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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 08.03.2004 06:00

Bedeutung der Rekombination bei HI-Viren
Häufig „falsch“ rekombiniert

Die Immunschwäche-Krankheit AIDS ist und bleibt ein immenses globales Gesundheitsproblem. Das hängt auch mit der Resistenzbildung bei den HI-Viren gegen Medikamente zusammen. Bis jetzt wurde vermutet, dass dabei die Rekombination verschiedener Virengenome eine wichtige Rolle spielt. ETH-Forschende zeigen nun aber, dass die Rekombination die Resistenzbildung sogar verlangsamen kann und nur unter bestimmten Bedingungen begünstigt. Das wirft auch ein Licht auf die Frage, warum es Sexualität gibt.

Von Christoph Meier

AIDS ist immer noch ein Gesundheitsproblem mit riesigen Ausmassen. So trugen Ende 2003 gemäss der Weltgesundheitsorganisation rund 40 Millionen Menschen das HI-Virus in sich. Obwohl 1996 auf dem Welt-AIDS-Kongress in Vancouver die AIDS-Therapie als Revolution gefeiert wurde, ist mittlerweile Ernüchterung eingetreten. Das liegt nicht nur daran, dass in Regionen, wo die Therapie zur Verfügung steht, eine gewisse Sorglosigkeit bezüglich des Schutzes vor AIDS eingetreten ist, und in den restlichen Gebieten der Erreger sich immer noch rasant vermehrt. Mit ein Grund ist die Resistenzbildung der Viren gegen die Medikamente.

Frage nach Resistenzen und Rekombination

Doch wie entstehen Resistenzen, insbesondere gegen mehr als ein Medikament? Neben Mutationen hat das Kombinieren der HIV-Genome einen Einfluss. Dieser als Rekombination bekannte Prozess ist beim AIDS-Erreger möglich, da die Viren jeweils zwei Kopien ihres RNA-Genoms in ihrer Hülle enthalten. Kopieren sie ihre Erbinformation nach Befall einer Zelle, so wechseln sie häufig von einer Vorlage zu anderen. Sind nun die zwei Vorlagen verschieden, was als Folge eines Befalls einer Zelle durch mehr als einem Virus, einer Superinfektion, geschehen kann, so können zwei verschiedene Eigenschaften miteinander auf einem Genom verbunden werden.

Obwohl sich damit leicht nachvollziehen lässt, wie im Prinzip Mehrfachresistenzen in ein HIV-Genom kommen, gibt es keine Daten oder Schätzungen über den Effekt dieses Vorganges. Trotzdem spekulieren viele Wissenschaftler, dass die Rekombination ein entscheidender Faktor sein muss. Dieser Umstand war Sebastian Bonhoeffer, ETH Professor für theoretische Biologie (1), ein Dorn im Auge. Denn grundsätzlich kann die Rekombination nicht nur zu vorteilhaften sondern auch zu nachteiligen Kombinationen führen. Bonhoeffer entwickelte darum mit seinen Mitarbeitern ein mathematisches Modell, das die Rekombination integrierte. Er konnte damit in einer kürzlich publizierten Studie zeigen (2), dass der Einfluss der Rekombination überschätzt wurde, ja dass unter bestimmten Bedingungen dieses Rearrangieren des Genoms die Bildung von Resistenzen sogar verlangsamt.

Eine Frage der Epistasis

Für ihre Arbeit gingen die Forschenden von Genen mit je zwei Varianten aus. Eine davon war jeweils eine Resistenz gegen ein Medikament, die andere der Wildtyp. Dem Wildtyp wurde in Abwesenheit von Medikamenten ein höherer Fitnesswert zugesprochen. Für den Therapiefall traf das Gegenteil zu. In das Modell flossen auch Selektion, Mutation, Superinfektion und die Wechselwirkung zwischen den zwei Genen auf einem Genom ein. Die Wechselwirkung konnte positiv, neutral oder negativ sein. Entsprechend wurde von synergistischer, nicht vorhandener oder antagonistischer Epistase gesprochen. Eine synergistische Epistase bedeutete also, dass eine zweite Mutation auf einem Genom zu einer grösseren Fitnesseinbusse führt, als man erwarten würde.


