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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 12.11.2004 06:00

Ausstellung "Ich bin nicht Stiller" des Max Frisch-Archivs
„Ein Meisterwerk hohen Ranges“

Vor fünfzig Jahre erschien im Suhrkamp Verlag der Roman „Stiller“ von Max Frisch. Das Max Frisch-Archiv an der ETH und das Archiv Peter Suhrkamp Stiftung nehmen das 50. Jubiläum des Buches zum Anlass, eine Ausstellung mit 150 weitgehend unbekannten Dokumenten zu gestalten.

Von Christoph Meier

„Wir leben in einem Zeitalter der Reproduktion.“ Ein Satz, der sich problemlos auf unsere Zeit anwenden lässt. Geschrieben wurde er aber bereits vor fünfzig Jahren und steht im Roman „Stiller“ von Max Frisch, der von 50 Jahren erschien. Im Roman finden sich aber auch Sätze, die sich leichter in seiner Entstehungszeit verorten lassen, beispielsweise „Vor allem kann er als rechtschaffener Schweizer es nicht haben, dass man sich über Missstände amüsiert, statt sie zu verurteilen und mit Entschiedenheit hinter den Eisernen Vorhang zu verweisen.“

Doch wie lässt sich der Roman grundsätzlich in seiner Zeit situieren? Mögliche Antworten finden sich in der Ausstellung „Ich bin nicht Stiller!“, die letzte Woche im ETH-Hauptgebäude im Korridor bei der Graphischen Sammlung eröffnet wurde(1). Hier erfährt der interessierte Besucher in einer Ausstellung mit vielen Trouvaillen, in welchem Umfeld der über zwei Millionen Mal verkaufte Roman entstanden ist.

Verschiedene Umschläge von "Stiller" demonstrieren die weite Verbreitung des Romans. gross

„Ich brauche Anstoss“

Den Hauptbestandteil der Ausstellung bildet eine 18 Meter lange Glasvitrine. In dieser trifft man zuerst auf Skizzenhefte zu „Stiller“. Bereits aus den wenigen vorgestellten Seiten wird klar, dass die Frage der Impotenz ein Problem sein wird, dass die Hauptfigur umtreibt. Briefe von Peter Suhrkamp und dem Lektor seines Verlages dokumentieren, wie gemeinsam um eine Schlussversion gerungen wurde. Frischs Satz „Ich brauche Anstoss, alleine komme ich nie hindurch“ gibt ein beredtes Zeugnis von der Wichtigkeit des Austausches.

Reaktionen auf den Roman dürfen auch nicht fehlen. So lobt der viel beachtete Zürcher Germanist Emil Staiger den Roman in einem Brief als ein „Meisterwerk hohen Ranges“. Er merkt aber auch kritisch an, dass ihn die Sticheleien gegen die Schweiz verdrossen hätten.


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Max Frisch schaffte vor 50 Jahren mit seinem Roman "Stiller" den Durchbruch. (Bilder: Max Frisch-Archiv) gross

Viel Ärger bereitet „Stiller“ den neuen Glarner Nachrichten: „Es sei ihm (Frisch) unbenommen, seine Salonschwipsattitude unserem Sackpatriotismus zur Seite zu stellen, wir geben nicht nach, bis er seine Bosheit abgelegt hat.“ Damit bildet das Lokalblatt aber einen starken Kontrast zu den begeisterten Rezensionen in grossen deutschen Blättern.

Die Stimme des Autors

Gegen Ende der Wandvitrine verweist eine Anzahl verschiedener Buchdeckel auf die vielen Übersetzungen von „Stiller“ hin. Dabei fällt auf, wie oft der erste Satz des Romans „Ich bin nicht Stiller“ als Titel oder zumindest Untertitel erscheint. Ganz zum Schluss dieses Ausstellungsteils prangt ein Reprint aus diesem Jahr von der Erstausgabe von „Stiller“.

Eine noch breitere Einbettung des Romans gelingt anhand von fünf Tischvitrinen. Exponate zum Hörspiel „Rip van Winkle“, den Theaterstücken „Don Juan oder die Liebe zur Geometrie“ und „Graf Öderland“ demonstrieren, dass verschiedene Themenkomplexe von „Stiller“ auch in anderen Werken Frischs anzutreffen sind. Das vom Zürcher Autor, der unter anderem an der ETH Architektur studiert hatte, mitverfasste Manifest „Achtung: Die Schweiz“ ist wiederum Ausdruck von Frischs skeptischer Haltung gegenüber seinem Heimatland. An zwei Stationen kann sich der Ausstellungsbesucher noch hörend mit Frisch befassen. Einerseits kann man „Rip van Winkle“ seine Aufmerksamkeit widmen, andererseits einer Lesung der Isidor-Geschichte aus Stiller, bei der man auf die Stimme des Autors trifft.

Nicht nur der Roman „Stiller“ ist facettenreich, sondern auch die Ausstellung des Archivs dazu. Auf die Frage, ob man im Jahre 2007 zum „Homo faber“ Jubiläum eine weitere Ausstellung erwarten darf, meint der Archivverantwortliche Walter Obschlager, dass man sich nicht wiederholen wolle. Es wird sich also zuerst noch weisen müssen, wie weit eine breitere Auseinandersetzung stattfinden wird zum Roman, der das Leben eines Ingenieurs thematisiert. Käme eine Veranstaltung zustande, hätte das an einer technischen Hochschule sicher einen besonderen Reiz.


Max Frisch Archiv

Das Max Frisch Archiv besteht seit 1981 an der ETH als öffentliche, unentgeltlich zugängliche Institution. Das Archiv umfasst Dokumente zu Frischs Leben und Werk sowie eine annähernd vollständige Sammlung der Sekundärliteratur.

Gemäss dem Betreuer des Archivs, Walter Obschlager, nutzen rund 150 Besucher die Institution, wobei sie von einem Tag bis zu zwei Monaten hier arbeiten. Daneben lassen sich jedes Jahr etwa 20 Schulklassen und ein Dutzend Buchhändler oder andere Gruppen durch das Archiv führen.




Fussnoten:
(1) Die Ausstellung ist vom 6. November bis zum 20. Dezemberim Hauptgebäude der ETH Zürich, Rämistrasse 101, zu sehen: www.mfa.ethz.ch



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