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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 23.03.2007 06:00

Tagesanzeiger-Podium an der ETH über Nanotechnologie
Neugierde, verknüpft mit Unsicherheit

Die Bevölkerung ist an der Nanotechnologie sehr interessiert, aber die Wissenslücke in diesem Bereich verunsichert. Das zeigte ein Tagesanzeiger-Podium in Science City auf dem Hönggerberg von letztem Dienstagabend.

Peter Rüegg

Am Podium „Alles Nano oder was? Chancen und Risiken der Nanotechnologie“, welches der Tages-Anzeiger letzten Dienstag in Science City organisierte, herrschte Einmütigkeit. Und dies obwohl die Diskussionsrunde eigentlich eher eine Polarisierung erwarten liess: Hier die Forschung und die Industrie, vertreten durch die ETH-Professorin für biologisch-orientierte Materialwissenschaft Viola Vogel und Hans Näf, der in der Nanopartikelverarbeitung arbeitet, dort die Grüne Nationalrätin Ruth Genner und der Ethiker Andreas Bachmann. Doch anders als bei der Gentechnologie erhitzte die Diskussion über Nanotechnologie die Gemüter weniger stark.

Bevölkerung verhalten positiv

Die Bevölkerung ist gemäss einer Studie des Zentrums für Technologiefolgen-Abschätzung TA-Swiss (1) der Nanotechnologie gegenüber eher aufgeschlossen. Insbesondere die Studie über Nanotechnologie in der Medizin von 2003 zeigte, dass Laien die Chancen höher bewerten als die möglichen Gesundheitsrisiken. Sie vermuten aber eine Gefahr für Umwelt und Gesundheit und fordern klare Regeln und Deklarationen, vor allem bei Lebensmitteln. Überdies hat die Bevölkerung gemäss TA-Swiss-Geschäftsführer Sergio Belluci, der das Podium und das Publikum in die Thematik einführte, noch zu wenige Informationen. „Nano ist noch immer mit Neugierde verknüpft“, brachte etwa Ruth Genner die verhalten positive Haltung der Schweizerinnen und Schweizer gegenüber dieser neuen Technologien auf den Punkt. Chancen und Risiken unbestritten Das grosse Potenzial der Nanotechnologien anerkannte denn auch die grüne Politikerin und ETH-Lebensmittelingenieurin.

Marktpotenzial immens

Der Industrielle Hans Näf sprach gar von einem Marktpotenzial der Nanotechnologien, das weltweit rund 800 Milliarden Franken betragen soll. In Deutschland werde die Nanoindustrie bis zu 15'000 neue Stellen schaffen, sagte er. Auch ETH-Professorin Viola Vogel zeigte sich überzeugt, dass die Nanotechnologien helfen, einige Herausforderungen der Menschheit zu lösen. Bei der Trinkwasseraufbereitung, in der Nahrungsmittelproduktion oder in der Medizin herrsche ein grosser Innovationsdruck, um die wachsende Weltbevölkerung zu versorgen.

Umwelt und Energieversorgung könnten ebenfalls davon profitieren. Der Auto-Katalysator – eine " Nanoanwendung" - habe die Luftqualität stark verbessert. Elektronische Komponenten werden dank Nanotechnologie immer kleiner und benötigen weniger Energie. „Es gibt viele Bereiche, wo Nanotechnologien positiv in unser Leben eingreifen werden“, so Vogel. Die Nanopartikel bieten laut Vogel Alternativen zu Antibiotika, die im Kampf gegen Bakterien immer wirkungsloser werden. Die Nanopartikel könnten dereinst Wirkstoffe bis auf das Niveau Zelle transportieren oder bei Bild gebenden Verfahren eine wichtige Rolle spielen. Nanosensoren könnten frühzeitig auf zellulärer Stufe Krankheiten erkennen, ehe der Mensch daran zu leiden beginnt. Doch bis es so weit sei, würden noch Jahre vergehen, sagt die Wissenschaftlerin.

