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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 20.03.2003 06:00

Im Irak hat der Krieg begonnen – ein Gespräch mit dem ETH-Sicherheitsexperten Andreas Wenger
"Der Krieg ist der einfachere Teil"

Im Irak hat der Krieg begonnen. "Das war unausweichlich", sagt Professor Andreas Wenger von der Forschungsstelle für Sicherheitspolitik der ETH Zürich (1). Er ist auch überzeugt, dass Saddam über B- und C- Waffen verfügt. Für Wenger bleibt aber offen, ob der Diktator fähig und willig ist, diese auch einzusetzen. Die Kampfhandlungen werden der einfachere Teil der Auseinandersetzungen sein, vermutet der Experte. Viel schwieriger wird es, eine tragfähige politische Nachkriegslösung zu finden.

Von Regina Schwendener

Der Beginn des Kriegs war nicht mehr zu stoppen. Ist die Art und Weise, wie es dazu kam, mit anderen Fällen vergleichbar oder steht dieser Krieg singulär in der historischen Landschaft da?

Andreas Wenger: Stimmt. Der Krieg war nicht mehr zu stoppen. Es ist aber sehr schwer, Kriegsausbrüche miteinander zu vergleichen, weil jeder seine Besonderheiten kennt. Da ist einmal auf die sehr lange Vorgeschichte dieses Krieges hinzuweisen. Die internationale Völkergemeinschaft hat sich seit über zehn Jahren mit der Situation im Irak auseinandergesetzt. In der Uno-Diskussion hat es dabei unterschiedliche Meinungen über die Implementierung des Rüstungskontrollregimes gegeben. Was wir jetzt haben ist ein diplomatischer Scherbenhaufen, weil sich die Länder im Sicherheitsrat der Uno nicht einigen konnten.

Ich denke allerdings, dass kein Konsens gefunden werden konnte, ist auch ein Hinweis darauf, dass es nicht nur um das Rüstungskontrollregime gegenüber Saddam Hussein gegangen ist, sondern dass der Konflikt eben auch im regionalen Kontext des krisengeplagten Nahen und Mittleren Ostens zu sehen ist. Die Europäer sind tendenziell der Meinung, dass ein Krieg zu einer beschleunigten Destabilisierung der ganzen Region führen wird, während amerikanische Stimmen sagen, die Region sei schon destabilisiert. Letztere hoffen zudem, mit einem Regimewechsel im Irak eine Demokratisierung der arabischen Welt einleiten zu können. Seit dem 11. September 2001 sieht Washington die Frage nach der Zukunft des Rüstungskontrollregimes zudem im globalen Kontext des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus. Innerhalb der Regierung Bush wurde intensiv diskutiert, wie man sich gegen nichtstaatliche Akteure schützen kann, die bereit sind, auf terroristische Mittel zurückzugreifen. In diesem Zusammenhang haben die Amerikaner eine neue sicherheitspolitische Doktrin eingeführt, die solchen Bedrohungen präventiv entgegentreten will. In diesem Fall beruft sich Präsident Bush allerdings ausdrücklich auf irakische Verstösse gegen eine ganze Reihe von Uno-Resolutionen.

Was passiert mit Saddam Hussein?

Ich denke, es ist unrealistisch davon auszugehen, dass Saddam Hussein vor Kriegsbeginn mit seinen Söhnen ins Exil geht. Eine der unbeantworteten Fragen ist, wie sich Saddam Hussein in diesem Konflikt verhält. Man sieht, dass er seine Verteidigung mit Elitetruppen rund um Bagdad zusammengezogen hat. Er wird versuchen, den Aufmarsch der Koalition möglichst zu verzögern, um die Amerikaner in einen langwierigen Kampf zu verstricken. Militärisch werden die USA diesen Konflikt allerdings mit Sicherheit für sich entscheiden; die Frage ist, zu welchen menschlichen und politischen Kosten.

Was passiert aber mit Saddam? Ich sehe drei Möglichkeiten: Entweder wird er in der militärischen Auseinandersetzung den Tod finden, oder es gelingt den Amerikanern, ihn festzunehmen und vor ein internationales Tribunal zu stellen. Geht Hussein aber in den Untergrund, wird es für die Amerikaner sehr schwierig werden, des Diktators habhaft zu werden. Die Person Saddam Hussein ist jedoch gar nicht so wichtig. Wichtiger ist, sicherzustellen, dass die Massenvernichtungswaffen – chemische und biologische Waffen - nicht eingesetzt werden.

Schon im Golfkrieg hatte man gesagt, dass Saddam Hussein abtreten müsse. Ist es denkbar, dass er sich auch diesmal hält?

Nein, das halte ich aus zwei Gründen für unwahrscheinlich. Zum einen ist auf den Mangel an Unterstützung für das Regime hinzuweisen. Es ist davon auszugehen, dass grosse Teile der Armee nicht für Saddam Hussein werden sterben wollen. Die kritische Frage ist, was die relativ kleine Elitetruppe Saddam Husseins, die Republikanischen Garden, machen, wie loyal sie sich verhalten. Sicher ist, er muss früher oder später als politischer Führer des Iraks abtreten.

Seine politische Existenz ist in jedem Fall beendet?

