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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 09.05.2006 06:00

ETH2020: Hochschul-Kultur
Fast wie eine Familie

Lukas Lichtensteiger und seine Frau Vanja, ehemalige Mitarbeiterin der ETH und Doktorandin an der Universität Zürich, haben sich aufgemacht, um an der amerikanischen Eliteuniversität Harvard ihre akademischen Karrieren weiterzuführen. Lukas Lichtensteiger ist Postdoc in der Gruppe von Professor George Whitesides (1) im Department of Chemistry and Chemical Biology, Vanja Lichtensteiger arbeitet an ihrer Doktorarbeit in slawischer Literaturwissenschaft. In einem Interview mit „ETH Life“ erzählt Lukas Lichtensteiger, wie er die Kultur an der neuen Hochschule erlebt – und was die ETH mit Blick auf den laufenden Strategieprozess ETH 2020 davon übernehmen könnte. (2)

Interview: Peter Rüegg

Wie ist Ihr erster Eindruck von Harvard?

Schon der allererste Eindruck, den ich bereits von der Schweiz aus hatte, war sehr gut. Beeindruckt haben mich die unkomplizierte, rasche und kompetente Hilfe des "Lab-Administrators" meiner zukünftigen Forschungsgruppe und des "International Office", die uns von Visa-Formalitäten über Empfehlungsschreiben bis zur Wohnungssuche und Steueradministration unter die Arme gegriffen haben. Als ich dann in Cambridge eintraf, hat sich dieser positive Eindruck noch verstärkt.

Wie wird man denn als Ausländer und Neueintretender an dieser Eliteuniversität empfangen?

Der Empfang in Harvard war ausgesprochen warm und freundlich. Die gesamte Forschungsgruppe hat mich herzlich begrüsst, jede und jeder der gegen 50 Personen hat sich Zeit genommen, um mit mir im Detail über ihre Projekte zu sprechen. Ausserhalb der Forschungsgruppe wurden wir jedoch nicht speziell empfangen. Als Postdoc habe ich das eigentlich auch nicht erwartet.

Was unternimmt Ihre neue Hochschule für Ihre Integration?

Bei organisatorischen oder persönlichen Problemen war es für alle Gruppenmitglieder immer selbstverständlich, dem Neuling weiterzuhelfen. Zudem existiert ein breites Angebot an Integrationshilfen, und das "International Office" führt regelmässig Einführungsveranstaltungen für Ausländer durch. Meine Frau Vanja, die hier für ihre Dissertation an der Universität Zürich arbeitet, kann von einem breiten Angebot an Dienstleistungen und Veranstaltungen für die Ehepartner von Harvard-Angehörigen profitieren. So erhielt sie beispielsweise kostenlos Zugang zur Harvard Library, der grössten Universitätsbibliothek der Welt, ein "Geschenk“ im Wert von 750 US$ pro Jahr.

Wie beurteilen Sie die Kultur in Harvard, zum Beispiel in Bezug auf das Diskussions- und Arbeitsklima?

Obwohl ich nur über die Situation in der Forschungsgruppe von Professor Whitesides sprechen kann, scheint mir das ein wichtiger Teil des Erfolgsgeheimnisses der Amerikaner zu sein: Es wird viel mehr kommuniziert als an einer Schweizer Hochschule. Es ist - auch an Harvard - keine Schande, etwas nicht zu wissen. Wenn das eigene Know-how nicht ausreicht, wendet man sich viel schneller an die gesamte Gruppe und kommt so als Team viel besser voran. Dementsprechend steht auch das Teamwork im Vordergrund.

Geht das überhaupt, echten Teamgeist in einem solch kompetitiven Umfeld zu entwickeln? Gibt es denn keine Konkurrenz unter den Gruppenmitgliedern?

Die Gruppe geht mit fremden Ideen sehr respektvoll um, und es herrscht absolute Transparenz. Das empfinde ich als sehr angenehm. Nie hatte ich das Gefühl, eine gute Idee besser für mich behalten zu müssen. Das spiegelt sich auch in der flachen Hierarchie innerhalb der Gruppe: Postdocs, Doktoranden, Studenten oder Praktikanten - alle sind einander gleich gestellt. Was zählt, sind die guten Ideen und die Fähigkeit, sie gemeinsam mit den andern umsetzen zu können.

Und wie verhält sich ein Professor in einem solchen Gefüge?

Der Professor ist natürlich der alleinige Chef: Er ist für die "Qualitätskontrolle" verantwortlich. Jede Arbeit durchläuft gegen zehn Diskussions- und Korrekturzyklen mit ihm, bevor sie zur Publikation eingereicht wird. Ausserdem bin ich immer wieder fasziniert von der Vielfalt, Originalität und schieren Menge seiner eigenen Forschungsideen. Dazu kommt noch ein wichtiger Punkt, der vielleicht für Schweizer am Anfang ein bisschen ungewohnt ist: der unermüdliche Wille zur PR in eigener Sache. Unser Professor betont oft und offen, wo wir die Besten sind, und alle Aktivitäten sind immer darauf ausgerichtet, Weltspitze zu sein.

Wie würden Sie die Kultur auf dem Campus beurteilen?

