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Rubrik: Campus Life

Tagung zur europäischen Fremdenpolitik
Abweisend hier, grosszügig dort

Published: 22.03.2006 06:00
Modified: 21.03.2006 21:37
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Die schweizerische Flüchtlingspolitik hat im Laufe des 20. Jahrhunderts einen bemerkenswerten Wandel durchgemacht. An der Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung wurde nicht nur die Ära des Zweiten Weltkriegs beleuchtet, sondern auch das Verhalten der Behörden in der Nachkriegszeit thematisiert.



Felix Würsten (mailto:felix.wuersten@ethlife.ethz.ch)

Die schweizerische Flüchtlingspolitik während des Zweiten Weltkriegs sorgt hierzulande immer noch für Kontroversen. Jüngstes Beispiel ist die Diskussion um das neue Lehrmittel des Kantons Zürich, das sich auf Erkenntnisse der sogenannten Bergier-Kommission stützt. Auch in Fachkreisen wird über das Thema weiter debattiert. An der Jahrestagung der Gesellschaft für Exilforschung, die letztes Wochenende zum Thema "Europäische Fremdenpolitik im 20. Jahrhundert" an der ETH Zürich in Kooperation mit dem Archiv für Zeitgeschichte stattfand, zeigte sich jedoch, dass auch der Umgang mit Flüchtlingen in der Nachkriegszeit interessanten Stoff bietet.

Angst vor Überfremdung

Die Einstellung der Schweiz zu Flüchtlingen hat im Laufe des 20. Jahrhunderts einen bemerkenswerten Wandel erlebt. Wurden etwa zu Beginn des Ersten Weltkriegs deutsche Friedensaktivisten noch durchaus freundlich aufgenommen, änderte sich die Stimmung in den folgenden Jahren zunehmend. Angst vor Überfremdung wurde zum dominierenden Motiv der Flüchtlings- und Asylpolitik. Diese Angst wurde gleichzeitig durch einen mehr oder weniger ausgeprägten Antisemitismus überlagert.

Wie der Zürcher Historiker Stefan Mächler an der Tagung erläuterte, führte dies zusammen mit einer weit verbreiteten Gleichgültigkeit zum heute so umstrittenen Verhalten der Schweizer Behörden gegenüber den Verfolgten der nationalsozialistischen Diktatur. Die Schweiz verstand sich in diesen Krisenjahren als Transitland und war dafür besorgt, dass die eingereisten Flüchtlinge das Land möglichst rasch wieder verliessen.

Grosser Einsatz der Schweizer Juden

Obwohl Tausende an der Schweizer Grenze abgewiesen und so oftmals in den sicheren Tod geschickt wurden, fanden doch auch etliche jüdische Flüchtlinge hier Unterschlupf. Eine massgebliche Rolle spielte dabei die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz, die sich unter grossen persönlichen Opfern für die Flüchtlinge einsetzte. Flüchtlingshilfe wurde zunächst nicht als Staatsaufgabe verstanden, sondern den Hilfswerken überlassen.

Dies änderte sich erst, als im Laufe des Krieges die Zahl der Schutzsuchenden massiv zunahm und die Hilfswerke die Situation nicht mehr bewältigen konnten. Die Flüchtlinge wurden nun in militärisch geführten Lagern untergebracht, wobei Familien in der Regel auseinander gerissen wurden. Bemerkenswert ist, so Mächler, dass sich die jüdische Gemeinschaft mit Kritik an den Behörden zurückhielt und zum Beispiel erst 1942 einen Vorstoss unternahm, um vom Staat Subventionen zu erhalten. Man war bemüht, die latente antisemitische Haltung der Regierung nicht durch laute Kritik anzuheizen.

Belastende Untätigkeit

Wer in die Schweiz einreisen konnte, erhielt in der Regel nur eine befristete Aufenthaltsgenehmigung; einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, war diesen Menschen strikt untersagt. Die verordnete Untätigkeit machte vielen Emigranten schwer zu schaffen. 1941 wurde deshalb in Zürich die Kulturgemeinschaft der Emigranten gegründet, welche Lesungen, Theateraufführungen und Filmvorführungen organisierte. Wie Katharina Morawietz von der Universität Basel erläuterte, musste jede Veranstaltung eigens von der Fremdenpolizei bewilligt werden.

