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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 03.02.2005 06:01

Symposium zum Informationsmanagement in der Wissenschaft
Bibliotheken im Dilemma

Wissenschaftliche Bibliotheken stehen vor bislang nicht gekannten Herausforderungen: Ein sprunghafter Anstieg der Zahl der Periodika-Titel als auch von deren Kosten bringt sie in finanzielle Nöte. Eine galoppierende Digitalisierung führt dazu, dass die Nutzung sich hin zum Arbeitsplatz der Nutzer fragmentiert. Und der Ausgang des Seilzeihens um einen kostenfreien Zugang zu Journalen ist ungewiss. Ein zweitägiges Symposium der ETH-Bibliothek suchte Licht ins Dunkel der kommenden Entwicklungen zu bringen.

Norbert Staub

„Informationsmanagement in Wissenschaft und Technik.“ – Im Titel des gut besuchten, aus Anlass des ETH-Jubiläums organisierten Symposiums von Ende vergangener Woche im ETH-Audimax kam das Wort „Bibliothek“ nicht vor: Ein Hinweis darauf, dass die Vorstellungen vom Wissen, das in ehrwürdigen Bücherarchiven eingelagert ist, schon heute nur noch die halbe Wahrheit sind. So verfügt die ETH-Bibliothek über einige Millionen physischer Dokumente, und noch einmal über einige Millionen elektronischer Datensätze.

Zukunfts- und Vergangenheitsmaschinen

Grundsätzliches dazu sagte einer, der sich in diesem Rahmen als „bunten Hund“ bezeichnete: Der Zürcher Literaturwissenschaftler Peter von Matt meinte, Bibliotheken hätten immer schon mehr dargestellt als die Summe ihrer Bücher. Stets nah bei Tempeln und Klöstern, habe das gesammelte Wissen bei früheren Autoritäten eine ans Mythische grenzende Bedeutung eingenommen. Bibliotheken, so von Matt, hätten die unlösbare Aufgabe, gleichzeitig gegen und für die Zeit zu arbeiten: als Bewahrerinnen des Wissens zum einen und als deren Triebfeder zum anderen. Bei all den Debatten über den wohl unvermeidlichen Weg der Bibliotheken von den „Papierburgen in die Virtualität“ sei dies zu beachten: Es liege in ihrer Natur, nicht nur als „Zukunfts-“, sondern auch als „Vergangenheitsmaschinen“ zu fungieren.

Nun dürften über kurz oder lang gerade Forschungsbibliotheken noch entschiedener zu Grossportalen mutieren, welche Wissenschaftlern online schnellen, differenzierten und umfassenden Zugang zu digitaler Information eröffnen und die entsprechenden Dienstleistungen bieten. Einen Eindruck davon vermittelte bereits Manuel Peitsch, Chef des Knowledge-Managements bei den Novartis-Forschungsinstituten. Der Pharmakonzern bietet seinen Forschenden totale Vernetzung und einen direkten Zugang auf die Inhalte selbst, losgelöst vom Buch oder vom Journal.

Rettende Netze der Kooperation

Den Bibliotheken bereitet dieser Trend einiges Kopfzerbrechen: Denn angesichts der Möglichkeit, Information via Server digital weitgehend zu zentralisieren, gerät die einzelne Bibliothek unter Rechtfertigungsdruck. Engste Zusammenarbeit der Bibliotheken sei daher essentiell, sagte Sir Brian Follett, Zoologie-Professor in Oxford und Berater der englischen Regierung in Fragen der Versorgung mit wissenschaftlicher Information.

In Grossbritannien wurde deshalb kürzlich das Research Libraries Network (RLN) mit dem Ziel gegründet, die Zusammenarbeit wissenschaftlicher Bibliotheken zu intensivieren und zu koordinieren. Das RLN müsse sich nun etwa mit Fragen des Zugangs zur Information, der Digitalisierung bestehender Texte und übergeordneter „Discovery Tools“ auseinandersetzen, bei denen Google, ob geliebt oder nicht, zur treibenden Kraft aufgestiegen sei. In der Schweiz erfüllt übrigens seit 2000 das an der ETH-Bibliothek angesiedelte Konsortium der Schweizer Hochschulbibliotheken einen dem RLN vergleichbaren Auftrag.

Autoren als Geldgeber?

Mit dem Web habe die Recherche enorm an Durchschlagskraft gewonnen, aber jetzt drohe dasselbe Netz die Substruktur der alten Bibliothek zu zerstören. Brian Follett erwähnte wie fast alle Referenten das flächendeckende Problem der Kostenexplosion bei den Zeitschriften und die „Open-Access“-Bewegung (1), die sich als Reaktion darauf konstituierte. Den Universitäten hielt Follett vor, zu defensiv auf diese Herausforderungen zu reagieren. Er schlug vor, die Wissenschaftler zu verpflichten, einen Teil der steigenden Kosten der Bibliotheken mitzutragen.

