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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 07.04.2006 06:00

Modell für schnell verfügbare zelluläre Energie
Die Energie des Herzens

Das Herz ist verschieden grossen Belastungen ausgesetzt. Das bedingt eine enorme Flexibilität auf Ebene der Zelle: der Verbrauch und die Nachlieferung von Energie sowie die dabei involvierten Enzyme müssen rasch reagieren . Langjährige ETH-Forschung ermöglicht nun neue Einblicke, wie die Bioenergetik dabei orchestriert wird. Alte Dogmen geraten ins Wanken.

Christoph Meier

Das Herz ist ein spezielles Organ; nicht nur, dass es ein Muskel ist, der ständig arbeitet, sondern es kann auch seine Leistung massiv variieren. Im Schlaf und beim Hundertmetersprint – das Herz macht da – fast immer – mit. Diese Leistungsbreite geht natürlich Hand in Hand mit einem variablen Energieverbrauch, was sich beispielsweise an der Atemfrequenz leicht erkennen lässt. Schaut man nun aber in die Muskel- oder Herzzelle, steht man vor einem Paradox: Die Konzentration der zellulären Energieeinheit, des ATP, bleibt aber über einen weiten Leistungsbereich des Herzens sehr konstant. .

Was heisst das nun? Ist die Zelle fähig, ATP so schnell zu synthetisieren, dass es dem unterschiedlichen Energieverbrauch folgen kann? Oder gibt es noch andere Speichermoleküle? Und welche Moleküle kämen als Kandidaten in Fragen, um die Energieansprüche so schnell zu vermitteln? Ein ganzer Komplex an Fragen, mit dem sich auch ETH-Professor Theo Wallimann und sein Mitarbeiter Uwe Schlattner am Institut für Zellbiologie seit längerem beschäftigen (1). Ein mögliches Modell der Zusammenhänge präsentierten sie kürzlich zusammen mit Forscherkollegen aus Frankreich und den USA in einem Reviewartikel in der Fachzeitschrift „The Journal of Physiology“ (2).

Die Zelle ist nicht einfach ein Sack voller Enzyme

Auf die letzte Frage nach dem schnellen Botschaftenüberbringer gibt es in der Literatur eine häufige Antwort: Kalzium. Der Stoff ist sicher relevant, da die Kontraktion der Muskeln direkt von ihm abhängt. Zudem ist er sehr fein regulierbar. Trotzdem kann gemäss Wallimann Kalzium nicht alleine die Herzmuskeltätigkeit regulieren. Denn die Belastungsansprüche ans Herz variieren um einen Faktor von 20, doch die entsprechenden Kalziumkonzentrationsunterschiede können die erforderlichen Energieflüsse nicht auslösen. Zudem kann der ATP-Verbrauch verdoppelt werden ohne eine Änderung der Kalziumkonzentration.

Wie kommen jetzt aber die ETH-Forscher mit diesen Widersprüchen zurecht? „Die Ungereimtheiten basieren auf einer zu simplen Sichtweise“, erläutert Wallimann. Sie kommen zustande, wenn man die Zelle als einen im Innern unstrukturierten Sack auffasst, in dem der Austausch von Stoffwechselsubstanzen und Signalmolekülen wie in einer Suppe nur durch passive Vermischung stattfindet. Doch dieses langjährige Dogma hält immer weniger den neueren Forschungsergebnissen stand. Bereits in den 70er Jahren konnte Wallimann in der Gruppe von Professor Hans Eppenberger an der ETH zeigen, dass verschiedene Formen des Enzyms Kreatinkinase in verschiedenen subzellulären Kompartimenten vorkommen. Beispielsweise gibt es eine spezielle Kreatinkinase in den Mitochondrien, den ATP-Produktionsstätten. Das Enzym bewirkt eine Phosphorylierung von Kreatin; das heisst, es hängt eine Phosphorgruppe an diesen Stoff und macht ihn damit energiereicher.


