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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 16.11.2005 06:00

ETH Visionen: Tag der Forschung
Forschung muss Vertrauen verbessern

Im Rahmen der Visionenwoche, dem letzten Höhepunkt des 150-Jahr Jubiläums der ETH, ging gestern der Tag der Forschung über die Bühne. Experten aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft debattierten und referierten den ganzen Tag über die Zukunft der Forschung in der Schweiz und der globalisierten Welt.

Peter Rüegg

Zwei Fragen standen gestern im Zentrum des zweiten Tages der Visionenwoche. Der „Tag der Forschung“ sollte klären, weshalb geforscht wird und welche Forschung man überhaupt will.

Je nach Standpunkt wurden diese Fragen anders beantwortet. Die Wissenschaftshistorikerin Lorraine Daston nahm zu Beginn in ihrem Referat den Faden auf, den die Groupe de Réflexion am Ende des Tages der Lehre bereits gesponnen hatte. Diese kam zum Schluss, dass Neugier die Schlüsselkompetenz für eine erfolgreiche Lehre sei. Neugier, so die Leiterin des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte, sei auch die wichtigste Triebfeder für Forschung.

Die Gesellschaft habe Neugier zuerst akzeptieren müssen. Früher sei Neugier als Laster betrachtet worden. In der Neuzeit jedoch sei sie zu einer Tugend geworden und habe wesentlich dazu beigetragen, das immense Wissen von heute zu schaffen. Ganz frei sei diese Neugier jedoch nie gewesen, sondern sie habe sich stets wirtschaftlichen und ethischen Zwängen unterwerfen müssen.

Forschung als Wirtschaftsfaktor

Wirtschaftliche Zwänge sind es auch, die Singapur dazu veranlassten, massiv mehr Geld in die Forschung und Entwicklung zu stecken. Das ging aus den Ausführungen von Singapurs ehemaligem Stellvertretenden Premierminister, Tony Tan, hervor. Er betrachtete Forschung – jenseits von philosophischen Ansätzen - vor allem als Motor für die wirtschaftliche Entwicklung seines Landes. Singapur hat in wenigen Jahrzehnten den Schritt von einem Drittwelt-Land in eines der höchst entwickelten Länder der Erde vollzogen. Tan entwarf das Bild eines Landes, das seine Entwicklung alle zehn Jahre radikal auf die Bedürfnisse der Weltwirtschaft ausrichtet und damit Erfolg hat. Seit dem steilen Aufstieg Chinas und Indiens baut sich das kleine Land in eine Wissenschafts-Hochburg um – und will damit vor allem gutes Geld verdienen.

Singapur werde in den kommenden Jahren 12 Milliarden S$ in die Forschung und Entwicklung investieren und damit den bisherigen Forschungsetat mehr als verdoppeln, sagte Tan. Er zeigte auf, dass sich Singapur zu einem internationalen Umschlagplatz für Forschungstalente entwickeln werde und er war davon überzeugt, dass sein Land dadurch von Investitionen und Wirtschaftswachstum profitieren werde. „Wer die besten Talente anzieht, wird die Nase vorne haben“, sagte der ehemalige Politiker. Die Forscher, die Singapurs Erfolgsgeschichte weiter schreiben sollen, stammen alle aus dem Ausland.

Forscher: Kein attraktiver Beruf?

Was Singapur offenbar leicht fällt, ist in den westlichen Ländern zunehmend schwierig geworden. Gerade bei der Rekrutierung junger begabter Leute für die Forschung sahen Lorraine Daston und Susanne Suter, Präsidentin des Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierats, grosse Probleme. „Die besten jungen Menschen wollen keine Forscherkarriere mehr machen“, hielt Daston ernüchtert fest. Und führte dies auf die mangelnde Risikobereitschaft der heutigen jungen Generation in entwickelten Ländern zurück. Tatsächlich könne der berufliche Weg in der Forschung rasch zu Ende sein. Zudem sei die Wahl des Forschungsthemas „eine Wette“, die man abschliesse.

Um die Freude am Risiko zu steigern, dürfe man aber bei der Rekrutierung nicht zu sehr die Sicherheit des Jobs betonen, sondern mehr das Spielerische. Auch Suter machte geltend, dass Jugendliche und Kinder ängstlicher seien als früher. Die Forschung müsse daher schon vor dem Studium auf die Jugendlichen zugehen, um bei ihnen die Neigung zur Risikofreudigkeit früher zu entwickeln.

Zu wenig Transparenz

Nachholbedarf loteten die versammelten Experten auch bei der Öffentlichkeitsarbeit aus. Der Wissenschaftsminister Portugals, Professor José Gago war überzeugt, dass Forscher zu wenig tun würden, um die Wissenschaft der Öffentlichkeit zu zeigen. „Es reicht nicht, einfach ein Science Center zu haben, wo Eltern mit ihren Kindern hingehen und sich wissenschaftliche Experimente anschauen“, sagte er. Es müsse ein echter Kontakt zu Wissenschaftlern zustande kommen. Zwischen Wissenschaft und Gesellschaft klaffe deshalb eine Lücke. Als beste Möglichkeit pries Gago den Kontakt von Forschenden zu Schulen und Lehrern. „Wir müssen eine Kultur der Nähe schaffen“, schloss der Wissenschaftsminister.


