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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 14.01.2004 06:00

Katastrophale Hygieneverhältnisse in den Megastädten der Entwicklungsländer
"Dreckiges Geschäft" in Slums

Über eine Milliarde Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Dass mehr als doppelt so viele – nämlich die halbe Welt – kein Klo haben, hört man selten. Letzten Mittwoch erläuterte der Geologe Chris Zurbrügg an der ETH die tragischen Zusammenhänge zwischen Armut, fehlenden Sanitäranlagen und Krankheiten und zeigte neue Lösungsansätze auf.

Von Jakob Lindenmeyer

„Man investiert lieber in Wasser als in Scheisse“, umschreibt der Siedlungsabfall-Spezialist salopp die Tatsache, dass die Entwicklungsländer in den letzten zehn Jahren viermal mehr Geld in Wasserprojekte als in Sanitäranlagen steckten. Durch Aufklärung über die Zusammenhänge will der Geologe Chris Zurbrügg von der EAWAG-Abteilung für Wasser und Siedlungshygiene (SANDEC) (1) diese ungleiche Verteilung ändern.

In Entwicklungsländern verbringen Frauen bis zu vier Stunden täglich allein mit der Wasser-Beschaffung. (Farbbilder: SANDEC, EAWAG)

Sein volksnaher Ton kommt an beim Publikum. Denn der mit rund 130 Zuhörern praktisch vollbesetzte ETH-Hörsaal ist fest in den Händen der Jugend. Eingeladen zur Vortragsreihe hatte die Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich (2). Gekommen waren neben den eher etwas älteren Mitgliedern auch viele Studierende und Gymnasiasten der Kantonsschule Küsnacht. „Unsere Geographie-Lehrerin hat uns eingeladen. Das Thema ist cool“, erklärt der 17-jährige Christian.

Überhaupt nicht "cool" ist hingegen die hygienische Situation in den südlichen Armutssiedlungen, kurz Slums. Die Mehrheit der Haushalte haben weder Zugang zu Trinkwasser noch zu Sanitäranlagen. Die Slum-Hütten sind oft baufällig und stehen dicht gedrängt häufig in Gefahrenzonen wie rutschigen Hängen oder hochgradig verschmutzten Überflutungsgebieten. Weil jeden Morgen die Gefahr droht, dass Bulldozer die illegalen Slums platt walzen, baut man nur temporär und provisorisch.

Katastrophale Folgen

Darunter leiden die Bewohner. Rund zehn Prozent der Bevölkerung in Entwicklungsländern leidet an Würmern und sechs Millionen sind erblindet aufgrund mangelnder hygienischer Verhältnisse. Verunreinigtes Trinkwasser und fehlende Sanitäranlagen verursachen jährlich vier Milliarden Durchfall-Erkrankungen mit 2,2 Millionen Toten. „Das entspricht etwa dem Absturz von 20 hauptsächlich mit Kleinkindern voll besetzten Jumbo-Jets pro Tag“, veranschaulicht Zurbrügg die katastrophalen Folgen der ungenügenden Trinkwasser- und Siedlungshygiene.

Aufgrund ungenügender Trinkwasser- und Siedlungshygiene sterben täglich gegen 6000 Kinder. (Bild: UNICEF)

Slums sind im Süden nicht etwa die Ausnahme, sondern viel eher die Regel. In Südasien leben gegen 60 Prozent der Stadtbewohner in Slums, in Schwarzafrika sogar über 70 Prozent. Und das rasante Stadtwachstum von jährlich rund 60 Millionen wird in den Entwicklungsländern gemäss Prognosen noch für die nächsten 30 Jahre anhalten.

Unattraktive Entsorgung

In ihrem „Millenium Development Goal“ Nr. 7 will die UNO zwar den Anteil an Leuten ohne Trinkwasser und Sanitäranlagen bis 2015 halbieren. „Doch dazu müssten täglich 400'000 Menschen mit Sanitäranlagen versorgt werden“, relativiert Zurbrügg die hochgesteckten Ziele. Es brauche hier einfache Lösungsansätze, die von den Leuten selber umgesetzt werden können und einen Demonstrations- und Nachahmungs-Effekt erzeugen.

Zu oft wurden in der Vergangenheit für teures Geld westliche High-Tech-Kläranlagen gebaut, die heute mehrheitlich still stehen. In Ghana sind es über 70, in Mexiko sogar über 90 Prozent. Ursachen für die Misere bei der Versorgung und Entsorgung der ärmeren Stadtbevölkerung liegt neben teils ungeeigneten Technologien auch bei institutionellen Schwierigkeiten und mangelndem politischen Willen. Während sich internationale Grosskonzerne bereits fleissig um die Privatisierung und Vermarktung des Trinkwasser-Bereichs bemühen, geniesst die Entsorgung hingegen noch wenig Prestige.


