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Rubrik: Tagesberichte |
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Gespräch mit Ethik-Professor Hans-Peter Schreiber über den Hollywood-Thriller "GATTACA" “Es gibt keine Perfektion!“ |
Parallel zur Ausstellung "Der gespiegelte Mensch" (1) im Landesmuseum werden in einer Veranstaltungsreihe aktuelle Fragen der Gesellschaft an die biologische Forschung diskutiert. Heute Donnerstag gibt es dazu um 18:30 im Raum HG F 1 eine kostenlose Filmpräsentation des Hollywood-Thrillers "GATTACA" (2) mit einer anschliessenden Diskussion von Experten. Einer davon ist Hans-Peter Schreiber (siehe Kasten unten rechts), der im Interview mit "ETH Life" die Zukunft der genetischen Klassengesellschaft diskutiert. Von Anne-Laurence Klein und Jakob Lindenmeyer Herr Schreiber, wie hat Ihnen der Film "GATTACA" gefallen? Hans-Peter Schreiber: Die Filmhandlung als solche wirkte auf mich eher langweilig. Doch die Projektion futuristischer Bio-Techniken provoziert eine Reihe von Fragen, die für die Entwicklung der Medizin heute schon relevant sind. Wie wird sich die Medizin Ihrer Meinung nach denn verändern? Schreiber: Die traditionelle Medizin orientiert sich an engen Zielen wie Diagnose und Therapie. Durch das erweiterte Angebot biotechnischer Verfahren wird die moderne Medizin immer zieloffener und wandelt sich zunehmend zu einer Dienstleistungs-Medizin. Schon heute gehen “gesunde“ Menschen zum Schönheitschirurgen, konsumieren Lifestyle-Drugs (Viagra) oder steigern ihre Leistungsfähigkeit durch Doping. Die rasanten Entwicklungen neuer Medizintechniken erhöhen schliesslich die Erwartungen an diese Medizin, und vermehrt strebt man nach gesundheitlicher Perfektion. Geht das überhaupt? Nein. Das ist die grosse Illusion des Films "GATTACA" und vieler Zeitgenossen. Die dort empor gejubelte genetische Perfektion gibt es gar nicht. Es gibt auch keine genetische Normalität, sondern nur eine genetische Variabilität. Die Kombination unserer Gene ist zufallgesteuert und wir alle tragen viele Mutationen in unserem Genom. Genetische Normalität kann man nicht definieren. Vielmehr ist die bestehende genetisch bedingte Variabilität eine „normale“ Eigenschaft jeder Population. Trotzdem werden immer raffiniertere Diagnose-Technologien entwickelt, um ein "abnormales" Kind zu erkennen. Führt das nicht zu der im Film GATTACA angeprangerten Ausgrenzung von In-Validen? Trotz moderner Diagnose- und Fortpflanzungs-Technologien lässt sich keine Untergrabung der gesellschaftlichen Solidarität mit Behinderten beobachten. Die Entscheidung gegen die Geburt eines behinderten Kindes ist nicht zugleich eine Entscheidung gegen das Existenzrecht behinderter Menschen. In Ländern mit der weltweit besten sozialen Integration von Menschen mit Behinderungen, wie etwa in Schweden oder den USA, beobachten wir gleichzeitig auch eine hohe Akzeptanz sowohl der Präimplantations- wie auch der Pränatal-Diagnose. Darum sind nicht die Diagnose-Methoden zu verbieten, sondern die Gesellschaft ist aufzuklären.
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Sie würden also jeder neuen Technologie freie Bahn lassen? Auf keinen Fall. Es soll nicht alles gemacht werden, was machbar ist. Aber sobald wir etwas Neues können, müssen die bestehenden moralischen Schranken neu gezogen werden. Diese verändern sich permanent in einer Gesellschaft, die Innovation fördert und auf Neues aus ist. Allerdings trägt die Gesellschaft die Verantwortung zu informieren und im Rahmen von Gesetzgebungen müssen kollektiv verbindliche Regelungen gefunden werden, die allen eine grösstmögliche Freiheit garantiert. Sowohl bezüglich der Forschung, Verhütung, Diagnose, Abtreibung usw. Die eigene Freiheit wird dabei immer begrenzt durch die Freiheit des Andern. Wieviel Freiheit haben denn die internationalen Konzerne? Verantwortungsvolle internationale Konzerne verpflichten sich auf globale Standards, die fundamentale ethische Werten beinhalten. So etwa im „Global Compact“ des Generalsekretärs der UNO. Dabei geht es um die Selbstverpflichtung international tätiger Unternehmen, die Menschenrechte in all ihren Tätigkeitsländern umzusetzen. Ein grosses Problem dabei ist, dass die ethischen Standards in den verschiedenen Ländern und Kulturen natürlich stark differieren. Das macht die konkrete Umsetzung nicht gerade leicht. Aber die Global Compact-Philosophie müsste ein selbstverständlicher Teil jeder Unternehmenskultur werden. Je besser es einem Unternehmen geht, desto grosszügiger kann der soziale, ethische und ökologische Spielraum ausgestaltet werden. Nochmals Bezug nehmend auf den Film, so bedauere ich sehr, dass wir die durch ihn provozierten Themen und Probleme in unserer Gesellschaft viel zu kurz und oberflächlich debattieren, und zwar in der Regel nur vor Volkabstimmungen über bioethische und biopolitische Streitfragen (4).
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Literaturhinweise:
Fussnoten:
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