Obwohl die schweizerische Politik eigentlich in eine ganz andere Richtung zielte – man wollte die Flüchtlinge ja nicht integrieren, sondern sie so schnell wie möglich wieder loswerden – wurde die Kulturgemeinschaft von den Behörden toleriert. Dies dürfte unter anderem damit zusammenhängen, dass sich die Gruppierung in politischen Fragen zurückhielt und bemüht war, möglichst nicht aufzufallen.

Erneute Vorbehalte gegen Juden

Spätestens nach dem Ende des Krieges wurde offensichtlich, dass die schweizerische Flüchtlingspolitik in dieser Zeit kein Ruhmesblatt gewesen war. Dennoch zeigten sich die Behörden nur ein Jahrzehnt später wiederum nicht bereit, jüdischen Flüchtlingen grosszügig zu helfen, wie Daniel Gerson vom Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich erklärte. Im Zuge der Suezkrise mussten Ende 1956 wegen des verschärften arabischen Nationalismus Nassers Zehntausende ägyptischer Juden das Land verlassen. Die meisten von ihnen gingen nach Israel und Frankreich, einige wenige kamen in die Schweiz.

Die Angst vor Überfremdung blieb bis heute ein wichtiges Moment der schweizerischen Fremdenpolitik. Im Bild ein Plakat, mit dem die Flüchtlingshilfe im Jahre 2002 gegen die Asylinitiative der SVP kämpfte.

Flüchtlingsstudenten an der ETH waren auch nach 1945 von der Fremdenpolizei abhängig. Im Bild ein Ausschnitt aus der Ausnahmebewilligung vom 17.11.1951 für Fabian Gerson, später Privatdozent an der ETH und Professor an der Universität Basel. (Dossier Fabian Gerson, VSJF, im Archiv für Zeitgeschichte)

Obwohl es sich bei denjenigen, die bis in die Schweiz gelangten, kaum je um mittellose Flüchtlinge handelte, drängten die hiesigen Behörden darauf, dass sie das Land möglichst schnell wieder verliessen und sich wirtschaftlich nicht etablieren konnten. Anhand eines exemplarischen Falls zeigte Gerson auf, wie die jüdische Gemeinschaft in der Schweiz den Behören nun mehr Widerstand entgegensetzte und sich mit einigem Erfolg für die Emigranten einsetzte. Es gelang ihr, den judenfeindlich geprägten Überfremdungsdiskurs der eidgenössischen Fremdenpolizei allmählich aufzuweichen.

Sympathie für Ungarn

In scharfen Kontrast dazu steht das Verhalten der Schweiz gegenüber den Flüchtlingen aus Ungarn. Nachdem die russische Armee im Oktober 1956 den dortigen Volksaufstand gewaltsam niedergeschlagen hatte, verliessen Hunderttausende das osteuropäische Land. Die Schweiz nahm in einer ersten Phase spontan 4000 Menschen auf. Später wurde noch einmal ein Kontingent von 7000 ungarischen Flüchtlingen ins Land gelassen. Die Schweiz habe damals – im Verhältnis zu ihrer Bevölkerungsstärke – bemerkenswert viele Emigranten aufgenommen, meinte Brigitte Mihok vom Zentrum für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin.

Interessant ist, wie unterschiedlich die zwei Phasen der Flüchtlingshilfe verliefen. In der ersten Phase wurde die Versorgung und Unterbringung der Menschen vom Roten Kreuz koordiniert. Die Flüchtlinge wurden von der Bevölkerung warm empfangen und von den Behörden unbürokratisch aufgenommen. Die zweite Gruppe von Emigranten wurde dann vom Militär betreut. In Kasernen wurden Aufnahmelager eingerichtet, und den Ungarn wurde nur noch eine vorübergehende Aufnahmebewilligung erteilt. Die Akzeptanz der Flüchtlinge in der Bevölkerung ging allmählich zurück, ebenso die Bereitschaft, Geld zu spenden.

Erfolgreiche Integration

Die Integration der ungarischen Flüchtlinge erfolgte dennoch schnell. Die wirtschaftliche Situation war günstig, und es wurden gezielt Massnahmen ergriffen, um den Menschen das Leben hier zu erleichtern. Nach 1968 liessen sich viele ehemalige Flüchtlinge aus Ungarn einbürgern – das gewaltsame Ende des Prager Frühlings nahm ihnen die letzte Hoffnung, in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückkehren zu können. – Die Grosszügigkeit gegenüber den Ungarnflüchtlingen stellte allerdings keinen Wendepunkt der schweizerischen Fremdenpolitik dar. Das Verhältnis gegenüber Emigranten aus Krisenregionen ist bis heute schwierig geblieben.


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