die Wurzelbrüche dokumentieren soll. Das dynamische Seilzugexperiment mit einer Zuglast von bis zu sechzehn Tonnen wird mit einem Gerät durchgeführt, das sonst von der EMPA in der Baustatik und Baudynamik eingesetzt wird.

Bringt die Fichten in Schwung: Der servo-hydraulischen Zylinder der EMPA mit der ganzen dazugehörigen Installation. gross

Heimspiel

Doch Vanomsen versetzt nicht nur eine Fichte in Schwingung. Er unterzieht je vier vergleichbare Exemplare in einem schwach und einem stark durchforsteten Waldareal der Prozedur. Dieser Durchforstungsversuch wurde bereits 1951 im Forschungswald durchgeführt. Die Bäume selbst stammen aus einem Bestand, der 1913 angepflanzt wurde. „Mein Ziel ist es, den Einfluss der Durchforstung auf die Wurzelverankerung und deren Resistenz gegenüber Wind zu untersuchen“, erläutert Vanomsen.


weitermehr

Der Fichtenschüttler: Pierre Vanomsen beobachtet bei einer seiner Fichten die Auslenkung am Boden. gross

Das „Heimspiel“ ist aber nicht nur wegen der bereits vorhandenen, unterschiedlich durchforsteten Areale ein Vorteil, sondern auch, weil Vanomsen die Bäume im Herbst für Wurzeluntersuchungen fällen wird, was in einem fremden Wald kaum möglich gewesen wäre.

Mit Eigenfrequenz getestet

Doch es gibt noch eine andere Besonderheit: Zum ersten Mal findet ein dynamisches Seilzugexperiment mit Bäumen in dieser Durchmesserklasse statt. Bis anhin wurden hauptsächlich statische Zugversuche durchgeführt, bei denen die Kräfte ermittelt wurden, die einen Baum umwerfen. Diese Kräfte, so Vanomsen, stimmen aber nicht mit den Kräften überein, die bei einem Sturm auf einen Baum einwirken. Der Sturmwind bläst ja nicht konstant, sondern er kommt in Böen. Diese versetzen die Bäume in Schwingung. Im Verlauf des letzten Jahres hat der Forstingenieur mit Beschleunigungsaufnehmern die Eigenfrequenzen seiner Fichten bestimmt. Sie liegen um 0.2 Hertz. Genau mit diesen Frequenzen regt Vanomsen nun die Bäume in der Hauptwindrichtung an. Mit dieser Anordnung hofft er, die dynamischen Bedingungen während eines Sturmes möglichst gut zu simulieren. Damit ist der Forstingenieur beim Hintergrund seiner Arbeit angelangt: Beim Sturm Lothar.

Den künftigen „Lothars“ trotzen

"Lothar" fegte Ende 1999 über die Schweiz, warf 13 Millionen Kubikmeter Holz und hinterliess eine Windschadensfläche von 46'000 Hektaren. Dadurch bietet sich auch heute noch eine Chance zur Verjüngung des Waldes, wie sie ohne den Sturm nie gekommen wäre. Dabei stellt sich aber die Frage, wie die Verjüngung geschehen soll, damit ein zukünftiger "Lothar" nicht mehr so viele Bäume flach legt. Eine Massnahme besteht in pflegerischen Eingriffen. Genau hier setzt Vanomsens Arbeit an. Falls sich herausstellt, dass eine Durchforstung auch zu einer grösseren Stabilität führt, dann wäre diese Pflegemassnahme zumindest für Fichten zu empfehlen. Das ist insofern von Bedeutung, als die Fichte der sturmgefährdetste und häufigste Baum in der Schweiz ist. Bis aber Empfehlungen gemacht werden können, werden die Fichten natürlich und künstlich noch eine Zeit lang in Schwung gehalten.


Literaturhinweise:
MTW wird am Donnerstag 24. April einen Beitrag zur ETH-Fichtenforschung ausstrahlen: www.sfdrs.ch/system/frames/highlights/mtw/index.html

Fussnoten:
(1) Professur Waldbau: www.fowi.ethz.ch/pwb/D_PROF/deutsch/index.htm
(2) Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt: www.empa.ch/



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!