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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 29.06.2001 06:00

IKRK-Delegierte im Spannungsfeld der Politik
"Das Rote Kreuz ist bekannter als Coca-Cola"

Jakob Nüesch hielt an der ETH vor kurzem ein Referat mit dem Titel: "Die humanitäre Herausforderung des IKRK - eine sinnvolle Aufgabe für junge Akademikerinnen und Akademiker?" ETH Life sprach mit dem ehemaligen ETH-Präsidenten und jetzigen Mitglied des IKRK über die Arbeit der IKRK-Delegierten.

Interview: Richard Brogle

Am 10. Juni stimmte das Schweizervolk einer Vorlage zu, die vorsieht, bewaffnete Soldaten ins Ausland zu schicken. Ist das Abstimmungsergebnis im Sinne des IKRK?

Das IKRK ist strikt unparteiisch und gibt daher auch keine politischen Stellungnahmen ab. Ich persönlich halte es aber für eine Öffnung gegenüber einer globalisierten Welt und für einen wichtigen Solidaritätsbeitrag.

Warum ist das IKRK bei Akademikerinnen und Akademikern als Arbeitgebern so beliebt?

Es wird häufig kritisiert, dass die heutige Jugend nur noch egoistisch denkt. Das sehe ich nicht so. Dass das IKRK als Arbeitgeber so beliebt ist - gerade bei den Abgängern der Geistes- und der Technikwissenschaften - zeigt doch, dass die Jungen etwas Sinnvolles machen wollen und nicht in erster Linie das Materielle suchen. Die Arbeit als Delegierter oder Delegierte bringt die jungen Menschen in eine ganz andere Beziehung zu ihren Mitmenschen. In den Extremsituationen sehen sie auf der einen Seite Mitleid, Grosszügigkeit und Barmherzigkeit, auf der anderen Seite eine unglaubliche Grausamkeit. Wer dies einmal erlebt hat, ist für das Wesen des Menschen sensibilisiert und kann die Gewalttätigkeit besser verstehen und so auch kontrollieren.

Bleiben wir bei der Gewalt: 1996 sechs getötete Mitarbeiter in Tschetschenien, jetzt wieder sechs IKRK-Todesopfer im Kongo. Wie gefährlich ist die Arbeit der IKRK-Delegierten?

Nicht ausserordentlich gefährlich. Die Delegierten sind ja auch strikte unbewaffnet und werden im Normalfall von beiden Seiten als Helfer anerkannt. Es ist das höchste Gebot des IKRK, die Sicherheit der Delegierten und der Opfer zu gewährleisten. Zum Kongo: dieses Gebiet galt eigentlich nicht als unsicher. Unfälle können aber immer geschehen. Tragisch ist dies aber in jedem Falle.

Würden Sie persönlich morgen nach Grosny fahren?

Ja, ich würde fahren, wenn eine Delegierte oder ein Delegierter vor Ort einen Besuch von mir wünscht und Russland zustimmt. Ich würde aber auch Delegierte an allen anderen Destinationen besuchen. Letztes Jahr war ich beispielsweise in Ost-Timor. Sie können sich diese Zerstörung nicht vorstellen. Das war keine Sonntagsreise. WCs in unserem Sinne gab es beispielsweise überhaupt keine. Aber ich möchte nochmals betonen, wer ein Abenteuer sucht, ist falsch beim IKRK. Wir machen keine Cowboy-Aktionen.

In Somaila und Tschetschenien werden ihre Mitarbeiter mittlerweile von bewaffneten Eskorten beleitet. Werden wir uns daran gewöhnen müssen, dass die IKRK-Delegierten nur noch in Begleitung von bewaffneten Bodyguards auftauchen?

Nein, die bewaffneten Eskorten werden auch in Zukunft nur situativ eingesetzt werden. Es ist sicher nicht ideal, wenn man die Besuche wie im Falle von Tschetschenien zwei Tage vorher anmelden muss. Aber es ist sehr wichtig, dass man die Gefängnisse überhaupt besuchen kann. In jedem Falle bestehen wir aber darauf, mit den Gefangenen unter vier Augen sprechen zu können. Aber sehen Sie, die bewaffneten Eskorten sind nur ein Problem. Eine andere brennende Frage stellt sich mit der Gründung eines internationalen Strafgerichtes: wenn Delegierte des IKRK Misshandlungen an Gefangenen gesehen haben, sollen sie dann vor Gericht aussagen? Auf den ersten Blick werden Sie denken: natürlich ja, die Täter sollen überführt werden. Aber die Konsequenz wäre, dass IKRK-Delegierte in Kürze in fast keine Gefängnisse mehr eingelassen würden, und das wäre noch viel schlimmer für die Gefangenen. Unsere Besuche sind für sie oft der einzige Schutz. Daher kämpfen wir schon heute für ein Recht auf Zeugenaussageverweigerung für IKRK-Delegierte.

