ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 30.11.2004 06:01

Gespräch mit einem Toxikologen über die Zukunft der Lebensmittelsicherheit
“Lebensmittel werden sicherer!“

"Beurteilungsverfahren der Lebensmitteltoxikologie heute - und morgen?" lautet der Vortrag von Josef Schlatter (1), den er heute am Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften der ETH Zürich hält (2). Im Vorfeld sprach der Lebensmitteltoxikologe des Bundesamts für Gesundheit (BAG) (3) mit ETH Life unter anderem über die Wahrnehmung seines Gebietes in der Öffentlichkeit und dessen Zukunft.

Von Anne Laurence Klein

Kann ich heute aus der Sicht eines Lebensmitteltoxikologen noch gesund essen?

Josef Schlatter: Auf jeden Fall! Die Lebensmittelsicherheit ist heute sehr gut, viel besser als vor 100 Jahren.

Aber in den Medien tauchen immer wieder Lebensmittelskandale wie zum Beispiel das Acrylamid in Pommes Chips oder Arzneirückstände in Hühnereiern auf…

Schlatter: Kennen Sie das Sprichwort „Was ich nicht weiss, macht mich nicht heiss“? Früher wusste man nicht genau, was man alles isst. Die moderne instrumentelle Analytik erlaubt es jedoch, immer geringere Mengen von immer mehr Substanzen nachzuweisen. Vor 20 Jahren konnte man einen Stoff in Milligramm pro Kilo Lebensmittelmenge bestimmen, heute kann man um viele Grössenordnungen tiefere Stoffkonzentrationen nachweisen. Dies wird von der Öffentlichkeit wahrgenommen, als ob mehr Schadstoffe in den Lebensmitteln vorhanden sind. Die Lebensmittel sind aber heute viel sicherer, schon alleine weil wir sie konservieren können. Dazu kommt, dass wir auch immer mehr über ihre Inhaltsstoffe wissen. Werden gefährliche Substanzen wie Nitrosamine oder Acrylamid in Nahrungsmitteln entdeckt, so werden die geeigneten Massnahmen ergriffen, um diese zu eliminieren oder zu reduzieren.

Tierversuche zeigten, dass Acrylamid neurotoxisch und krebserregend ist. Wie gefährlich ist Acrylamid tatsächlich für den Menschen?

Schlatter: Acrylamid hat eine relativ hohe Priorität, da die Aufnahmemenge von Acrylamid durch den Menschen nahe bei der Dosis ist, die beim Tier Effekte hervorruft. Je kleiner dieser Abstand ist, desto genauer muss die Substanz analysiert werden. Es schwierig, über die tatsächliche Gefährdung eine präzise Aussage zu machen, da man auf Modellierungen angewiesen ist. Mit internationaler Zusammenarbeit wird jedoch versucht, den Dosisbereich zu bestimmen, ab welchem die Belastung mit Acrylamid für den Menschen gefährlich wird. So arbeiten wir mit einer amerikanischen Hochschule zusammen, um in einer Studie den Effekt von Acrylamid auf die Entwicklung des Nervensystems von Un- oder Neugeborenen zu testen.

Beschäftigt sich die Schweizer Forschung auch mit der Lebensmitteltoxikologie?

Nein, ausserhalb der Industrie leider nicht. Das Institut für Toxikologie der ETH und der UNI Zürich wurde ja vor einigen Jahren geschlossen. Insofern gibt es keine Institution mehr, die sich ausschliesslich mit Toxikologie beschäftigt. Die meisten Probleme im Lebensmittelbereich sind aber nicht national begrenzt und das BAG ist im Rahmen seiner Möglichkeiten an internationalen Evaluationen beteiligt. Es gibt aber auch Lichtblicke: Die Professur von Walter Lichtensteiger, emeritierter Professor am Institut für Pharmakologie der Universität Zürich, wurde wieder neu besetzt. Und im Falle von Acrylamid werden auch in der Schweiz verschiedene Studien zur Bildung und Möglichkeiten der Reduktion der Gehalte in Lebensmitteln untersucht, so beispielsweise in der Gruppe von Professor Renato Amaḍ an der ETH Zürich.

