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Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 10.12.2003 06:00

"Wissenschaft kontrovers" zur Beziehung zwischen Forschung und Wirtschaft
Forschung als Werkstatt

Letzten Montagabend fand die dritte Veranstaltung der Reihe „Wissenschaft kontrovers“ statt. Unter der Titelfrage „Freiraum oder verlängerte Werkbank?“ ging es um die Beziehung zwischen Hochschulforschung und Wirtschaft. Im Gegensatz zu den vorangehenden Events waren diesmal die Voten zahlreicher und konkreter.

Von Jakob Lindenmeyer

Mit “Es sind da noch Lücken”, eröffnete der Moderator Gerd Folkers um halb acht die Forumsveranstaltung. Im 430-plätzigen Auditorium Maximum der ETH waren tatsächlich nur gut ein Fünftel der Sitze belegt. Möglicherweise lag es an der Repetition: „Das Thema ist dasselbe wie letztes Mal, diesmal einfach mit einer römischen Zwei vorne dran“, so die Umschreibung von Moderator Folkers, dem designierten Leiter des Collegium Helveticum, das die einjährige Veranstaltungsreihe organisiert.

Viele der Teilnehmenden schienen sich bereits zu kennen. Die Mehrheit hatte bereits die vorgängige Veranstaltung (1) besucht, wie eine Kurzumfrage zeigte. Angesagt war nun wiederum „Geist & Geld“, diesmal mit dem fragenden Untertitel „Freiraum oder verlängerte Werkbank?“ Dabei ging es um das Verhältnis zwischen Hochschulforschung und Wirtschaft, insbesondere „wenn die Wirtschaft Hochschulen für sich forschen lässt“.

Die Teilnehmenden schienen sich bereits aus den vorangehenden Veranstaltungen zu kennen. gross

Die Veranstaltung begann wie immer mit den mehr oder weniger kurzen Vorträgen von fünf sogenannten „Hauptköpfen“, wie es ein Rapporteur der letzten Veranstaltung stichwortartig umschrieb (2) : „Im Publikum versteckt, halten kurze Vorlesung, um zu zeigen, wie wichtig sie sind. Eine Frau darunter ist wünschenswert – zur Auflockerung.“

Sowohl Wirtschaftsvertreter als auch die „auflockernde“ Frau fehlten an diesem Abend – vielleicht auch einer der Gründe, warum unter den vielen Voten in der nachträglichen Diskussion nur ein einziges von einer Frau stammte. „Frauen sind häufig zurückhaltender mit Statements vor einem grossen Publikum und melden sich meist nur, wenn sie wirklich etwas wichtiges zu sagen haben“, bemerkte dazu die Co-Gleichstellungsbeauftragte Carla Zingg am Tag nach der Veranstaltung.

Werkstatt statt Werkbank

Der erste der fünf Kurzvorträge zum Thema kam vom ETH Mathematik-Professor Paul Embrechts, dem Direktor des RiskLabs. Embrechts zitierte einen NZZ-Artikel zur Gründung des RiskLabs und bekundete seine Freude daran, dass das Institut nach zehn Jahren immer noch existiert und gut mit den grossen Schweizer Finanz-Konzernen kooperiert. Er forderte die ETH auf, vermehrt solche Kooperationen mit der Industrie einzugehen. Dabei sei die Hochschul-Forschung nicht eine verlängerte Werkbank der Wirtschaft, sondern vielmehr eine Werkstatt.

Hasen kämpfen gegen Ein-Igelung

Es folgte ein Vortrag von Georg Kohler, Professor für politische Philosophie der Uni Zürich, der die möglichen Strategien von Hochschulen mit Bildern von Hasen und Igeln illustrierte. Während die eher konservativen Igel die Aufgaben einer Hochschule primär in den klassischen Bildungs-Idealen sehen, fordern die progressiven Hasen ein Umdenken: Die Hochschulen hätten eine Tendenz zur Abschottung gegenüber neuen Bedürfnissen der Gesellschaft. Diese Abschottung gelte es zu durchbrechen. Generell sollten sich die Hochschulen mehr am Markt orientieren und den Wettbewerb verstärken, beispielsweise durch die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen. Nicht nur die Hasen-, sondern auch die Igel-Haltung habe ihre Berechtigung, schloss Kohler. Es komme primär auf die Vermittlung an.