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Wie die Energie in der Zelle fliesst: In den Mitochondrien (links) wird das energiereiche ATP produziert. Dieses übergibt seine Phosphatgruppe an Kreatin (Cr), das als schneller Träger die Energie in der Form von Phospho-Kreatin (PCr) zum Ort des Verbrauchs bringt (rechts). Kreatin wird durch einen spezielen Kreatin Transporter (CRT) in die Muskelzellen geschleust (Bild: Schlattner und Wallimann aus Saks et al. (vgl. Fussnote 2)) gross

Die Wechselwährung Kreatin

Weitere Forschungen, zu denen die Gruppe von Wallimann und Schlattner einen wesentlichen Beitrag lieferten, ergaben schliesslich ein erweitertes Energieversorgungsmodell der Zelle. In diesem spielt ATP immer noch eine wichtige Rolle, doch der schnelle Energiefluss benötigt auch die „Wechselwährung“ des Kreatins. So wird wohl in den Mitochondrien ATP produziert, doch dieses wird nicht direkt an den Ort des Verbrauchs gebracht, sondern es überträgt seine Energie mittels einer Phosphatgruppe auf Kreatin. Das so entstandene, energiereiche Phospho-Kreatin transportiert dann die Energie weiter und übergibt sie dort, wo Energiebedarf besteht, wiederum an ADP, das eine Phosphatgruppe weniger enthält als ATP, um dieses vor Ort zu regenerieren.

Das System mag kompliziert klingen, doch es hat Vorteile. So stellt das phosophorylierte Kreatin einen Energiepuffer dar, und zudem erhöht es aufgrund seiner Kleinheit die Geschwindigkeit der Energieübertragung. Weil Phospho-Kreatin im Gegensatz zu ATP und ADP, die mit einer Vielzahl von zellulären Enzymen und Strukturproteinen interagieren, metabolisch inert ist, eignet es sich besonders für einen verlustfreien Energietransport. Diese Eigenschaften zusammen mit der starken Strukturierung innerhalb der Zelle erklären auch, wie sehr schnell Energie beispielsweise in Herzmuskelzellen zur Verfügung gestellt werden kann und trotzdem über die gesamte Zelle betrachtet die ATP-Konzentration konstant bleibt.

Bewegung und zellulärer Energiestoffwechsel

Obwohl die Forscher damit besser verstehen, wie die Energieversorgung in der Zelle orchestriert wird, ist das Gebiet noch lange nicht ausgereizt. Die Gruppe von Wallimann beschäftigt sich nun vermehrt mit der Rolle des Enzyms AMP-aktivierte Proteinkinase (3)(4). Dieses Enzym ist als Energie-Sensor involviert in der Regulation des zellulären Energiestoffwechsels. Insbesondere registriert es, wenn ein Energiestress in den Zellen entsteht, sei es beispielsweise durch Unterversorgung mit Sauerstoff oder durch freie Radikale. Durch die Aktion von AMPK werden eine ganze Reihe von zellulären Stoffwechselwegen aktiviert, die unter anderen die Aufnahme von Glukose steigern und die Verbrennung von Fettsäuren aktivieren, um ein drohendes Energiedefizit zu kompensieren.

Die laufenden Forschungen betreibt die Gruppe im Rahmen des EU-Projektes „Exgenesis“, das die Mechanismen, die den positiven Effekten körperlicher Ertüchtigung zugrunde liegen, untersucht. Dabei erhofft man sich, neue Ansatzpunkte zur Bekämpfung des Übergewichts (Obesitas), Diabetes Typ 2 und dem Metabolischen-Syndrom zu finden. Denn damit der erhöhte Pulschlag bei sportlichen Leistungen tatsächlich gezielt genutzt werden kann, ist es von Vorteil zu wissen, wie sich körperliche Leistung in der Zelle auf den Energieverbrauch und den Abbau von Fett auswirkt.


Fussnoten:
(1) Forschungsgruppe von Theo Wallimann: www.cell.biol.ethz.ch/research/wallimann/
(2) Saks V et al: “Cardiac system bioenergetics: metabolic basis of the Frank-Starling law”. J Physiol. 2006 Mar 1;571(Pt 2):253-73.
(3) Die Mitglieder der Wallimann Gruppe, die sich mit verschiedenen Aspekten der Kreatinkinasen (CK) und der AMP-stimulierten Proteinkinase (AMPK) befassen sind: PD Dr. Uwe Schlattner, Dr. Dietbert Neumann, Dr. Malgorzata Tokarska-Schlattner, Dr. Marianne Suter, Dr. Isabelle Gerber, sowie die Doktorandene Roland Türk, Uwe Riek und Roland Scholz.
(4) Vgl. „ETH Life“-Artikel „Das bewegte EU-Projekt“: www.ethlife.ethz.ch/articles/news/euampkwallim.html



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