www.ethlife.ethz.ch    
ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuftETH Life - wissen was laeuftETH LifeDie taegliche Web-Zeitung der ETHETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuftETH Life - wissen was laeuft


Rubrik: Tagesberichte

Kreativität in der Chemie
Eine Fahrt ins Blaue

Published: 02.10.2003 06:00
Modified: 01.10.2003 16:59
druckbefehl
Der emeritierte Chemie-Professor Dieter Seebach wurde mit dem „Tetrahedron Prize for Creativity in Organic Chemistry“ ausgezeichnet. Dank der „Lex Wüthrich“ führt er als erster ETH-Chemiker auch nach der Pensionierung ein kleines Labor – auf eigene Kosten. Ein Porträt.



Von Michael Breu (mailto:breu@cc.ethz.ch)

Der Rotstift hatte schon angesetzt um die beschlossenen Sparmassnahmen umzusetzen. Nach 1976, so die Pläne der ETH, sollte eine Professur am Laboratorium für Organische Chemie gestrichen werden. Die Royal Swedish Academy of Science durchkreuzte die Pläne – der Nobelpreis für Chemie ging 1975 an ETH-Professor Vladimir Prelog „für seine Arbeiten über die Stereochemie von organischen Molekülen“. Ein Jahr später emeritierte der in Sarajewo aufgewachsene Prelog, und die ETH krebste zurück: Die Professur sollte erhalten bleiben; ein neuer Professor wurde gesucht.

„Vieles passiert einfach“, sagt Dieter Seebach, „es ist wie in der Forschung“. In seinem Fall war’s ein Anruf aus Zürich, der ihn an der Justus-Liebig-Universität Giessen an seinem Lehrstuhl erreichte. Dieter Seebach sagte zu und wurde ETH-Professor für Organische Chemie. Ende März 2003 ging nun auch Seebach in Pension (1) . Zumindest was die Professur anbelangt. Denn der hoch dekorierte Chemiker führt noch immer ein Labor, hält Gastvorlesungen wie derzeit in Harvard und reist mehr von Kongress zu Kongress als je zuvor. Sein Posten auf dem Hönggerberg wurde wieder besetzt – von Peter H. Seeberger, einem mehrfach für seine Forschung ausgezeichneten Zuckerspezialisten (2) .

„Forschung passiert einfach, es ist wie eine Fahrt ins Blaue.“ Seebach wiederholt den Satz im Gespräch mehrfach und unterstreicht ihn, indem er mit der Hand einen virtuellen Strich durch die Luft zieht. „Ich habe mich immer vom Experiment leiten lassen; es ist alles aus dem Experiment geboren“, sagt er. „Man kann viel arbeiten, doch der Zufall spielt immer eine wichtige Rolle.“

Nicht Theologie sondern Chemie

In Seebachs Fall beginnt die Karriere im Elternhaus in Karlsruhe, wo er am 31. Oktober 1937 geboren wurde. „Mit dreizehn Jahren habe ich mit dem Experimentieren angefangen. In der Waschküche durfte ich ein Labor einrichten, und ein befreundeter Drogist hat mich mit Chemikalien versorgt.“ Seebach lehnt sich in seinem Stuhl zurück und faltet die Hände. Sein Gesichtsausdruck verändert sich: Über das sonnengebräunte Gesicht huscht ein schelmisches Lächeln; so mag er ausgesehen haben, als er als Knabe freudig das Ergebnis seiner Experimente beobachtete. Zum Beispiel die selbst hergestellten Knallkörper oder die feinen Blitze, die sich bilden, wenn man Kaliumpermanganat in ein Reagenzglas schüttet, das Schwefelsäure und Benzin enthält. „Meine Eltern waren sehr aufgeschlossen und haben mich machen lassen. Das heisst nicht, dass sie ihrer Verantwortung nicht nachkamen. Mein Vater, Professor für alte Sprachen, hat mich sehr unterstützt.“ Unterstützung fand er auch im Gymnasium von seinem „hervorragenden Chemielehrer“, der bewirkte, dass aus Seebach nicht ein Theologe sondern ein Chemiker wurde und später von Rudolf Criegee an der Universität Karlsruhe, bei dem er studierte (3) . Von Criegee stammt auch Seebachs Lieblingszitat: von der Forschung, die passiert, „der Fahrt ins Blaue“. „Die Zeit bei Rudolf Criegee war streng“, erinnert sich Seebach. „Er hatte die Maxime: Alles Gute setzt sich durch. Deshalb gab es bei ihm keine Vorschusslorbeeren. Man musste sich alles hart erarbeiten.“

Eine völlig neue Welt der Chemie: Beta-Peptide als potentielle Medikamente.