Was in der Forschungsgruppe beginnt, gilt auch für die ganze Universität: Man fühlt sich hier ein bisschen wie in einer Familie. Die Bereitschaft zur Zusammenarbeit und Kommunikation mit anderen Gruppen und Fakultäten ist sehr gross, auch wenn hier gelegentlich Konkurrenz und Wettbewerb hinzukommen.


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Lukas Lichtensteiger auf dem Campus der Harvard University in Cambridge, USA: "Der Empfang in Harvard war ausgesprochen warm und freundlich." (Bild: V. Lichtensteiger) gross

Wie lebt die Verwaltung diese Kultur?

Die Verwaltung und die Dienstleistungsbetriebe von Harvard haben mich sehr positiv überrascht. Dies im Gegensatz zu Zürich, wo ich manchmal den Eindruck bekommen habe, dass sich die Verwaltung oft als eigentliche Herrin der Hochschule sieht und die Forscher - je nach akademischem Grad - als mehr oder weniger ernst zu nehmende Bittsteller betrachtet. In Harvard ist es so, dass sich die universitären Nebenbetriebe klar als Dienstleister für die akademische Welt verstehen, und auch noch "dem kleinsten Studenten" freundlich, schnell und unkompliziert zur Verfügung stehen. Dank der sehr guten Unterstützung wird damit auch der persönliche administrative Aufwand erträglich - die Amerikaner scheinen Bürokratie und Formulare ja fast noch mehr zu lieben als die Schweizer.

Wie steht es um die Studentenkultur?

Dazu kann ich als Postdoc nicht viel sagen. Ich denke aber, dass allein die Tatsache, dass fast alle Studierenden in hochschuleigenen Unterkünften auf dem Campus wohnen, für ein lebhafteres Gemeinschaftsgefühl und stärkere soziale Interaktion sorgt. Auf der anderen Seite ist die Arbeitsbelastung der Studierenden auf allen Stufen sehr hoch.

Wie - wenn überhaupt - nimmt man die ETH in Harvard wahr?

Die ETH Zürich hat auch in Harvard einen sehr guten Ruf: "Zürich" ist den Leuten ein Begriff. Die Qualität der Studierenden und Dozierenden an der ETH ist meiner Meinung nach mit Harvard durchaus vergleichbar; ich denke, dass deshalb an der ETH auch keine zusätzlichen Selektionsmassnahmen nötig sind. Auch auf die Qualität ihrer Infrastruktur kann die ETH stolz sein.

Mit Blick auf den Zukunftsprozess ETH2020: Welche Massnahmen zur Verbesserung der Hochschulkultur würden Sie der ETH aufgrund Ihrer neuen Erfahrungen in den USA empfehlen?

Was mich in Harvard positiv überrascht hat, ist die grosse Flexibilität, zum Beispiel bei Alterslimiten. Ausserdem sollte die ETH versuchen, ein noch breiteres Spektrum von ausländischen Studierenden anzuziehen, zum Beispiel auch aus asiatischen Ländern. Wenn nötig, könnte die ETH dazu die Vorlesungssprache auf Englisch umstellen und Ausländern Finanzierungsmöglichkeiten anbieten. Nach dem Vorbild von angelsächsischen Universitäten würde ich der ETH mehr Assistenzprofessorenstellen (tenure-track) empfehlen; das verbessert die Karrierebedingungen des Mittelbaus und verstärkt das Betreuungsverhältnis. Die Idee einer speziellen "Graduate School" für eine stärkere Einbindung der Doktorierenden finde ich sehr gut. In Harvard wird das bereits sehr erfolgreich gemacht. Immer wieder beeindruckt mich in Amerika auch das entspannte Verhältnis zu privaten Sponsoren. So ist an der Harvard University fast jedes Gebäude nach einem privaten Geldgeber benannt. Auch die Gründung von Spin-off-Unternehmen ist hier ein natürlicher Prozess: Obwohl unsere Forschungsgruppe Grundlagenforschung betreibt, prüft die Technologietransferstelle der Universität automatisch jedes unserer Papers vor der Publikation auf Patentierbarkeit.


ETH 2020 - Die nächsten Schritte

Seit dem 9. März werden die Ziele und Massnahmen des ETH 2020-Prozesses bei den einzelnen Departementen, Infrastrukturbereichen und Hochschulgruppen zur Diskussion gestellt. Bis zum 7. Juli sollen diese Konsultationen mit je einer schriftlichen Stellungnahme dieser Bereiche abgeschlossen sein. Bis zum diesem Datum läuft auch die ETH-weite Diskussion im Weblog ETH 2020 (www.eth2020.ethz.ch). Die Ergebnisse dieser Etappe sollen in die weiteren Planungsarbeiten einfliessen. Am 16. August wird die Schulleitung die anvisierten Ziele in einem Beschluss festhalten. In der zweiten Jahreshälfte sollen konkrete Massnahmen geplant und ein Umsetzungsprogramm erarbeitet werden.




Fussnoten:
(1) Website der Arbeitsgruppe von Prof. Whitesides: http://gmwgroup.harvard.edu/
(2) Website Strategieprozess ETH2020 (nur mit Zugriffsberechtigung): www.eth2020.ethz.ch



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