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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 08.07.2003 06:10

Entwicklungsbiologie bei Arabidopsis thaliana
Gestörte Genruhe

Die erfolgreiche Entwicklung hin zu einem Organismus hängt entscheidend davon ab, dass die richtigen Gene zum richtigen Zeitpunkt aktiviert werden. Mit Versuchen an der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) demonstrieren ETH-Forschende, dass die künstlich erniedrigte Aktivität des Proteins MSI1 zu Entwicklungsstörungen führt. Grund: die Kontrolle über einige still gehaltene Gene geht verloren.

Von Christoph Meier

Über vielen Genen ist Ruh. Und das ist gut. Denn damit ein Organismus entsteht und erfolgreich überlebt, ist es nötig, dass die verschiedenen Gene nur in konzertierter Weise aktiv sind. So sind zum Beispiel gewisse Gene nur in bestimmten Phasen der Entwicklung, unter speziellen Umweltbedingungen oder in spezialisierten Zelltypen aktiv. Die Mehrheit der Gene ist aber inaktiv.

Doch wer sorgt für die Ruhe? Eine Form der „Gen-Stilllegung“ besteht darin, dass die DNA dicht in ihr Verpackungsmaterial, das Chromatin, eingeschlossen wird. Diese Verpackungsform ist aber nicht einfach fix, sondern muss aktiv aufrecht erhalten werden, insbesondere bei der Zellteilung. Dabei muss die Zelle dafür sorgen, dass an denselben Stellen der Chromosomen das Chromatin wieder dicht gepackt wird. Was passiert, wenn die Genruhe gestört wird , zeigt eine Arbeit von Lars Hennig und Kollegen aus der Forschungsgruppe von ETH-Professor Wilhelm Gruissem (1).

Ausgangspunkt von Hennigs Forschung, die im Fachmagazin „Development“ erschien (2), war das Protein MSI1. Von diesem ist bekannt, das es in einen Komplex involviert ist, der eine wichtige Rolle bei der Anordnung des Chromatins spielt. Da das entsprechende Gen von der Hefe bis zum Menschen vorkommt, lag auch die Vermutung nahe, dass das Protein eine grundlegende Funktion erfüllen musste. Doch welche das bei Säugern oder Pflanzen sein könnte, war bis anhin unklar. Hennig als Pflanzenforscher wollte diese Frage bei der am besten genetisch charakterisierten Pflanze, der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana), während deren Entwicklung untersuchen. Er veränderte dafür seine Versuchspflanzen so, dass sie überall einen Überschuss an MSI1 produzieren sollten.

Ein Spezialist für das MSI1-Protein, der ETH-Biologe Lars Hennig. gross

Weibliche Sterilität

Das gelang auch. Einige Pflanzen produzierten in allen Organen vermehrt MSI-1. Das führte jedoch zu keiner beobachtbaren Veränderung während der Entwicklung. Hennig hatte aber noch andere Arabidopsis-Pflanzen. Bei diesen ereignete sich ein methodischer Glücksfall: sie produzierten zuwenig statt zu viel MSI1. Obwohl das Phänomen, bekannt als Kosuppression, selbst nicht überraschte, waren die Folgen davon erstaunlich. So entwickelten die entsprechenden Pflanzen wohl noch am primären Spross eine Blüte und einige verkrüppelte Blätter, doch weitere Organe bildeten sich nicht mehr richtig aus. Bei den Seitensprossen kam es zur Reduktion von Blüten- und Staubblätter. In allen Fällen war die Fruchtblattentwicklung gestört, was zu einer weiblichen Sterilität führte.


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Erniedrigt man das Protein MSI1 in der Ackerschmalwand sieht man das sowohl an der ganzen Pflanze wie auch an der Blüte. Rechts jeweils mit reduziertem MSI1. (Bild: Lars Hennig)

Doch nicht nur morphologisch konnte Hennig Veränderungen feststellen.Gewisse Gene, die ganz spezifische räumliche und zeitliche Muster während der Entwicklung zeigen, hatten ihre Aktivitäten auch geändert. Als der Forscher auch noch das Chromatin untersuchte, fand er, dass in den Pflanzen mit weniger MSI-1 auch weniger Regionen mit dicht gepacktem Chromatin entstanden.

Dieser letzte Befund sprach dafür, dass sich MSI1 über das Chromatin auf andere Genaktivitäten auswirkt. Was auch für diese Sichtweise spricht, ist gemäss Hennig der Umstand, dass sich Effekte, die durch den erniedrigten MSI1-Gehalt ausgelöst wurden, während der Entwicklung verstärken. So hat es zu Beginn noch genügend MSI1, das zur Erhaltung der Chromatinverteilung beiträgt. Doch mit jeder Zellteilung dünnt sich der Gehalt aus und das dichte Chromatin lockert sich auf - die Ruhe ist dahin.

Wie ein Schweizer Offizierssackmesser

Doch wie generell reguliert eigentlich MSI1 die Chromatinverpackung? Vor seinen Untersuchungen hätte er gedacht, dass das Protein eine sehr allgemeine Funktion einnehme, meint Hennig. Seine Befunde jedoch zeigten, dass das Protein auch sehr spezifische Funktionen besitze, die sich nur in bestimmten Entwicklungsphasen manifestierten. Diese Effekte seien wahrscheinlich nicht allein über die allgemeine Chromatinpackung zu erreichen, sondern basierten vermutlich auf spezifischen Verpackungen einzelner Schlüsselgene, die besonders wichtig für eine normale Entwicklung sind. Gestützt wird diese Sichtweise dadurch, dass Veränderungen bei den Partnern, die mit MSI1 einen Komplex für die Anordnung des Chromatins bilden, nicht zu denselben Störungen führen.

Insgesamt erweist sich MSI1 als ein sehr vielseitiges Protein. Darum findet Hennig auch das Bild des Schweizer Offizierssackmessers, das ein Kommentator in „Nature“ verwendet (3), sehr treffend für das Protein. Der Forscher will auch in Zukunft, die verschiedenen Module des „Sackmesser-Proteins“ noch besser kennen lernen. Als erstes sucht er darum mit einem Genchip nach Kandidaten, die direkt mit MSI1 interagieren. Viel Bewegung also um ein Gen, das für Ruhe und Ordnung sorgt.


Fussnoten:
(1) Gruissem Laboratory: www.pb.ipw.biol.ethz.ch/
(2) Hennig L, Taranto P, Walser M, Schonrock N, Gruissem W.:“ Arabidopsis MSI1 is required for epigenetic maintenance of reproductive development.” Development. 2003 Jun;130(12):2555-65.
(3) Steven Henikoff: “Gene regulation: Versatile assembler”. Nature 423, 814 - 817 (19 Jun 2003)



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