Verkrustete Strukturen als Standortnachteil

Martin Schwab, Hirnforscher und ETH-Professor für Neurowissenschaften, wurde in seinem Vortrag konkreter: Von den Tausenden Doktorierender beider Zürcher Hochschulen hätten weniger als zehn Prozent längerfristig eine Chance in der Hochschulforschung zu bleiben. Die andern müssten hingegen versuchen, in der angewandten Forschung in der Industrie unterzukommen, was aber eine ziemlich andere Welt sei. Um diesen Graben zu verkleinern, müssten Synergien und Zusammenarbeiten intensiviert, Wissen und Technologie einfacher von der Grundlagenforschung in die Anwendung transferiert und Ausbildungsgänge verstärkt auf den Bedarf abgestimmt werden. Finde dies nicht statt, so drohe ein gravierender Standortnachteil für die Schweiz. Im Interesse des Standortvorteils müssten an den Hochschulen verkrustete Strukturen über Bord geworfen werden.

Industrie soll grosszügig sein

Doch Schwab warnte auch vor blindem Vertrauen in Wirtschafts-Kooperationen: Kürzlich wollte eine grosse Pharma-Firma ihn für Auftragsforschung ohne wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn verpflichten. Obwohl viel Geld winkte, sagte Schwab ab. Denn Ziel seien nicht Geheimhaltungsverträge, sondern das öffentliche Publizieren und der rasche und direkte Zugang zu den Resultaten. Von der Industrie erwartet Schwab eine gewisse Grosszügigkeit gegenüber der Hochschulforschung, auch wenn deren Umsetzung allenfalls erst in zehn Jahren stattfinde.

Idyllische Zustände in der medizinischen Forschung

„Die Biologie hat ihre Unschuld verloren“, betonte Klaus Ammann, Direktor des botanischen Gartens Bern. Die Biologie beeinflusse heute alle Lebens-Sektoren, was ihm als Botaniker beispielsweise in den Debatten um die grüne Gentechnik auffalle. Dagegen herrschten in der medizinischen Forschung fast idyllische Zustände.


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Georg Kohler studiert das auf die Leinwand projizierte Publikum der dritten Veranstaltung von „Wissenschaft kontrovers“. gross

Mainstream-Forschung statt Innovation

An den Hochschulen sieht Ammann eine zu starke Konzentration auf wissenschaftliches Wissen und Fakten. Als Gegenpol vermisst der Botaniker das alltägliche und traditionelle Wissen, das ebenso notwendig sei, um Forschungsfreiräume neu zu gestalten. Viele Forscher seien mittlerweile zu „Mainstream Bench-Workers“ an Werkbänken geworden und arbeiteten primär mit dem Ziel einer Publikation in einem wichtigen Journal. Dabei gingen die Innovation und die Freiräume der jungen Forscher mit neuen Ideen verloren.

Wirtschaftskooperation als Liebesbeziehung

Im letzten Vortrag zeigte ETH-Vizepräsident Ueli Suter auch die negativen Seiten der Auftragsforschung. Diese könne ihre wahren Kosten nie decken. Wenn Hochschulen daher von der Wirtschaft als billige Werkbänke missbraucht würden, sei dies eine Verschleuderung von Steuergeldern und müsse verhindert werden.

In der nachträglichen Diskussion verglich Suter das Verhältnis der Hochschule zur Wirtschaft mit einer Liebesbeziehung: Die Partnerschaft dauere nicht ewig und bei einem Verlust finde man auch wieder einen neuen Partner. Ein Zwischenrufer kommentierte, dass eine Liebesbeziehung manchmal auch mit einer Hochzeit ende.

“Think & Drink” oder „Eat instead of talk”

Nach genau einer Stunde folgte den fünf Vorträgen eine halbstündige Pause. „Think & Drink“ heisst das bei Wissenschaft kontrovers offiziell, oder wie es der bereits früher zitierte Rapporteur (2) bezeichnet: „Eat instead of talk, zur Distraktion und Fraktionierung des Dialogs sowie fürs sehen und gesehen werden.“ Pünktlich zum Apero hatte sich auch das Publikum um einen Viertel vermehrt – möglicherweise begünstigt durch die jeweils zeitgleich angesetzte Probenpause des Akademischen Orchesters.

