ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Tagesberichte
Print-Version Drucken
Publiziert: 03.10.2005 06:00

Baustellenbesuch im Zwischenangriff Amsteg der NEAT
Tief im Bauch der Berge

Über zwei Drittel des Zwischenangriffs Amsteg sind ausgebrochen. Doch seit Juni steckt in der Weströhre die Tunnelbohrmaschine fest. Denn trotz präziser Vorhersagen stecken die Tiefen des Gotthardmassivs auch für Fachleute voller Überraschungen. Augenschein auf der Tunnel-Baustelle.

Peter Rüegg

Die Stollenbahn rattert, rüttelt und lärmt von Amsteg her ins Dunkel des Zugangsstollens in Richtung des Zwischenangriffs Amsteg. Man versteht das eigene Wort kaum mehr, leichter Dieselgeruch steigt einem in die Nase. Alle paar Meter blitzt eine Neonleuchte auf. Die Fenster des Zugs sind beschlagen. Im Inneren des Tunnels herrschen mit 25 Grad und 80 Prozent Luftfeuchte tropische Verhältnisse. In Amsteg war es kühl und es regnete. Der Berg aber heizt. Bei einer Felsdecke von 2300 Metern wird es im Tunnel bis zu 45 Grad heiss. Man sei zudem näher am magmatischen Untergrund, gibt Frank Lemy, ETH-Oberassistent am Geologischen Institut, durch den allgemeinen Lärm hindurch zu verstehen, und auch die Abwärme der Maschinen trage dazu bei, dass die Mineure bei der Arbeit tüchtig ins Schwitzen kommen.

Bohrer der Giganten

Mit einem kräftigen Ruck kommt die Stollenbahn zum Stillstand. Den Rest bis zur Baustelle gehen wir mit einer Gruppe von Geologen, die am ETH-Symposium über die Geologie des Alptransits von Ende September (1) teilgenommen hatte, zu Fuss. Man wähnt sich im Bauch eines Schiffs, überall Leitungen, Röhren, Treppchen nach oben, nach unten. Um Tageslicht zu sehen, müsste man acht Kilometer bis nach Amsteg durch den Tunnelrohbau zurückwandern oder sich 1800 Meter senkrecht nach oben durchbohren. Wir stapfen mit unseren gelben Gummistiefeln, den gelben Helmen und den leuchtend orangenen Overalls über eiserne Planken.

Lärm schlägt uns entgegen, wahrscheinlich von der Lüftung. Wir stehen schon auf der Tunnelbohrmaschine (TBM) - ohne dass man sich dies bewusst wurde. Es ist schwierig, in dem Wirrwarr aus Baumaterial und Maschine den Überblick über den gigantischen Bohrer zu behalten. Die Geologen der Besuchergruppe betasten die Tunnelwände. Zwischen den Armierungsgittern ziehen sie kleinere Bruchstücke hervor und begutachten diese fachmännisch. An gewissen Stellen ist der Fels so mürbe, dass er mit blossen Händen zerbrochen werden kann.

Weströhre: TBM steht still

Damit hat die TBM in der Regel keine Probleme – es sei denn, wenn Wasser im Spiel ist. Wie in der Weströhre. Nach rund acht Kilometern des Zwischenagriffs Amsteg (2), am 18.6.2005, haben die Mineure eine Wasser führende Gesteinslinse mit sogenannt hydrothermal zersetztem Fels angebohrt, welcher vor und über dem Bohrkopf lag. Das Gemisch aus Wasser und Steinen stürzte darauf und blockierte die Bohrmaschine. „Das ist das erste Mal, dass die TBM stecken geblieben ist“, sagt der Tunnelgeologe Beat Frei. Schuld daran sei vor allem das viele Wasser gewesen.

Ansonsten würde sich der träge Gigant an einem guten Tag 30 Meter durch den Berg fressen, einen Meter jedoch nur, wenn das Gestein schlecht und der Vortrieb dementsprechend schwierig wird. 130 Tonnen wiegt allein der Antrieb der TBM, 3000 Tonnen die ganze Maschine, die volle 440 Meter Tunnellänge einnimmt. Der Bohrkopf hat einen Durchmesser von neuneinhalb Metern und ist besetzt mit 50 Rundmeisseln aus gehärtetem Stahl. Wegen der Abnützung müssen die Mineure den Bohrkopf immer wieder revidieren, in letzter Zeit häufiger. „Die Blockigkeit hat zugenommen, das heisst, dass auch mehr Blöcke auf die Bohrköpfe schlagen und sie beschädigen“, erklärt Frei.