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Slum-Gewässer als Epidemie-Herd: Defäkieren und Zähneputzen am selben Kanal in Kalkutta, Indien. gross

Stossende Ungerechtigkeit

Wasserversorgungsnetze in Städten sind zwar sinnvoll, doch sind individuelle Hausanschlüsse gerade für Armutsgebiete kaum realisierbar oder erschwinglich. Stossend sind auch die ungerechten Wassertarife, beispielsweise in Manila, das gemäss Zurbrügg typisch sei für Drittwelt-Metropolen: Die philippinischen Slum-Bewohner bezahlen nach Anstehen ihrem Wasserhändler bis zu 20 Prozent ihres Haushalteinkommens für die Minimal-Versorgung mit Wasser zweifelhafter Qualität in Plastik-Containern. Im Gegensatz dazu haben in derselben Stadt Wohlhabende übers Wassernetz rund um die Uhr Zugang zu Trinkwasser in fast beliebiger Menge und bezahlen im Vergleich zu den Armen einen Achtel des Preises.

In Slums ist das Anstehen in der Warteschlange vor dem Wasserhahn meist Aufgabe von Frauen und Kindern. gross

Lokale Sitten ignoriert

In der Entsorgung kommt es zudem immer wieder vor, dass die Sitten und Wünsche der lokalen Bevölkerung ignoriert werden, sodass eigentlich gut gemeinte Projekte schliesslich scheitern. Das im Vortrag präsentierte Beispiel der Restaurierung des Städtchens Shaxi (3) in China zeigte, wie Bedürfnisse und Wünsche der Bevölkerung in die Entsorgungsplanung einfliessen können. Die ursprünglich geplanten Spül-Toiletten und Kanalisation wurden nach Befragung der Bevölkerung zugunsten von Trockenlatrinen und Urinseparierung angepasst, denn die Bewohner wollten ihre für die Düngung wertvollen Ausscheidungen nicht an die Kanalisation verlieren.

Auch wenn es in vielen Slums bereits Sanitäranlagen gibt, so sind diese teilweise trotzdem ungenügend, z.B. mangels Wartung, wie diese öffentliche Toilette in China. gross

Statt über eine teure und anfällige Kläranlage werden Fakälien nun dezentral dehydriert und als Bodenverbesserer verwendet. Der praktisch sterile Urin wird in Plastik-Kanistern gesammelt und als Flüssigdünger verwendet. Diese sehr simple aber effektive Technologie braucht kaum Wasser, ist ausbaubar und verursacht kaum Bewirtschaftungskosten – ganz im Gegensatz zur ursprünglichen Lösung westlicher Prägung.

Recycling und Einbezug der Bevölkerung

Die von einer internationalen Fachgruppe und SANDEC entwickelten Bellagio-Prinzipien und der Haushalts-zentrierte Ansatz (HCES)(4) bilden den Grundstein für zukünftige Projekte in der Siedlungshygiene. Dabei stehen neben "Einbezug der Bevölkerung" und "Probleme möchlichst nahe am Entstehungsort lösen" auch "Abfall als Resource nutzen" im Vordergrund. Viele Entwicklungsorganisationen - so auch die schweizerische DEZA - haben diesen Ansatz in ihre Entwicklungsprojekte aufgenommen.

Abschliessend erläutert Zurbrügg die weiteren Pläne für die Zukunft. Neben fachspezifischen Lobbying auf internationalen Konferenzen will SANDEC vor allem auch technische und wissenschaftliche Grundlagen erarbeiten und verbreiten. Methodische Leitlinien (4) zusammen mit Vorzeigebeispiele sollen die Umsetzung von Projekten unterstützen, beispielsweise im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunkts NCCR Nord-Süd.(5)

„Eine gute Sache und eindrückliche Bilder“, lobt Gymnasiast Christian den engagierten Vortrag. Ein Beitrag zur Verbesserung dieser ungerechten Welt.


Fussnoten:
(1) Website der EAWAG-Abteilung für Wasser und Siedlungshygiene in Entwicklungsländern (SANDEC): www.sandec.eawag.ch
(2) Website der Geographisch-Ethnographische Gesellschaft Zürich: www.geo.unizh.ch/gegz/
(3) „ETH Life“-Bericht über das Restaurierungs- und Entwicklungsprojekt im chinesischen Städtchen Shaxi: www.ethlife.ethz.ch/articles/Shaxi.html
(4) Publikationen und Richtlinien von SANDEC: www.sandec.eawag.ch/Publications/PublicationsHome.htm#SWM
(5) Website des Forschungsprograms NCCR Nord-Süd: Forschungspartnerschaften zu Linderung von Syndromen des globalen Wandels: www.nccr-north-south.unibe.ch



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