Als Führer des Iraks hat Saddam Hussein keine politische Zukunft. Nur muss man sich die Frage nach den Kosten seines Abtretens stellen. Ist er bereit, seine Massenvernichtungswaffen einzusetzen, auch wenn die irakische Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen wird?

Wie ernst sind die Drohungen mit Terroranschlägen zu nehmen?

Saddam Hussein hat betont, dass er einen globalen Kampf gegen die USA führen werde. Terroristische Anschläge in der ganzen Welt sind zwar nicht auszuschliessen, Saddam Hussein wird diese aber nicht koordinieren können.


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Andreas Wenger, ETH-Professor für Schweizerische und Internationale Sicherheitspolitik.

Er selbst wird Terroranschläge nur innerhalb des Iraks mit Hilfe von Widerstandstruppen organisieren können, die möglicherweise in Zivilkleidung aus dem Untergrund wirken - vielleicht auch mit Auswirkungen auf die Region, in Kuwait zum Beispiel, allenfalls auch gegenüber Israel.

Glauben Sie, dass Saddam Hussein doch noch Massenvernichtungswaffen hat?

Es ist davon auszugehen, dass im Irak nach wie vor B- und C-Waffenpotenziale vorhanden sind. Der Ort aber, an dem sie gelagert sind, dürfte nur einem sehr kleinen Kreis um Hussein bekannt sein. Was man nicht abschätzen kann ist, ob er bereit ist, diese Mittel auch einzusetzen.

Wie gross ist die Gefahr, dass im Irak nach Saddam Hussein die verschiedenen Volks- und Religionsgruppen ihre Partikularinteressen durchzusetzen versuchen und das Land zerbricht?

Im Irak ist die Machtkonzentration auf Saddam Hussein und seinen Clan ausserordentlich stark. Vor diesem Hintergrund muss man davon ausgehen, dass der Übergang von diesem diktatorischen Regime zu einer neuen politischen Ordnung nicht einfach sein wird. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung könnte durch eine ganze Serie von Faktoren in Frage gestellt werden: Kämpfe zwischen irakischen Kurden, Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten, Widerstand durch Splittergruppen der Republikanischen Garden oder auch durch islamische und fundamentalistische Gruppierungen. Die Entscheidung auf dem militärischen Schlachtfeld dürfte der einfachere Teil sein, die Frage des Wiederaufbaus und der Etablierung einer neuen politischen Ordnung der schwierigere. Vor diesem chaotischen Hintergrund ist die Vision von Präsident Bush, innert kürzester Zeit Pluralismus und Demokratie im Irak zu etablieren, illusorisch

Die Uno wird von den USA gedemütigt. Wie gross ist der Schaden für die Völkergemeinschaft und die internationale Sicherheitsarchitektur durch den amerikanisch-britischen Alleingang?

Kurzfristig gesehen ist klar, dass dieses seit vielen Monaten anhaltende diplomatische Gerangel zu einer Spaltung des Uno-Sicherheitsrates geführt hat. Neben einer Schwächung der Uno beobachten wir auch Turbulenzen innerhalb der Nato und der Europäischen Union. Was die Europäer allerdings gerne übersehen, ist die Tatsache, dass es auch 1999 in der Kosovofrage keine Einigung im Sicherheitsrat gab und gegen den ausdrücklichen Willen Russlands und Chinas militärisch gegen das Milosevic-Regime vorgegangen wurde. Ich gehe davon aus, dass, wenn der Krieg schnell beendet wird, die Amerikaner die Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit erkennen werden. Der Wiederaufbau einer neuen politischen Ordnung im Irak kann nur in einem internationalen Kontext erfolgen.

Was hält ein Land wie Spanien oder Grossbritannien so unbeirrt in der "Koalition der Willigen"?

Die "Koalition der Willigen" ist in der Tat sehr dünn und wird stark von bilateralen Verträgen und Bindungen bestimmt. Wenn man aber an die Rede von Tony Blair am Dienstag vor dem Parlament denkt, sieht man, dass es den Koalitionswilligen um internationale Sicherheit geht, um eine Eindämmung der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und um die Stabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens.

Schon in den Jahren nach dem Golfkrieg hat der Irak Mühe gehabt, die Infrastrukturschäden - zum Beispiel Wasserversorgung - zu beheben. Müssten nicht die USA und Grossbritannien für den jetzt angerichteten Schaden aufkommen?

Der Erfolg wird sich mittel- und langfristig nicht allein am militärischen Resultat messen lassen. Ausschlag gebend wird sein, wie sich die irakische Bevölkerung gegenüber den amerikanischen Truppen stellt. Dies wiederum wird nicht zuletzt davon abhängen, wie schnell und mit wie vielen zivilen Verlusten der Krieg zu Ende gehen wird. Schwieriger wird es, wenn sich der Krieg hinziehen sollte. Wenn es um den Wiederaufbau geht, müsste den Amerikanern an einer möglichst schnellen Internationalisierung gelegen sein und an einer starken Rolle der Uno. Interessant ist, dass die Amerikaner in der Nachkriegsplanung offensichtlich daran denken, nicht nur mit der Uno, sondern verstärkt mit privaten Institutionen zusammenzuarbeiten.


Fussnoten:
(1) Homepage des Instituts: www.isn.ethz.ch/



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