Essays 2030 online – Umsetzung einer Vision

(cm) Innerhalb des ETH-Jubiläums fand auch der Essay-Wettbewerb "Visionen ETH 2030" statt. Die vier Siegerbeiträge fanden zusammen mit Beiträgen von eingeladenen Autoren Eingang in das Buch "Essays 2030", das Mitte dieses Jahres im NZZ-Verlag erschienen ist und gestern im Rahmen der Visionsveranstaltung noch einmal präsentiert wurde. Nun steht das Werk auch online zur Verfügung (1). "Essays 2030" ist damit wahrscheinlich das erste Schweizer Buch, das sowohl in einer grösseren Auflage gedruckt, als auch online unter einer Creative Commons-Lizenz (2) publiziert wurde. Diese Publikationsform schlug Wettbewerbsgewinner Marcus M. Dapp vor. Dieser hatte bereits in seinem Essay die Vision einer Pionierfunktion der ETH bei der weltweiten Förderung eines nachhaltigen Umganges mit digitalem Wissen und Kultur formuliert. Er wendet sich dabei gegen eine Verschärfung des Konzepts vom geistigen Eigentum und plädiert dafür, eine möglichst weite Verbreitung von Wissen und Kultur zu ermöglichen. Mit der Online-Publikation von "Essays 2030" hat sich die ETH Zürich nun mit einem kleinen Schritt der Vision von Marcus Dapp angenähert.




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Heizte mit seinem Votum die Diskussionen über schweizerische und internationale Forschungspolitik und -finanzierung an: Singapurs ehemaliger Stellvertretender Premierminister Tony Tan. (Bild: S. Kubli) gross

Mehr Transparenz ist, so eine weitere Erkenntnis des Tages, nötig, um auch die Politik auf die Seite der Forschung zu bringen. Der Wissenschaft fehlt es an Lobbyisten, die persönlich für ihre Sache einstehen und Politiker mit Informationen versorgen. „Zu viele Politiker sind weit weg von den Universitäten“, stimmte CVP-Nationalrätin Kathy Riklin zu.

Politik hat zu wenig Vertrauen

Kern der Sache: Forschung lebt hierzulande meist von öffentlichen Geldern, und darüber verfügt die Politik. Sieht sie den Sinn von Projekten nicht ein, gerade von Grundlagenforschung, setzen Politiker schnell den Rotstift an, führte FDP-Ständerätin Christiane Langenberger aus. Rentiere sich die Investition nicht, werde die Forschung als minderwertig abgeschossen. Auch von der Industrie ist für langjährige Grundlagenforschung kaum Geld zu erwarten. Alstom-Direktor Tony Kaiser bestätigte seinerseits, dass die Industrie meist nur angewandte Forschung bezahlt, die sich in absehbarer Zeit auch in Produkte und klingende Münze umwandeln lasse: „Produkte-Forschung verschlingt den grössten Teil unseres Budgets für Forschung und Entwicklung“.

In seinem Schlussvotum nahm Ulrich W. Suter als Schirmherr des Tages das Fazit der Groupe de Réflexion beinahe vorweg: In Europa sei das Vertrauen in die Forschung erschüttert. In Asien hingegen sei anerkannt, dass Forschung der Bevölkerung nütze. Die Politik betrachte hierzulande Wissenschaft nur noch als Kostenfaktor oder als Konkurrenz zu anderen wichtigen staatlichen Bereichen. „Aus dieser Sicht müssen wir ausbrechen“, so der Vizepräsident Forschung der ETH. Die Forschung dürfe nicht allein aufs Geld reduziert werden. Forschung erleuchte die Gesellschaft. Doch die Schweiz habe nicht einmal einen einen Wissenschaftsminister.

Enttäuschender Besucheraufmarsch

Der Tag der Forschung war wesentlich schlechter besucht als der Tag der Lehre. Das Auditorium Maximum, wo die Referate gehalten wurden und zwei Podiumsdiskussionen mit prominenter Besetzung stattfanden, war meist nur zu einem Drittel besetzt. Auch die anderen Programmteile, darunter die Präsentation des Buchs „Zukunftsspiegel: Essays 2030 – Innovation durch Kooperation“ sowie die beiden Mittagsgespräche in der Haupthalle fanden wenig Zuhörerinnen und Zuhörer. Dies trotz grossem organisatorischem Aufwand und künstlerischen Filminstallationen von Heinz Niederer in der Haupthalle.


Fazit der Groupe de Réflexion zum Tag der Forschung: Vertrauen schaffen

"Neugier ist unersättlich, Forschung ist unerschöpflich. Wissenschaftliche Forschung schafft die Basis für Innovationen und trägt zur Kultur bei", leitete Professorin Felicitas Pauss die Runde ein. Weitere Erkenntnisse des Tages:

• Die internationale Konkurrenz wird in der Wissenschaft immer grösser: Zielstrebigkeit und Fokussierung sind unerlässlich, um an der Spitze zu bleiben. Interdisziplinäres Forschen wird immer wichtiger.

• Freiräume für neugierige, innovative Forschende sind notwendig. Sie bedeuten jedoch auch Verantwortung.

• Die Forschenden müssen intensiver mit Gesellschaft und Politik in den Dialog treten und sich Vertrauen erwerben.

• Die Gesellschaft setzt die ethischen Richtlinien für Forschung und Anwendung des Wissens.

• Finanzierung der Forschung nach der Formel K = P/2 x F wobei K = Kredit, P = Qualität der Projekte, F = Persönlichkeit des Forschers.




Fussnoten:
(1) Online Version von „Essays 2030“: www.essays2030.ethz.ch/onlineversion/index
(2) Mehr Informationen zu Creative Commons unter: http://creativecommons.org/about/history



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