Im Vergleich zu anderen humanitären Organisationen wie Médecins sans frontières gelten die IKRK-Delegierten als sehr gut entschädigt. Womit lässt sich das erklären?

Ich glaube nicht, dass die IKRK-Delegierten mit rund Fr. 3'500.- am Anfang überbezahlt sind. Sie tragen eine grosse Verantwortung und stehen häufig unter Stress. Die Arbeit als IKRK-Delegierte oder Delegierter ist kein Volontariat, sondern ein richtiger Beruf, der auch als solcher bezahlt werden soll.


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jakob nŸesch
"Wir machen keine Cowboy-Aktionen": IKRK-Mitglied Jakob Nüesch. gross

Vor acht Jahren waren noch rund 90 Prozent der Delegierten Schweizerinnen oder Schweizer, heute sind es nur noch rund 65 Prozent. Warum hat dieser Anteil abgenommen?

Wie die Gesellschaft, so verändert sich auch das IKRK. Heute strebt man eine Öffnung des IKRKs an. Es besteht eine klare Absicht, mehr Ausländer als Delegierte zu verpflichten. Die Glaubwürdigkeit der Delegierten darf nicht von ihrer Nationalität abhängen. Das IKRK ist eine Institution der Völkergemeinschaft und keine schweizerische Institution. Das oberste Führungsgremium setzt sich aber nach wie vor ausschliesslich aus Schweizerinnen und Schweizer zusammen.

Was halten Sie von der Forderung, neue Rotkreuz-Embleme einzuführen?

Das ist eine furchtbare Geschichte. Warum verwendet man so viel Energie auf eine solche Frage? Der Druck kommt vor allem aus Israel und den USA. Es soll jetzt neben dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond auch noch der Davidstern als Rotkreuz-Emblem anerkannt werden. In den Zwanzigerjahren wurde der Rote Halbmond anerkannt. Im nachhinein muss man sagen, dass dies sicher ein Fehler war. Denn dadurch hat man die Türe geöffnet und nun ist es schwierig, weiteren religiösen Gemeinschaften oder Staaten die Einführung ihrer Embleme zu verweigern. Dabei muss man sehen, dass das Rote Kreuz gar kein religiöses Kreuz ist. Es wurde in Anerkennung der Schweiz eingeführt.

Sehen Sie Ihre Delegierten in Gefahr, wenn zusätzliche Zeichen eingeführt werden?

Untersuchungen haben gezeigt, dass das Rote Kreuz einen weltweit einmaligen Marketingerfolg vorweisen kann. In den entlegensten Gegenden der Erde kennt fast jedes Kind das Rote Kreuz. Es ist sogar bekannter als Coca-Cola. Wenn wir nun weitere Embleme einführen, so besteht die Gefahr, dass diese Symbole nicht mehr alle bekannt sind und somit die Delegierten nicht mehr als solche erkannt und vermehrt angegriffen werden. Auch bei der Einführung eines einzigen neuen Emblems würde es Jahre dauern, bis dieses weltweit genügend bekannt wäre. Aber das Problem muss jetzt vom Tisch, denn es bindet sonst einfach zuviel Ressourcen, die wir dringend an anderen Orten benötigen.

Bleiben wir noch bei den Ressourcen. Sind sie auch als Mitglied des Kommittes des Roten Kreuzes auch beim Geldsammeln beteiligt?

Ja, das gehört auch dazu. Vor kurzem habe ich mitgeholfen, eine Vernissage des Mode- und Filmstarphotographen Michel Comte zu organisieren. Der ganze Erlös der Versteigerung seiner Poster kam dem IKRK zugute.

Wie viel haben Sie gesammelt?

Bei der Veranstaltung ist rund eine halbe Million Franken zusammengekommen. Das ist eine schöne Summe, aber nur ein Bruchteil dessen, was die einzelnen Staaten dem IKRK bezahlen. Ein interessantes Detail: das IKRK hat mit einer Milliarde Franken fast das gleiche Budget wie die ETH.


Zur Person:

Professor Jakob Nüesch doktorierte 1960 an der ETH, arbeitete dann in der Basler Chemie und wurde 1978 Professor für Mikrobiologie. Von 1990 bis 1997 war er Präsident der ETH Zürich. Seit 1997 ist er ehrenamtliches Mitglied des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK).




Literaturhinweise:
Das IKRK: www.cicr.org



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