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Untersuchen die Folgen der Rekombination in HI-Viren: Christian Althaus (rechts) und Sebastian Bonhoeffer. gross

Spielten die Forscher das Modell durch, zeigte sich, dass der Beitrag der Rekombination zur Entstehung von Viren mit Mehrfachresistenzen entscheidend von der Form der Epistasis abhängt. Rekombination erleichtert die Evolution von Resistenzen nur bei synergistischer Epistasis. Eine antagonistische verlangsamt diesen Prozess. Generell war der Einfluss der Rekombination unabhängig von ihrer Frequenz relativ schwach. Im Modell erhöhte eine Superinfektion ohne Therapie die Anzahl von doppelresistenten Viren, unter dem Druck von Medikamenten änderte sich die Situation ins Gegenteil. Dieser Befund spiegelt eine Besonderheit des Virus. Kommen nämlich in einer Zelle zwei verschieden fitte Viren durch Superinfektion zusammen, setzt sich die Hülle der neu entstehenden Viren aus Proteinen von beider Varianten zusammen, egal ob darin nur das Genom des Fitteren eingepackt wird. Das Genom des fitteren Virus leidet also in der Folge unter der Protein-Mitgift des weniger Fitten.

Therapie und „Warum Sex?“

Was sind nun aber mögliche Konsequenzen aus dem Modell der ETH-Forscher? Sebastian Bonhoeffer sieht vor allem zwei bedenkenswerte Aspekte. Der erste ist ein medizinischer. Falls es Genvarianten gibt, die antagonistisch aufeinander wirken, dann würde die Resistenzbildung gegen eine Medikamentenkombination, welche diese Gene begünstigt, durch Rekombination verlangsamt werden. Was hier aber fehlt, um konkret vorzugehen, sind Informationen, inwiefern bestimmte Mutationen in den HIV-Genomen synergistisch oder antagonistisch aufeinander wirken. Diese Frage will Bonhoeffer in der Zukunft anhand von Sequenzdaten von HI-Viren, die er bereits in grosser Zahl zur Verfügung hat, angehen.

Eine solche Analyse wäre aber nicht nur medizinisch interessant. Eventuell würde sie, und damit ist Bonhoeffer beim zweiten Punkt, auch einen Einblick in eine viel grundsätzlichere Frage geben: Warum gibt es überhaupt Rekombination? Denn das Modell von Bonhoeffer zeigt bei den HI-Viren in vielen Fällen, wie erwähnt, Nachteile für diesen Prozess auf. Trotzdem kann man aus evolutionärer Perspektive davon ausgehen, dass unter bestimmten Umständen der Erwerb der Rekombination einen Vorteil bieten muss. Findet man diese Bedingungen für die HI-Viren, dann gewinnt man vielleicht auch Einsichten in die Rekombination bei höheren Lebewesen. Auch wenn die sexuelle Reproduktion und somit die Rekombination weit verbreitet ist, so bleibt doch der Vorteil der Sexualität innerhalb der Evolution trotz vieler Theorien noch eine der grossen offenen Fragen in der Biologie.


Literaturhinweise:
Weiterer "ETH Life"-Bericht zur Forschung von Sebastian Bonhoeffer über HI-Viren "Mit Mathematik gegen AIDS": www.ethlife.ethz.ch/articles/MitMathematikgegenA.html

Fussnoten:
(1) Forschungsprojekte der Gruppe für theoretische Biologie: www.eco.ethz.ch/research/research_tb.html
(2) “Recombination in HIV and the evolution of drug resistance: for better or for worse?”, Bretscher MT, Althaus CL, Muller V, Bonhoeffer S, BIOESSAYS 26 (2): 180-188 FEB 2004



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