Trendgebiete mit „Sex-Appeal“

Als Wiedereinstieg nach der Apero-Pause empfing der „Zwischenrufer“ Felix Würsten die Teilnehmenden mit einer Reihe von Fragen und Thesen. So postulierte er, dass neue und zukunftsträchtige Trendgebiete wie Life Sciences und Nanotechnologie aufgrund ihres professionellen Auftretens und ihrer Medienpräsenz einfacher an Forschungs- und Drittmittel herankämen. Dagegen hätten es „antiquierte“ Forschungsgebiete wie das Bauwesen, Erdwissenschaften und die Energieforschung wesentlich schwerer und lobbyierten auch weniger professionell. Würsten schloss mit der Frage, ob die Schulleitung nicht sogar froh sei, durch den geringeren Mittelzufluss antiquierte Forschungsgebiete mit weniger „Sex-Appeal“ loszuwerden.

Der Moderator teilte etwas später ähnliche Erfahrungen: Die Menge an beschafften Drittmitteln werde teilweise auch als Machtinstrument zur Elimination ungewünschter Forschungsrichtungen eingesetzt.

Überbewertete Drittmittel

Im einzigen weiblichen Votum dieses Abends wehrte sich die vom Moderator als „Teilchen-Beschleunigerin“ vorgestellte ETH Physik-Professorin Felicitas Pauss nicht nur gegen die von Ammann postulierte Überbewertung der Publikationen. Genauso schlimm sei die momentane Überbewertung der Drittmittel-Beschaffung. Dies gebe denjenigen Fachgebieten Probleme, für die es unmöglich sei, Drittmittel aufzutreiben, denn: „Wer investiert schon in die theoretische Physik?“

Klaus Amman erinnerte an die weltbewegenden Probleme 'Armut’ und 'Hunger’. gross

Armut diskutieren statt Luxusprobleme

Zum Schluss meldete sich wiederum der Botanik-Direktor aus Bern zu Wort, der an diesem Abend wiederholt die Hofnarren-Rolle übernommen hatte. „Wir diskutieren hier über völlig Unwichtiges, aber nicht über das, was in der Dritten Welt passiert“, wandte Ammann ein und ergänzte: „Mit boshafter Regelmässigkeit bringe ich die weltbewegenden Probleme 'Armut’ und 'Hunger’ ins reiche Zürich.“ Statt über akademische Luxusprobleme wie das Verhältnis zur Wirtschaft zu debattieren, wollte Ammann lieber über die eigentlichen Probleme dieser Welt reden.

Abrupter Abbruch

Leider scheiterte aufgrund der fortgeschrittenen Zeit die Chance auf diesen von Ammann wiederholt vorgetragenen Einwand zu reagieren. (Ein nicht zu Wort gekommener Teilnehmer kommentierte Ammans Einwand nach dem Event im begleitenden Webforum (3)) Stattdessen brach der Moderator die Veranstaltung nach zweieinviertel Stunden abrupt ab: „Immer wenn’s am schönsten ist.“ Sein Argument: „Dies ist eine technische Hochschule. Punkt zehn geht hier das Licht aus. Schönen Abend und bis im nächsten Jahr.“


Literaturhinweise:
Website zur Veranstaltungsreihe „Wissenschaft kontrovers“ mit Forum: www.kontrovers.ethz.ch
ETH-Bulletin 283, November 2001, S. 46 zum Thema „Freie Forschung oder verlängerte Werkbank?“: www.cc.ethz.ch/bulletin/

Fussnoten:
(1) „ETH Life“-Bericht zur vorangehenden Veranstaltung: „Geld soll weiter bilden”: www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/wkgeldugeist1.html
(2) Rapport von René Anliker: www.kontrovers.ethz.ch/forum_lesen/evt2rap3
(3) Kommentar im Webforum auf Klaus Ammans Votum: www.kontrovers.ethz.ch/forum_lesen?oid=35#a35



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