Der Titel Ihres Vortags suggeriert, dass die Beurteilungsverfahren der Lebensmitteltoxikologie sich zukünftig ändern - inwiefern?

Toxikologen versuchen normalerweise für Stoffe in Lebensmitteln eine Dosis festzulegen, die auch bei lebenslanger Aufnahme keine schädigende Wirkung beim Menschen zeigt. Dieser Wert wird „acceptable daily intake“- oder kurz „ADI“-Wert genannt. Hier gilt es die in


„Der massiven Anreicherung von Lebensmitteln mit biologisch aktiven Inhaltsstoffen stehe ich kritisch gegenüber“, meinte der Lebensmitteltoxikologe Josef Schlatter. gross

der Grundlagenforschung laufend neu entwickelten Untersuchungsmethoden mit einzubeziehen. Ein Beispiel dafür sind die so genannten „Omics“: Hierbei lassen sich anhand von Biomarkern bereits sehr früh Effekte feststellen und Wirkmechanismen oft besser aufklären.

Ein besonderes Problem bieten jedoch die krebserregenden Stoffe: Theoretisch genügt ein Molekül, zur falschen Zeit am falschen Ort, um irreversible Schäden im Erbgut hervorzurufen und damit einen ersten Schritt zur Krebsentstehung zu bewirken. Bis jetzt beschränkte man sich bei solchen Stoffen auf die Empfehlung, so wenig wie möglich dieser Substanzen einzunehmen. Diese Aussage reicht aber nicht aus. Während zum Beispiel das Mykotoxin Aflatoxin eine hohe Wirkungsstärke hat, hat Methyleugenol, ein Inhaltsstoff in Pestosauce, eine viel geringere. Parallel zu neuen Erkenntnissen der Krebsentstehung müssen neue Konzepte in der Lebensmitteltoxikologie geschaffen werden, um den Wirkungsgrad solcher Stoffe zu bestimmen.

An den grundlegenden Beurteilungsverfahren von Stoffen in Lebensmitteln wird sich aber wenig verändern. Die „Kritische Dosis“ von verschiedenen Wirkstoffen wird aber sicher dank neuer Technologien besser ermittelt werden können. Lebensmittel werden somit in Zukunft noch sicherer.

Wird so genanntes „Functional Food“ auch zur vermehrten Sicherheit beitragen?

Davon bin ich nicht überzeugt. Der massiven Anreicherung von Lebensmitteln mit biologisch aktiven Inhaltsstoffen stehe ich kritisch gegenüber. Sojaproteine gelten beispielsweise als sehr gesund. Sie enthalten Isoflavone, die eine östrogene Wirkung haben. Das kann durchaus positiv sein, doch die Folgen der Einnahme von Isoflavonen in 10 bis 50fach höherer Dosierung als durch den Konsum von Soja zu erreichen ist, ist unbekannt. Konsumenten liegen falsch in der Annahme, dass „viel“ Gesundes noch gesünder mache - gesunde und toxische Dosen können sehr nah beieinander liegen. Die heutigen Kenntnisse reichen oft nicht aus, um die Komplexität der Wirkung dieser Stoffe zu beurteilen.

Am 30.November werden Sie nach Ihrem Vortrag mit dem Werderpreis für Lebensmittelkontrolle und –hygiene ausgezeichnet. Was bedeutet Ihnen diese Ehrung?

Es ist sicher eine Genugtuung, wenn jahrelange Arbeit Anerkennung findet. Die Verleihung des Werderpreises freut mich aber besonders, ist dieser Preis doch in erster Linie eine Auszeichnung dafür, einen Beitrag zur Lebensmittelsicherheit in der Schweiz geleistet zu haben. Ich möchte mich an dieser Stelle auch bei meinen Mitarbeitenden und meiner Familie bedanken, die mich immer unterstützt haben.


Literaturhinweise:
Vgl. Bericht ETHLife zum Thema: www.ethlife.ethz.ch/articles/acrylamiddis.html

Fussnoten:
(1) Öffentliches Kolloquium am Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften: www.verw.ethz.ch/vk/VZeig.cfm?veranstid=12218
(2) Homepage des Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften: www.ilw.agrl.ethz.ch/
(3) Homepage des Bundesamt für Gesundheit: www.bag.admin.ch/d/



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!