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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 29.11.2001 01:00

Industrie-Dissertationen
Geist trifft Geld

Industriepartnerschaften eröffnen ETH-Doktorierenden die Chance, ihre Forschung gleichzeitig unter ETH-Aufsicht und im engen Kontakt mit der Unternehmenspraxis zu betreiben – und nicht selten werden dadurch schon die Weichen für den ersten Job gestellt. Für die Doktoranden problematisch werden können allerdings die kurzen, oft auf direkte Nutzung zielenden Entwicklungsrhythmen der Industrie.

Von Norbert Staub

Mit der Industrie verbindet die ETH eine Nabelschnur, welche gar nicht mehr wegzudenken ist: Ein Blick auf die Herkunft der ETH-Forschungsgelder der vergangenen Jahre zeigt, dass diese Beziehung in den vergangenen Jahren laufend stärker geworden ist (Vergleichen Sie dazu das aktuelle "Bulletin" der ETH zum Thema Industrie und Wissenschaft"). Angesichts der derzeit unsicheren Entwicklungs-Aussichten bei den staatlichen Fördermitteln ist zu erwarten, dass Drittmittel der Industrie künftig eine noch wichtigere Rolle in den Forschungsbudgets der ETH spielen werden.

Folgenreiche Beziehung

Mit einem Doktoratsprojekt in der Industrie wird der Berufsweg eines jungen Forschers nicht selten bereits vorgespurt: "In unserem Gebiet, Hochfrequenzelektronik, nutzt die Industrie ihre Forschungsförderung auch bewusst und aktiv, um Leute zu rekrutieren", sagt Gregor Dürrenberger vom Institut für Feldtheorie und Höchstfrequenztechnik der ETH. Er leitet die von Telekom-Unternehmen Sunrise finanzierte Kooperation "Nachhaltiger Mobilfunk". Der wissenschaftliche Nachwuchs werde durch Kooperationsprojekte "schon ganz gezielt in Firmenkulturen hineinsozialisiert" und die Produkte, die entwickelt werden, seien häufig Prototypen für eine Anwendung in der Industrie.

Konrad Hungerbühler ist ETH-Professor für Technische Chemie und erstellt mit seiner Gruppe Life-Cycle-Studien für die Industrie. Er hält Industrie-Dissertationen für wichtig und gut - sie seien aber "eine zweischneidige Sache". Aus seiner Forschungsgruppe seien eine Reihe von Diplomanden und Doktoranden direkt aus einer Kooperation in die Industrie gegangen: "Da kann es passieren, dass die Leute zur Unzeit gehen; dass die Industrie also Leute anwirbt, welche die Hochschule eigentlich gern behalten würde", sagt Hungerbühler. Das Extrembeispiel für diese Abwanderung liefere zurzeit der Bereich Informatik.

Was den Wissenstransfer zwischen Hochschule und Industrie betrifft, kann man auf vielen Gebieten von einer echten Partnerschaft sprechen (wer denkt, hier herrsche Einwegkommunikation von der Hochschule zum Unternehmen, wird von den in diesem Bereich Tätigen korrigiert (1) .) Wenn aber die Binsenwahrheit "Wer zahlt, befiehlt" auch hier gilt, fragt es sich, wie es um die Unabhängigkeit der Forschung steht, die aus Sicht der ETH zwingend gewährleistet bleiben muss: So darf laut ETH-Doktoratsverordnung die externe Institution die Betreuung der Doktorierenden durch die ETH-internen Dissertationsleiter in keiner Weise behindern.

Forscher bleiben frei

Abstriche bei der wissenschaftlichen Unabhängigkeit hätten sie aufgrund ihrer Nähe zur Industrie nicht zu befürchten, sagen ETH-Forscher (2). "Einschränkungen, zum Beispiel in Bezug auf die für uns ganz wichtige Grundlagenforschung, habe ich bis jetzt dabei nicht erfahren", erklärt Martin Schwab, Leiter des Zentrums für Neurowissenschaften, und seit gut einem Jahr in umfassender Kooperation mit dem Pharmakonzern Novartis. Im Rahmen der Orientierung, die von Sunrise mit definiert wurde, könne seine Gruppe "Projekte frei nach ihrer wissenschaftlichen Qualität und ihrer Kompatibilität mit Forschung im internationalen Umfeld auswählen", sagt Gregor Dürrenberger.


