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Rubrik: Tagesberichte |
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ETH-Tagung: 30 Jahre Schlussakte von Helsinki Forschung trifft Diplomatie |
Die Unterzeichnung der Schlussakte der „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE) in Helsinki markierte vor genau 30 Jahren den Anfang vom Ende des kommunistischen Herrschaftssystems in Osteuropa. Die Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der ETH nutzte das Jubiläum und lud zu einer mehrtägigen internationalen Konferenz. Unter den namhaften Gästen befand sich auch der amtierende polnische Aussenminister Adam D. Rotfeld. Claudia Naegeli „Die Idee einer paneuropäischen Sicherheitskonferenz ging ursprünglich zurück auf einen Vorschlag der ehemaligen Sowjetunion von 1954“, erklärt Christian Nünlist von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der ETH (CSS) im Vorfeld der Tagung (1). Die UdSSR habe sich damals verschiedene Vorteile von der KSZE versprochen. „In erster Linie ging es Moskau um die westliche Anerkennung des territorialen Status quo, den Ausbau von Wirtschaftsbeziehungen und das Herausdrängen der USA aus europäischen Angelegenheiten“, so Christian Nünlist. Tatsächlich habe die KSZE aber nicht den damaligen Status quo stabilisiert, sondern die Rahmenbedingungen zu seiner Überwindung geschaffen. „Zudem gelang es 1975 der westlichen und neutralen Diplomatie, in die starre Machtpolitik der Ost-West-Auseinandersetzung eine moralische Dimension einzuführen.“ Hochrangiges Experten-Panel 30 Jahre nach der Unterzeichnung der KSZE-Akte konnte Andreas Wenger, ETH-Professor für Sicherheitspolitik, 55 führende Historiker aus dem Bereich der KSZE-Forschung aus 16 Ländern willkommen heissen. Die Wissenschaftler diskutierten im Gottlieb Duttweiler Institut in Rüschlikon ihre jüngsten Forschungsergebnisse. Im Zentrum des Interesses stand die Bedeutung des frühen KSZE-Prozesses (1969-75) für die internationale Sicherheitspolitik. Die Konferenz stellte jedoch auch ein Podium dar für ehemalige Diplomaten und Politiker aus Russland, den USA, Deutschland, Italien, Frankreich, Grossbritannien, Rumänien sowie der Schweiz. Diese „KSZE-Veteranen“ tauschten in Rüschlikon ihre Erinnerungen und Erfahrungen mit den Wissenschaftlern aus. Kissinger: erst passiv, dann treibende Kraft Die Historiker und Diplomaten erörterten unter anderem die Rolle der Supermächte – insbesondere den viel diskutierten Einfluss von Henry Kissinger, der zunächst äusserst passiv und desinteressiert agierte, gegen Ende aber in bilateralen Treffen mit der Sowjetunion entscheidenden Einfluss nahm. Während der multilateralen Verhandlungen, die von November 1972 bis Juli 1975 in Helsinki und Genf stattfanden, spielten die EG-Staaten eine dominante Rolle: Europäische Werte führten zu einem neuen Denken über Sicherheit in Europa und liessen Hoffnung aufkommen, dass aus dem seit 1947 geteilten wieder ein vereintes Europa würde. Auch die ost- und mitteleuropäischen Staaten – insbesondere Polen – agierten nicht einfach als Blockverbündete Moskaus. Neutrale Staaten wie die Schweiz und Österreich vermittelten oft erfolgreich zwischen Ost und West. Gemeinsame Werte als Basis Adam D. Rotfeld, der amtierende polnische Aussenminister unterstrich in seiner Rede mehrfach die Bedeutung der Menschenrechte für die internationale Sicherheitspolitik. Der Wandel von einem totalitären Staat, der alles und jeden kontrolliert habe, zu einem freien Land mit einem Mehrparteien-System sei schwierig und herausfordernd gewesen, betonte Adam Rotfeld an der ETH-Tagung. „Doch der Helsinki-Prozess hatte eine Antwort darauf, wie der Wandel auf eine friedliche Art vollzogen werden konnte.“
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Gemeinsame Werte und Normen seien die Grundlage eines demokratischen Staates. Aus diesem Grund ist es für Adam D. Rotfeld unabdingbar, dass die internen Angelegenheiten eines Staates mit internationalen Normen übereinstimmen müssen. In diesem Zusammenhang sprach der Aussenminister auch Terrorismus und organisiertes Verbrechen an, welche die internationale Sicherheit immer wieder auf das Neue gefährden würden. Für Adam Rotfeld gründen diese Probleme in zwei Phänomenen unserer Zeit: „Einem Mangel an gemeinsamen Werten und einer Politik, die von Populismus geprägt ist." Einen Höhepunkt der KSZE-Tagung stellte am Samstagnachmittag die Zeitzeugen-Diskussion dar. Neben dem Schweizer Diplomaten Hansjörg Renk tauschten Juri Kaschlew (Ex-UdSSR), John Maresca (USA), Jacques Andréani (Frankreich), Sir Crispin Tickell (Grossbritannien), Siegfried Bock (Ex-DDR) und Nicolae Ecobescu (Rumänien) während vier Stunden Erfahrungen und Erinnerungen aus und antworteten auf die Fragen der Historiker. Basis für das Ende des Ost-West-Konfrontation Am Ende der Tagung rekapitulierte Vojtech Mastny aus Washington, dass zwar nicht direkt von der Schlussakte von Helsinki auf das Ende des Kalten Krieges geschlossen werden könne. Aber der KSZE-Prozess sei eindeutig dafür verantwortlich gewesen, dass der Kalte Krieg zwischen 1989 und 1991 ohne Gewalt endete. Rückblickend waren die vertrauensbildenen Massnahmen, für die sich ab 1973 vor allem die neutralen und blockfreien Staaten stark engagiert hatten, neben der Kodifizierung der Menschenrechte der wichtigste Beitrag der KSZE-Schlussakte für den Verlauf der letzten 15 Jahre des Kalten Krieges. Die KSZE bildete den Rahmen für die radikale, aber geordnete Abrüstung in Europa und lieferte die Inspiration für den gewaltlosen Untergang des Kommunismus in Europa.
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