Umpolen: Ein deutsches Wort in der englischen Fachsprache

Wäre der Zweite Weltkrieg nicht dazwischengekommen, Criegee hätte mit Sicherheit den Chemie-Nobelpreis erhalten. Der damals weltbekannte Forscher beschäftigte sich vor allem mit der Ozonolyse, der mehrstufigen Aufspaltung von Kohlenstoff-Doppelbindungen unter der Einwirkung von Ozon. Die Arbeit mit Criegee brachte Seebach nach seinem Diplom (1961) und seiner Dissertation (1964) an die Harvard University in Cambridge zu Professor Elias James Corey, dem Tausendsasa der Organischen Chemie und späteren Nobelpreisträger (1990). Mit ihm zusammen beschrieb er einen neuen Reaktionstyp, der heute als Corey-Seebach-Reaktion in jedem Fachbuch nachzulesen ist (dabei wird ein Aldehyd durch Umpolung in ein Keton überführt). Als Seebach vor drei Jahren den Marcel-Benoist-Preis erhielt, hielt die Jury in der Begründung fest: „Sein Konzept der 'Umpolung’ ist sogar unter diesem deutschen Namen als Fachausdruck von der englischen und französischen Wissenschaftssprache übernommen worden.“

Dieter Seebach: Forschung ist wie eine "Fahrt ins Blaue".

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland habilitierte sich Seebach in Karlsruhe und folgte 1971 – 34-jährig – dem Ruf an die Justus-Liebig-Universität Giessen. „Eine Ehre“, sagt Seebach, denn von Liebig, dem Begründer der modernen Chemie hält er sehr viel. Deshalb hielt Dieter Seebach auch die Eröffnungsrede zum „Jahr der Chemie“, welches das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung in diesem Jahr ausgerufen hat; im Mittelpunkt steht Liebigs 200. Geburtstag. Justus Liebig und Dieter Seebach – eines ist ihnen gemeinsam: die Liebe zum Experiment. Das ist mit ein Grund, weshalb die Gesellschaft Deutscher Chemiker den emeritierten ETH-Professor mit der August-Wilhelm-von-Hofmann-Denkmünze auszeichnete, die höchste Anerkennung der Standesorganisation für einen Chemiker, der nicht in Deutschland tätig ist.

Der Telefonanruf aus Zürich

Schon während seiner Tätigkeit in Giessen zog es Seebach immer wieder in die USA. An der University of Wisconsin, Madison, und am California Institute of Technology, Pasadena, war er Gastprofessor, und an 15 weiteren Universitäten hielt er Lectures, die vom Chemiemulti „DuPont“ ermöglicht wurden. Dann folgte 1976 der Telefonanruf aus Zürich – Dieter Seebach nahm das Angebot an und wechselte 1977 als Nachfolger von Vladimir Prelog an die ETH. Hier in der Schweiz prägte er die chemische Forschung – 728 Publikationen, teilweise mit Zitationsraten von über 650 Punkten, über 20 Patente und eine Reihe wichtiger Forschungspreise brachte er nach Zürich. Jüngst hat er den angesehenen „Tetrahedron Prize for Creativity in Organic Chemistry“ erhalten, eine der wichtigsten Auszeichnungen für den synthetischen Chemiker.

Hier schliesst sich ein weiterer Kreis: Den angesehenen Preis hat schon Elias J. Corey erhalten, bei dem Seebach sein Postdoktorat absolvierte, Albert Eschenmoser, mit dem er an der ETH zusammenarbeitete und K. Barry Sharpless, der stark von Rudolf Criegees Arbeiten beeinflusst wurde und nur „dank ihm“ 2001 den Nobelpreis erhalten hat, wie er vor einem Jahr an der Gedenkveranstaltung zu Criegees 100. Geburtstag in Karlsruhe sagte.