Die konkrete Alternative "Open Access" erläuterte detailliert David Prosser von der Interessensvereinigung SPARC EUROPE (Scholarly Publishing & Academic Resource Coalition). Der unbeschränkte und kostenfreie Zugang zu wissenschaftlicher Literatur geniesse neuerdings starken politischen Rückhalt, etwa durch das britische Unterhaus.


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Der Megatrend zur digitalisierten Information konfrontiert wissenschaftliche Bibliotheken zugleich mit Gefahren und Chancen: Recherche in der ETH-Bibliothek (Bild: ETH-Bibliothek). gross

Open-Access-Journals mit differenzierten Finanzierungsmodellen arbeiteten bereits sehr erfolgreich, und mehrere “traditionelle” Journals gingen dazu, den Zugang zu öffnen, so Prosser, etwa die Proceedings of the National Academies of Science (PNAS). Noch einen Schritt weiter ging Bertrand Meyer, ETH-Professor für Informatik. Unzufrieden über die Annahmepraxis der grossen Verlage gründete er kurzerhand seine eigene Zeitschrift, das Journal of Object Technology, das sich mit wenig Geld gut etabliert hat.

Wichtiger als das Labor

Die Wünsche der Forschenden selbst brachte Andreas Mortensen, Professor für Metallurgie an der EPF Lausanne, auf den Punkt: „Eine gute Bibliothek, und permanenten sowie freien Zugang zur gesamten Literatur.“ Das sei sogar wichtiger als ein gutes Labor. In der „Open Access“-Debatte nahm Andreas Mortensen eine Mittlerposition ein. Er plädierte für eine Kostenbeteiligung von Lesern wie Autoren von Veröffentlichungen. Insbesondere regte er die Bildung von „Rules of Conduct“ an, die zum Beispiel Autoren den freien Zugang zumindest auf ihre eigenen publizierten Papers ermöglicht – was derzeit häufig nicht der Fall sei.

Bei alldem, so Mortensen, blieben gute Bibliothekare als Fachleute und Know-how-Vermittler für schwierige Recherchen das A und O. Dies vertrat auch Engelbert Zass, Leiter des Informationszentrums Chemie Biologie Pharmazie der ETH. Zass sieht die Chance für Bibliotheken vor allem in der kompromisslosen Ausrichtung auf den Dienst am Kunden. So sei zu beobachten, dass Studierende sich heute oft mit einer oberflächlichen Bildschirm-Recherche begnügen. Mit der Folge, dass manch wichtige Ressource unbeachtet bleibe. Hier gelte es anzusetzen.

Unwissende Wissenschaftler

Gespannt war man auf das, was Eduard Cohen vom Verlag Elsevier, dem mit Abstand grössten kommerziellen Verlag wissenschaftlicher Zeitschriften zum Open-Access-Disput zu sagen hatte. Laut einer eigenen Erhebung seien 60 Prozent der Forschenden für freien Zugang. Erstaunlich sei, so Cohen, dass die meisten von ihnen allerdings Elsevier als Open-Access-Verlag wahrnähmen. Das zeige, dass das Bewusstsein und die Meinungen der Forschenden alles andere als eindeutig seien. Elsevier lehne es jedenfalls nicht a priori ab, das Business-Modell umzudrehen und statt die Leser die Autoren zur Kasse zu bitten.

Bibliotheken seien im Verhältnis zu den Verlagen "der grösste Kunde mit leeren Taschen und vollen Magazinen“ sagte Alice Keller, ehemalige Leiterin des Bereiches Bestandesentwicklung an der ETH-Bibliothek und heutige Leiterin des Collection Management der Bodleian Library in Oxford. Angesichts überquellender Büchermagazine sei die Tendenz fortschreitender Digitalisierung zu begrüssen. Aber wenn das, wie es sich jetzt abzeichnet, zu einem Pseudo-Markt führe, in welchem die Verlage ihre Bedingungen praktisch nach Belieben diktieren können, sei dies hoch problematisch.

Zukunftsaussichten

Die Tagung schloss mit einem Podium, an welchem ETH-Bibliotheksdirektor Wolfram Neubauer die Frage nach der Zukunft der Bibliotheken stellte. Die Podiumsteilnehmer (2) waren sich im Grundsatz einig, dass wissenschaftliche Bibliotheken eine Zukunft haben, wenn auch fraglich sei, ob sie ihre Funktionen behalten könnten. Es gelte, nicht nur auf Entwicklungen zu reagieren, sondern diese zu steuern – etwa indem Bibliotheken neue Dienstleistungen erbringen oder eigene Visionen skizzieren. Die ETH-Bibliothek hat mit diesem Symposium einen ersten Anstoss gegeben.


Fussnoten:
(1) Vgl. dazu den "ETH Life"-Artikel "Publizistisches Experiment" vom 13. Okober 2003 (mit Verweis auf weitere Artikel): www.ethlife.ethz.ch/articles/plosbiology.html
(2) Prof. Alexander Borbély (Prorektor Forschung, Uni Zürich), Prof. Berhard Plattner (ETH World), Heidi Blattmann (NZZ); Prof. Werner Oechslin (ETH) , Prof. Alice Keller, Oxford.



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