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Rubrik: Tagesberichte
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Publiziert: 21.10.2002 06:00

Nobelpreisträger Kurt Wüthrich zu seiner Arbeit
"Die ETH kann stolz sein"

Der Nobelpreis von Kurt Wüthrich löste eine grosse Welle an Begeisterung und Hoffnung aus. Der Geehrte nimmt im Interview mit "ETH Life" ausführlich Stellung zu den Konsequenzen des Preises aber auch zu seiner momentanen und zukünftigen Arbeit.

Interview: Christoph Meier

Was hat sich verändert, seit Sie Nobelpreisträger sind?

Kurt Wüthrich: Es ist etwas hektischer geworden, aber auf eine sehr sympathische Art und Weise. Ich muss mich daran gewöhnen, dass ich nicht mehr immer selber bestimme, was geht, sondern das zu einem grossen Teil über meine Zeit verfügt wird.

Der Nobelpreis ist Lohn und Anerkennung Ihrer Forschungsarbeit. Bei Stanley Prusiner sprach man aber auch davon, dass sein Nobelpreis einen Schub für die Erforschung von Prionenkrankheiten darstellt. Sehen Sie jetzt auch beim diesjährigen Chemie-Nobelpreis etwas Vergleichbares?

In den letzten Jahren sind wir durch das Zeitalter der Genomik gegangen. Dabei wurde eine immense Masse an Information über die lineare Anordnung der Basenpaare auf der DNA ermittelt. Mittlerweile ist klar, dass es keine "Ein Gen ein Protein"-Beziehung gibt, sondern dass es aus einem Gen auf der DNA Hunderte oder Tausende von Proteinen geben kann. Damit sind wir in das Postgenom-Zeitalter, das mit Proteomik oder Structural Genomics bezeichnet wird, eingetreten. In diesem Gebiet bilden die von mir weiter entwickelte nuklearmagnetische Resonanzspektroskopie (NMR), die Kristallographie und die Massenspektroskopie die Schlüsseltechniken. Das ist sicher mit ein Grund, wieso der Nobelpreis dieses Jahr für zwei dieser Methoden verliehen wurde.

Wie wichtig war für die Verleihung des Preises an Sie, dass Sie die NMR-Methode auch im Gebiet der Prionenerkrankungen angewandt haben?

Es besteht kein Zweifel, dass ich aufgrund der Arbeiten über Prionen in der Schweiz und in ganz Euopa bekannt geworden bin. Wenn man eine solche Struktur löst, erlangt man einen Bekanntheitsgrad, den man durch physikalisch-chemische Arbeiten über eine Spektroskopie-Methode nicht so einfach bekommt. Was die Nobelpreisvergabe betrifft, ist die Formulierung klar: Die Prionen werden als eine besonders interessante Anwendung erwähnt, aber ausgezeichnet wird die Technik, die wir entwickelt haben, um später unter anderem die Prionproteine zu untersuchen.

Werden Sie im Gebiet der Prionen noch weiterforschen?

Ja, ich werde hier im Labor in Zürich weiterforschen. Im Moment sind wir daran, die Prionproteine von noch nicht untersuchten Arten zu untersuchen. Zudem werden wir in Zukunft nicht nur Proteine studieren, die in E.coli-Bakterien rekombinant produziert wurden, sondern zum Vergleich auch solche, die wir direkt aus dem Kuhhirn isolieren.

Sie haben diesen Sommer einen Rekord mit der NMR-Methode aufgestellt (1), in dem Sie ein Protein mit einer molekularen Masse von fast 1 000 000 analysiert haben. Geht hier die Tendenz zu immer grösseren Strukturen?

Das erwähnte Protein ist schon sehr gross. Beim dazugehörigen Experiment ging es primär einmal um Physik. Wir haben Methoden und Tricks herausgefunden, mit denen wir die maximale Grösse von mit NMR in Lösung untersuchbaren Molekülen von rund 50 000 auf knapp eine Million Dalton erhöhen konnten. Jetzt geht es vor allem darum, in diesem Bereich bis zu einer Million etwas Interessantes zu machen.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Eine mögliche Anwendung ist, aggregierte Formen von Prionproteinen zu untersuchen. Hier sind wir aber mit den Präparationsmöglichkeiten hinter der Spektroskopie zurück geblieben.

Kann man somit auch die krankhafte Form des Prion-Proteins untersuchen?

Im Prinzip besteht eine gute Chance, dass man das jetzt machen könnte.

Welchen Forschungsfragen möchten Sie sonst noch nachgehen?

Neben der Prionenforschung und den grossen Molekülen gibt es noch ein drittes, für uns ganz neues Gebiet, die Membranproteine. Diese können erst aufgrund der von uns neu entwickelten Techniken untersucht werden. Es ist jetzt möglich, Membranproteine in geeigneter Form zu präparieren und mit NMR ihre Struktur zu untersuchen.

Wie organisieren sie ihre zukünftige Arbeit hier in Zürich?

Das ist bereits seit einem Jahr festgelegt. Mir wurde von der ETH Laborplatz und von Bern Geld zugesichert, damit ich hier weiter arbeiten kann. Zudem habe ich bereits Leute angestellt, die nach meinem Rücktritt die Arbeit weiterführen werden.

Gibt es eine zeitliche Limitierung?

Das muss sich zeigen, aber für ein bis zwei Jahre über meinen Rücktritt hinaus ist die Weiterarbeit in Zürich sichergestellt. Ich werde auch eine Reihe von ETH-Doktoranden ans Scripps Research Institute im kalifornischen La Jolla mitnehmen.