Ein Labor auf eigene Kosten

Inzwischen ist es um Dieter Seebach etwas ruhiger geworden. Seit Ende März 2003 ist er pensioniert. Zumindest was die Tätigkeit als Chemie-Professor anbelangt. Zwar nimmt sich Seebach für seine drei Enkelkinder Nora, Clara und Maximilian mehr Zeit als damals für seine eigenen Kinder Jörg, Lutz und Petra – „Meine Frau Inge sagt: Für dich kommt an erster Stelle die Chemie, an zweiter das Labor und dann lange nichts mehr. Irgendwann kommt dann die Familie“ –, schwimmt wieder regelmässig am Morgen mehrere Bahnen und widmet sich vermehrt seinen Hobbys (schnelle Autos, Bordeaux-Weine). Dennoch: Im Labor trifft man ihn immer noch täglich. Denn Seebach führt noch immer eine kleine Gruppe und forscht nach Beta-Peptiden, die als „Alleskönner“ einst die Pharmakologie revolutionieren könnten. „Die Geschichte der Entdeckung der Beta-Peptidwelt ist ein Paradebeispiel dafür, dass man wichtige Ergebnisse der Forschung nicht planen, nicht vorhersehen oder vorhersagen kann“, schrieb Seebach vor zwei Jahren im „Bulletin der ETH Zürich“, seinem ersten und einzigen populärwissenschaftlichen Artikel (4) .

Hier ist es wieder, das Zitat. Es ist prägend. Auch das Fachmagazin „Chemical & Engineering News“ hat es aufgegriffen und 1999, nach der Verleihung des Roger-Adams-Award der American Chemical Society, den Zürcher Forscher sogar im Editorial gewürdigt (Überschrift: „Eine Fahrt ins Blaue“). Auch in „Synthesis“ und „Chimia“ kommt es vor. Das Magazin „Synthesis“ widmete Seebach zum 65. Geburtstag eine Sondernummer, „Chimia“, das Magazin der Schweizerischen Chemischen Gesellschaft, einen mehrseitigen Beitrag (5) , „Helvetica Chimica Acta“ gar ganze drei Hefte.

Der Nobelpreis fehlt noch

Ein Preis fehlt Seebach noch, am 8. Oktober wird er vergeben: der Nobelpreis für Chemie. Der emeritierte Professor ist zurückhaltend, über den Nobelpreis spricht er nicht gerne. „Ich habe noch nie von einem Preis geträumt, es ist immer passiert. Und wenn ich Träume, dann von chemischen Reaktionen.“ So lenkt er das Gespräch wieder zurück, zurück zum Experiment, zurück zur Chemie. „Die Pensionierung ist ein ernsthafter Einschnitt in das Leben als Forscher. Heute habe ich nur noch ein kleines Labor für sechs Personen und muss alle Mittel selbst erwirtschaften. Früher leitete ich eine Gruppe von mehr als dreissig Wissenschaftern. Das ist für mich eine neuen Situation.“ Zuerst überlegte sich Seebach, in die USA auszuwandern und dort an einem Institut weiter zu arbeiten – „mir lagen mehrere Angebote vor“ – doch das Entgegenkommen der ETH liess ihn in Zürich bleiben (die „Lex Wüthrich ermöglicht es herausragenden Forschern, weiterhin von den Hochschulen beschäftigt zu werden). „Solange das Feuer noch brennt, arbeite ich weiter“, sagt Seebach. „Ich hoffe, das Feuer brennt noch lange.“

Footnotes:
(1 Porträt Prof. Dieter Seebach: www.chab.ethz.ch/personen/emeritus/seebach und http://infosee.ethz.ch/seebach/seebach.html
(2 Departement Chemie und Angewandte Biowissenschaften: www.chab.ethz.ch/
(3 „Forschen – eine Fahrt ins Blaue“, Unikath 2/2002: www.uni-karlsruhe.de/~presse/Veroeffentlichungen/Unikath/Unikath02/2_02/seite71.pdf
(4 „Neue Molekül-Welten mit Beta-Peptiden“, Bulletin der ETH Zürich, Nr. 282, September 2002: www.cc.ethz.ch/bulletin/
(5 „Dieter Seebach: Taking a magical mystery tour“, Chemical & Engineering News, 1999 July 26th, 77, 46-47; “Special Issue Dedicated to Dieter Seebach”, Synthesis, 2002, 14, 1945 ff.; “A Life for Organic Synthesis – Dieter Seebach at 65”, Chimia, 2002, 54, 576-783


Copyright 2000-2002 by ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zurich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
ok
!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!