Zwangspause für Arbeiter

Sechs Monate dauert nun der Unterbruch, bis der Bohrer wieder flott ist. Von der Oströhre her sprengen und meisseln sich die Mineure einen Zugang zur Weströhre. Noch fehlen 30 Meter, bis sie zur blockierten TBM Zugang haben. Über einen kleineren Stollen, den sie weiter hinten angelegt haben, spritzen sie Gel auf den Bohrkopf. Das soll die Lage stabilisieren und den Bohrkopf vor weiteren Schäden schützen. Im Dezember soll es, falls alles wie geplant läuft, endlich wieder vorwärts gehen. Zweimal vier Monate Stillstand des Vortriebs haben die Tunnelbauingenieure zwar einberechnet. Doch motivierend ist das nicht. Verschluckt zu sein vom Berg und keinen Meter vorwärts zu kommen. Ein Teil der Belegschaft wurde gar nach Hause geschickt.

Nachschub für die Tunnelbauer: Ein Güterzug fährt in den Zugangsstollen des Zwischenangriffs Amsteg ein. Darüber liegen die Lüftungsrohre für die Kühlung und Frischluftzufuhr der Baustelle acht Kilometer im Berg drin. gross


weitermehr

Der Bohrkopf in der Oströhre des Zwischenangriffs Amsteg ruht für Wartungsarbeiten. gross

Nur gut, dass ausser in Amsteg auch in Erstfeld, Sedrun, Faido und Bodio am längsten Eisenbahntunnel der Welt gearbeitet wird. 57 Kilometer lang wird der Alptransit, sticht in Erstfeld in den Berg und kommt erst in Bodio wieder ans Tageslicht. Zwei Parallelröhren werden den Berg durchziehen, alle 325 Meter durch Querstiche miteinander verbunden. In den Multifunktionsstellen Sedrun und Faido sollen die Züge dereinst auch von der einen in die andere Röhre wechseln können.

Fünf Mal die Cheopspyramide

Von historischen Ausmassen ist auch der Tunnel-Ausbruch. Er würde reichen, um fünf Cheopspyramiden zu bauen - 13 Millionen Kubikmeter oder 24 Millionen Tonnen Ausbruchmaterial. Ein Teil davon ist im Urnersee verschwunden, versenkt, um das Delta der Reuss wiederherzustellen, das der Kiesabbau in den letzten Jahrzehnten kaputt gemacht hat. Profitiert davon haben Vögel und Menschen, erstere haben neue Brutgelegenheiten bekommen, letztere Inseln für den Badespass (3). Einen Teil des Ausbruchmaterials verwenden die Tunnelbauer jedoch an Ort. Sie stellen daraus Spritzbeton her, um die Tunnelwände zu stabilisieren.

Geologie ohne grosse Probleme

Im Sommer 2006 wollen die Tunnelbauer die Abschnittsgrenze zu Sedrun erreicht haben. 11,4 Kilometer durch Erstfelder Granit, die Phylliten und Schiefer der Intschi-Zone und den Quermuskovit-Gneis des Tavetscher Zwischenmassivs. Die geologischen Überraschungen haben sich beim Vortrieb bisher in Grenzen gehalten. Bereits auf der Bergoberfläche sehen die Wissenschaftler, was sie in zwei Kilometern Tiefe in ungefähr erwartet. Und diese Prognosen haben sich meist als richtig erwiesen. Überraschend für Tunnelgeologe Beat Frei war hingegen, dass der Alptransit 600 Meter Bristner Gneis durchquerte, obwohl an der Oberfläche nichts davon zu sehen war. Bautechnisch anspruchsvoll hätte auch die Intschi-Zone werden können. Die Geologen veranschlagten ihre Dicke mit fast einem Kilometer. Doch nach 440 Metern war sie bereits zu Ende. Dass davon die weichen und verformbaren Schiefer und Phyllite nur rund 100 Meter ausmachten, entsprach dagegen den Voraussagen.

Zürich - Mailand unter 3 Stunden

Unsere Gruppe muss die Baustelle verlassen. Die Mineure sind ungeduldig, weil sie die TBM für unseren Besuch anhalten mussten. Zeit ist Geld, gerade auf der NEAT-Baustelle. Sieben Milliarden Franken kostet allein der Alptransit Gotthard. 2015 wird er in Betrieb genommen, und dann donnern die Reisezüge mit 200 bis 250 km/h in Richtung Italien. Das verkürzt die Reisezeit von Zürich nach Mailand von gut vier auf 2 Stunden 50 Minuten, mit dem Bau der Ceneri- und Zimmerbergtunnels nochmals um 10 Minuten.

Noch ist man davon weit entfernt, sowohl in Tunnelkilometern als auch in Jahren gesprochen. Mit vielleicht 25 km/h tuckert die Stollenbahn in Richtung Amsteg. Endlose Minuten verstreichen. Bis nach fast einer halben Stunde Tageslicht durch die kleinen Fenster dringt und der Zug mit einem abrupten Halt zum Stillstand kommt.


Fussnoten:
(1) vgl. ETH Life-Artikel „Von der Planung zum Betrieb“: www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/NeatWorkshop.html
(2) Ausführlicher Beschrieb des Projekts unter: www.alptransit.ch/pages/d/
(3) Weitere Informationen zur Seeschüttung: www.seeschuettung.ch



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!