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Hat noch viele Forschungspläne: Chemie-Nobelpreisträger Kurt Wüthrich. gross

Was werden Sie in den USA erforschen?

In den USA ist das Hauptgebiet strukturelle Genomik, speziell die strukturelle Genomik von Membranproteinen.

Gibt es keine Probleme, wenn man eine Gruppe aus der Ferne betreut?

Da muss man einfach etwas organisiert sein. Es ist spannend und teilweise etwas anstrengend, aber mit den heutigen Kommunikationsmitteln sicher machbar.

Ist das Labor in den USA noch besser ausgerüstet?

Im Moment ist es etwa gleich ausgerüstet wie mein Labor an der ETH in Zürich.

Wie viel kostet so ein Labor?

Der Neuanschaffungswert der Geräte hier in Zürich ist zwischen 10 und 15 Millionen Franken. Dazu kommt der Betrieb mit 25 Leuten, der vermutlich etwa 3 Millionen pro Jahr kostet. Die ETH hat noch kürzlich 6,6 Millionen gezahlt für das neuste Gerät, für das auch zusätzlich Gelder aus Patentrechten eingesetzt wurden. Das gleiche Gerät steht im Scripps-Institut. Im Moment sind dies auch die zwei einzigen funktionellen Geräte dieses Typs.

Hätte man nicht gerne etwas Konkurrenz im Feld?

Das kommt dann schon. Im Moment ist es aber so, dass wir hier wohl noch für einige Monate ein Monopol haben.

In den USA gibt es ein Forschungssystem mit mehr Wettbewerb. Erachten Sie das als ein Vorteil gegenüber dem System in der Schweiz mit Fixstellen?

Immerhin gibt es in den USA auch kein Rücktrittsalter. Wenn ich nicht mehr fähig bin, das Geld zu organisieren, werde ich auch dort aufhören müssen. Somit braucht es kein obligatorisches Rentenalter. Dieses kompetitive System ist sehr erfolgreich.

Mit der Nobelpreis-Vergabe an Sie ist die Frage aufgetreten, ob sich die Schweiz leisten kann, ihre besten Leute einfach mit 65 zu pensionieren.

Meine Ansicht und die vieler Kommentatoren ist, dass es kein neues Gesetz braucht. So lange, anders als in Amerika, eine beträchtliche Grundausrüstung mit Stellen und Forschungsgeldern Teil der Anstellung unserer Professoren ist, müssen wir eine Altersbeschränkung haben. Es sollte aber Möglichkeiten geben, in gewissen Fällen Ausnahmen zu machen. Ich weiss auch, dass in den vergangenen Jahrzehnten mehrere Chemieprofessoren nach der Emeritierung noch lange am Institut bleiben konnten. Sie müssen aber sehen, dass ich für meine Forschung auf eine grosse Ausrüstung angewiesen bin. Ich kann nicht mit 100 000 bis 200 000 Franken pro Jahr weitermachen.

Haben Sie sich persönlich keine Alterslimite gesetzt?

Ich würde sagen, dass ich so lange weitermache, wie es mir Freude macht. In den USA bin ich momentan für acht Jahre auf bescheidenem Niveau finanziert, wobei ich wohl von aussen Geld hereinholen werde, um das Ganze etwas grösser zu machen.

Werden Sie das Prestige des Nobelpreisträgers nutzen und versuchen, auch politisch Einfluss zu nehmen?

Ich will mich dieser Verantwortung nicht entziehen und werde von Zürich oder den USA aus gerne mitmachen, wenn dies nützlich und gewünscht sein wird. Selber werde ich aber nicht gross initiativ werden, denn ich habe ja soeben ein neues Labor eingerichtet und meine Hauptinteressen sind bei meiner Forschung, die kaum je in kurzer Folge so viele aufregende Resultate hervorgebracht hat wie gerade in den letzten zwei Jahren.

Die ETH, die Schweizer Forschung und die Wirtschaft erhoffen sich Impulse von Ihrem Nobelpreis. Sind die Hoffnungen berechtigt?

Die Tatsache, dass wieder ein Nobelpreis in die Schweiz kommt, ist ein Grund für berechtigten Stolz ist. Bei mir herrscht vor allem Freude, aber die ETH kann stolz sein, denn sie hat uns unter besten Bedingungen arbeiten lassen. Dasselbe gilt für den Nationalfonds und die Schweizer Regierung und damit für die ganze Bevölkerung. Die Steuergelder sind in der Zeit, wo ich die jetzt ausgezeichnete Arbeit durchgeführt habe, vernünftig eingesetzt worden. Jetzt muss man sich überlegen, will man in zehn oder zwanzig Jahren immer noch Leute haben, die sich so entwickeln können. Wenn ja, dann müssen wir ihnen heute Topbedingungen schaffen. Ich hoffe fest, dass der Nobelpreis die Diskussionen im Parlament beeinflussen wird, so dass eine deutliche Erhöhung der Forschungsmittel Tatsache wird - und eventuell sogar höher ausfällt als zur Zeit vorgesehen.


Literaturhinweise:
"ETH Life"-Bericht "Nobelpreis für ETH-Professor": http://www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/nobelpreis2002.html

Fussnoten:
(1) J. Fiaux et al., NMR analysis of a 900K GroEL-GroES complex, Nature 418 (2002)



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