Rauchen produziert am meisten Nanopartikel

Wenig bestritten waren am Podium, dass die Nanotechnologien Risiken bergen. Besonders ungebundene freie Nanopartikel müsse man ernst nehmen, sagte Bachmann.


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Waren sich auf dem Podium in vielen Punkten einig: Hans Näf, Ruth Genner, Viola Vogel und Andreas Bachmann (v.l.o.n.r.u.) gross

Die kleinen Teilchen dringen tief in die Lunge ein, gelangen ins Blut oder überwinden gar die ansonsten undurchlässige Blut-Hirnschranke. Wie schädlich das ist, ist nicht genau erforscht. Bis mehr Klarheit herrsche, gelte für den Gesetzgeber das Vorsorgeprinzip, sagte der Ethiker.

Viola Vogel fand, dass Risikodiskussion vorerst auf freie Nanopartikel zu beschränken sei. Die bisher grösste Menge an Nanopartikeln, denen der Mensch im Alltag ausgesetzt sei, entstehe durch das Rauchen. „Wir müssten ein absolutes generelles Rauchverbot fordern“, betonte sie. Pneuabrieb im Strassenverkehr und andere Verbrennungsvorgänge, etwa Chemineefeuer, sind weitere Quellen für Nanopartikel, denen der Mensch im Alltag ständig ausgesetzt ist.

Gesetzgeber für Industrie zu langsam

Für den Industriellen Näf ist das Vorsorgeprinzip unbestritten. Nur mache die Technik rasche Fortschritte. „Der Gesetzgeber ist für die Industrie immer zu langsam“, fand er, „wenn wir auf ein Gesetz warten, ist es für einen ganzen Industriezweig zu spät.“ Näf formulierte deshalb seine Wünsche an den Gesetzgeber: sachlich über Nanotechnologie zu informieren, Schaffung einer Auskunftsstelle für die Nanoteilchen verarbeitende Industrie beim Bund und keinen Alleingang der Schweiz. Vogel ihrerseits forderte eine Prioritätenliste für die Forschung, damit die Wissenschaft wisse, welche Stoffe zuerst untersucht werden müssten. „Nur so kann die Forschung früh Antworten auf wichtige Fragen geben“, so die Materialforscherin.

Heute könne man allerdings Fragen angehen, die man vor 20 Jahren nicht gestellt hätte, sagt die ETH-Professorin. Neue Verfahren würden es erlauben, die Spur von Nanoteilchen zu verfolgen und zu sehen, wo sie sich ablagern. Die Forschung müsse aber klären, was in der Zelle passiere. „Dabei geht es nicht nur darum hauszufinden, ob ein Stoff toxisch ist, sondern auch welche Grenzwerte es braucht.“ Ohne wissenschaftliche Daten gebe es kein Gesetz und keine Grenzwerte, welche meist sehr rasch benötigt werden.

Publikum vor allem neugierig

Das Podium stellte fest, dass punkto Nanotechnologie noch immer eine Informationslücke besteht, welche die Medien füllen sollten. „Bei der Information der Bevölkerung spielen die Medien eine wichtige Rolle“, sagte Genner. Nebst der Forschung über den Nutzen der Nanopartikel solle auch die Risikoforschung vorwärts gebracht werden, um eine Gesetzesgrundlage zu schaffen. Dem Publikum, das den Hörsaal G7 im HCI bis auf den letzten Platz füllte, brannten viele Fragen unter den Nägeln so sehr, dass sich das Podium und Moderatorin Barbara Reye schon vor der offiziellen Fragerunde den Publikumsfragen stellen mussten. Und da zeigte sich vor allem eines: dass die Unsicherheit gross ist – und die Neugierde ebenfalls.


Fussnoten:
(1) Publikationsliste der TA-Swiss: www.ta-swiss.ch/d/doku_chro.html



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