ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 09.01.2004 06:00

Grössenänderungen bei Foraminiferen
Das Klima und die Grösse von Winzlingen

Je ausgeprägter die Temperaturschichtung in den tropischen und subtropischen Ozeanen ist, desto grösser werden die darin schwebenden Foraminiferen. Diesen Zusammenhang fanden ETH-Forschende heraus. Sie konnten damit zum ersten Mal nachweisen, wie die Grössenzunahme einer dominanten Einzellergruppe während der Erdneuzeit von der unbelebten Umwelt gesteuert wird.

Von Christoph Meier

„Im Wesentlichen geht es bei meiner Forschung um die Wechselbeziehung zwischen Organismen und der Umwelt“, meint Hans Thierstein. Der Professor für Mikropaläontologie an der ETH und Universität Zürich (1) untersucht dafür unter anderem Foraminiferen. Diese im Meer lebenden, einige 100 Mikrometer grossen Winzlinge bilden Gehäuse und sind aufgrund ihrer ungeheuren Formenfülle prädestiniert als Leitfossilien. Das heisst, sie eignen sich für die relative Altersbestimmung verschiedener Gesteinsschichten. Doch nicht nur bezüglich der Form sind die Foraminiferen sehr vielfältig, sondern auch in der Grösse.

Grösse bisher vernachlässigt

Der „triviale“ Parameter „Grösse“ wurde aber gemäss Thierstein bis jetzt kaum beachtet. Dies, obwohl die Grössenmessungen - im Gegensatz zu den Formbestimmungen - viel seltener von subjektiven Ansichten beeinflusst werden. Diesen Vorteil wollte der ETH-Forscher nutzen. Zusammen mit Mitarbeitenden entschloss er sich, die Grösse der im Meer schwebenden, also planktischen Foraminiferen vom Ende des Erdmittelalters vor 70 Millionen Jahre an bis heute zu messen und sie mit möglichen Umweltparametern in Verbindung zu bringen. Im Rahmen einer vom Schweizerischen Nationalfonds mitfinanzierten Dissertation analysierte die inzwischen an der University of London forschende Daniela Schmidt über 1000 Sedimentproben aus Tiefseebohrlöchern. Diese Proben standen von früheren wissenschaftlichen Expeditionen aus den Polargebieten bis in die Tropen zur Verfügung.

Die rund eine Million gemessenen Foraminiferengehäuse bedeuteten aber nicht unzählige schlaflose Messnächte für Daniela Schmidt, sondern waren das „Futter“ für das nur in Zürich vorhandene ALFA-Mikroskop (2). Dank dem Einsatz von automatischer Bildanalytik vermisst das motorisierte und rechnergesteuerte Gerät die Grösse der in Probenschalen gestreuten Foraminiferen. Dabei scheidet es auch Bruchstücke und andere Sandpartikel aus, da es Ecken und Kanten erkennt.

„Frechheit“ wurde belohnt

Thierstein gesteht ein, dass es einer gewissen akademischen Frechheit bedurfte, einfach die Foraminiferen auf grobem Niveau ohne Berücksichtigung der verschiedenen Arten zu vermessen. Doch die Resultate, die diese Woche im Wissenschaftsmagazin „Science“ (3) publiziert werden, demonstrieren, dass sich das Vorgehen lohnte. Als erstes fiel den Forschenden auf, dass die Grössenänderungen der Foraminiferen in den verschiedenen geographischen Breiten sich bis vor 42 Millionen Jahren ähnlich entwickelte. Danach aber kam es zu einer Grössenzunahme bei den Foraminiferen in den Tropen und Subtropen, die sich vor allem ab dem späten Miozän vor 12 Millionen Jahren akzentuierte.

Grössenzunahme der planktischen Foraminiferen während den letzten 70 Millionen Jahren. Die tiefen Breiten entsprechen den roten Quadraten, die hohen Breiten den blauen Dreiecken. gross


weitermehr

Verschieden grosse planktische Foraminiferen (rund 0.1 bis 1 mm Gehäusedurchmesser) aus einer Tiefsee-Sedimentprobe. (Präparation und Photographie: Ursi Brupbacher und Urs Gerber, ETH Zürich) gross

Dieser letzte Befund wies darauf hin, dass die Oberflächentemperatur der Ozeane nicht der Grund für die Grössenzunahme sein konnte. Denn seit dem späten Miozän nahm die Durchschnittstemperatur in mittleren und hohen Breiten ab, und in den Tropen wurde es auch nicht wärmer. In dieser Zone wurde aber in dieser Zeit durch die Abkühlung des polaren Tiefseewassers der vertikale Temperaturgradient in den tropischen und subtropischen Ozeanen stärker, was zu einer stärkeren Schichtung des Wassers führte. Die Wasserschichtung rekonstruierten die Forschenden anhand von Sauerstoffisotopen-Messungen an Kalzitgehäusen von Foraminiferen, die in verschiedenen Tiefen leben. Verglich man nun den Temperaturgradienten der Ozeane mit der Foraminiferengrösse, zeigte sich eine hohe Korrelation.

Das Klima als Evolutions-Motor

„Man kann sicher die Interpretation wagen, dass über die verschiedenen Temperaturgradienten das Klima eine treibende Kraft für die Grössenentwicklungen der Foraminiferen darstellt“, schliesst Thierstein aus der Studie seiner Gruppe. Biologische Faktoren wie Konkurrenz oder Parasiten scheinen in dieser Einzellergruppe eine weniger dominante Kraft der Evolution gewesen zu sein. Eine Frage, die mit der Studie nicht beantwortet werden könne, bleibe aber: Wieso führt ein grösserer Temperaturgradient zu grösseren Foraminiferen? Eine Vermutung von Thierstein ist, dass durch die Temperaturschichtung mehr Nischen entstehen, in denen sich verschiedene Foraminiferenarten optimal entwickeln können. So wie verschiedene Baumarten in verschiedenen Klimazonen ihre grössten Exemplare ausbilden, so könnten möglicherweise auch die Foraminiferenarten ihre Prachtsexemplare nur in einer bestimmten Temperaturnische ausbilden.

Mit weiteren Untersuchungen an lebend gefangenen Foraminiferen wollen die Forscher diese Nischenhypothese überprüfen. Zudem sollen auch die in der durchgeführten Studie verwendeten Foraminiferen weiter analysiert werden, beispielsweise auf die Grössenverteilung der verschiedenen Arten. Entsprechend sollen auch die Computerprogramme zur Formenerkennung weiter entwickelt werden. Denn freiwillig zurück zum Handauswerten will man verständlicherweise in Zürich nicht, da man hier bereits einmal die enormen Vorteile der maschinellen Methode erfahren hat.


Fussnoten:
(1) Gruppe Mikropaläontologie und Geophysiologie: www.erdw.ethz.ch/thierstein
(2) Informationen zum ALFA-Mikroskop:www.erdw.ethz.ch/mitarbeiter_web_zu.cfm?Mweb=174&ID_m=119&language=1
(3) D. N. Schmidt, H.R. Thierstein, J. Bollmann, R. Schiebel: „Abiotic Forcing of Plankton Evolution in the Cenozoic”, Science Jan 9, 2004.



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!