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diskussion industrie-partnerschaften
Diskussion zu Partnerschaften zwischen Industrie und Forschung: Prof. Konrad Hungerbühler, Norbert Staub und Martina Märki (Bereich Publishing der ETH), Prof. Lino Guzzella, Prof. Martin Schwab, Dr. Gregor Dürrenberger, Dr. Fritz Blumer (v.l.) gross

Und Lino Guzzella, Professor für Thermotronik an der ETH und Vorsteher des Departements Maschinenbau und Verfahrenstechnik hält fest, dass ihm in zehn Jahren Zusammenarbeit nie von einem Industriepartner vorgeschrieben wurde, was zu tun sei.

Industrie-Uhren ticken anders

Die Probleme liegen derweil eher anderswo: Laut Lino Guzzella kann der unterschiedliche Zeithorizont problematisch werden: die Norm von drei Jahren für ein ETH-Doktorat sei für die Industrie oft zu lange. "In dieser Zeitspanne kann es vorkommen, dass die Kontakt-Abteilung umorganisiert oder sogar aufgehoben wird", meint Guzzella, "das Geld für die Doktorandensaläre haben wir dann zwar, aber die versprochenen Daten kommen vielleicht nicht mehr, oder die geplanten Experimente können nicht mehr durchgeführt werden." Und das sei für den Doktoranden wie für alle Beteiligten dann äusserst mühsam.

Ähnlich tönt es bei Gregor Dürrenberger, dessen Forschungsfeld Mobilfunk einen ganz engen Praxisbezug aufweist: "Wir arbeiten in einer sehr kurzlebigen Branche, da gibt es grosse Fluktuationen in der Industrie. Man beginnt ein Projekt und drei Monate später stellt man fest: der Kooperationspartner in der Industrie ist bereits bei einer anderen Firma. Das erschwert die Kontinuität von Forschungsvorhaben enorm", sagt Dürrenberger. Und Konrad Hungerbühler ergänzt: "Die aktive Kooperation steht und fällt mit den direkten Kontaktpersonen, die an der Zusammenarbeit mit dem Doktoranden auch wirklich interessiert sind. Wenn in einem Unternehmen reorganisiert wird, haben die Industriepartner natürlich andere Sorgen."

Das Schlimmste: Unsicherheit

Wenn jemand seine Dissertation ausserhalb des ETH-Bereichs schreiben will, wird das von der ETH als wissenschaftliche Zusammenarbeit mit öffentlichen und privaten Institutionen zwar grundsätzlich "begrüsst". Doch laut Doktoratsverordnung darf die prompte Publikation der Forschungsresultate, etwa wegen Patentanmeldungen, nicht behindert werden. Konrad Hungerbühler betont: "Bei Diplom- oder Doktorarbeiten ist die Publikationsfrage ein kritischer Punkt und kann ohne sorgfältige Abklärungen zu Problemen führen." Nicht selten wird eine maximale Frist von drei Monaten fixiert, innerhalb derer eine Firma Resultate patentieren kann. So lange kann eine Publikation durch den Doktoranden dann hinausgezögert werden.

Wer am Ende über die Forschungsresultate verfügt, hängt laut Rechtsanwalt Fritz Blumer, der bei Homburger Rechtsanwälte in Zürich Unternehmen bei Vertragsverhandlungen mit Hochschulen berät, jeweils vom abgeschlossenen Vertrag ab. Wichtig sei, vorgängig zu regeln, wem was gehört. "Das Schlimmste, was man haben kann, ist Unsicherheit", so Blumer.


Fussnoten:
(1) Vergleiche hierzu das Statement von ETH-Professor Lino Guzzella anlässlich eines Roundtable-Gesprächs im aktuellen ETH-"Bulletin" Nr. 283, November 2001: "Wir sollten nicht die Haltung einnehmen: da die hehre Hochschule und dort die rückständige Industrie, die wir mit unserem Wissen beglücken. Ich erlebe immer wieder, dass der Wissensfluss in beide Richtungen verläuft und wir auch etwas lernen."www.fmpro.ethz.ch/FMPro?-db=bulletin
(2) Das folgende vgl. ebenfalls im ETH-"Bulletin" Nr. 283, November 2001: www.fmpro.ethz.ch/FMPro?-db=bulletin



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