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Rubrik: Campus Life

Umgang mit unehrlichem Verhalten bei Prüfungen
„Kein Kavaliersdelikt“

Published: 05.07.2006 06:00
Modified: 13.07.2006 09:01
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Die Förderung von Teamwork sowie die leichte Verfügbarkeit und Verteilbarkeit von Information gehören zu den Selbstverständlichkeiten zeitgemässen Studierens. Dies kann aber auch zum Problem werden – gerade bei individuellen Leistungskontrollen, die im Zuge von „Bologna“ eine wichtige Rolle spielen. Kürzlich wurde mehreren ETH-Studierenden Fehlverhalten an einer Prüfung nachgewiesen. Vom Umgang der ETH damit berichtet Bernhard Plattner, Prorektor für das Bachelor-/Masterstudium.



Norbert Staub (mailto:norbert.staub@sl.ethz.ch)

„Wir befinden uns hier in einem Zielkonflikt“, bringt Bernhard Plattner die Problemlage gleich auf den Punkt. Der ETH-Professor für Technische Informatik ist seit März 2005 Prorektor für das Bachelor-/Masterstudium. „Die ETH fördert bekanntlich stark das Prinzip der Zusammenarbeit unter den Studierenden. Schliesslich ist dies auch das Erfolgsrezept für die Berufwelt, in welche wir die Diplomierten entlassen.“

Kooperation vs. Evaluation

Das gestufte Studium verlange mit seinem Kreditpunktesystem bedeutend mehr Leistungsmessungen als das bisherige Diplomstudium. Vernetztes, kooperatives Lernen kann da auch zum Problem werden. „Zwar gibt es an der ETH wie an anderen Hochschulen Ansätze, Gruppenleistungen zu evaluieren, aber grundsätzlich vertragen sich Teamarbeit und eine Leistungskontrolle, die auf Eindeutigkeit aus ist, schlecht“, so Plattner. Aus Dozierendensicht kann auch eine weitere Tugend zur Schwierigkeit werden: der Trend zum eigenverantwortlichen, individuellen Arbeiten, was Studierenden die Möglichkeit gibt, sich im selbst gewählten Rhythmus mit dem Stoff zu beschäftigen. „Diese Selbständigkeit darf bei Prüfungen nicht soweit führen, dass die Kontrolle ausgehebelt und das System ad absurdum geführt wird“, gibt Bernhard Plattner zu bedenken.

Das Thema Betrug wird auch mit dem Vormarsch der Informationstechnologie ins Prüfungswesen virulenter. Die Frage ist, wie stark eine Prüfungsleitung die persönlichen Laptops der zu Prüfenden überhaupt kontrollieren kann. „Es gibt die Möglichkeit, persönliche Computer mit spezieller Software temporär zum Prüfungscomputer umzufunktionieren“, erklärt Bernhard Plattner. „Der Zugang zu allen persönlichen Daten ist dann für die Dauer der Leistungskontrolle gesperrt.“ Trotzdem würden Präsenzprüfungen mit Computer bis heute an der ETH eher selten durchgeführt. (1)

Studierende in der Verantwortung

Angesichts dessen sind Verhaltenscodes und das strikte Einhalten von Spielregeln für Studierende gar nicht zu überschätzen. Wenn solche Spielregeln verletzt werden, ist das einerseits Ausdruck des Allzumenschlichen gerade unter Studierenden, die mit grossem Leistungsdruck konfrontiert sind. Zum anderen zeigt ein Fall, der kürzlich vor dem Rektor der ETH verhandelt wurde, dass die Ziele von Studium und Evaluation nicht immer deckungsgleich sind. „Es ging um eine Programmieraufgabe im Studiengang Informatik, die während des Semesters individuell gelöst werden musste“, erzählt Plattner. „Die Regel lautete: Wie die Aufgabe angegangen werden soll, darf diskutiert werden. Die Studierenden dürfen aber die Lösung selbst auf keinen Fall mit Kommilitonen besprechen, geschweige denn austauschen.“ Ein anspruchsvoller Ansatz, der den Studierenden eine grosse Verantwortung übertrage, räumt der Prorektor ein.

Vom Verweis bis zum Ausschluss

Nun fiel im Anschluss an diese Prüfung auf sieben Studierende der Verdacht, identische oder teilweise identische Lösungen abgegeben zu haben, worauf die ETH ein Disziplinarverfahren eröffnete. Nach der Einholung einer Stellungnahme der Studierenden und deren Anhörung durch eine Kommission, der unter anderen der Rektor der ETH und Bernhard Plattner angehörten, kam es zu zwei „Freisprüchen“. Diese Studierenden konnten plausibel machen, dass die Ähnlichkeit der Lösungen reiner Zufall war. Bei fünf Beschuldigten wurde festgestellt, dass sie sich tatsächlich unlauter verhalten hatten.

Informationstechnologie vereinfacht den Austausch, aber wenn eine Leistungsmessung ansteht, können Kooperation und individuelles Arbeiten zum Problem werden. (Bild: Susi Lindig)

Mit welchen Folgen haben die Ertappten zu rechnen? Plattner: „Wir wollen generell nicht unverhältnismässig scharf sanktionieren. Doch die Tatsache, dass hier ein klares Vergehen vorliegt, muss für die Studierenden zu spüren sein.“ Konkret wurde die Prüfung der beklagten Studierenden für „nicht bestanden“ erklärt. Es bleibt ihnen somit noch eine Chance, diese Hürde zu schaffen.

Bewusstsein in der Schule schaffen

Der Umgang mit Prüfungsregeln sei auch eine Kulturfrage. Diesbezüglich herrsche in den USA eine andere Kultur als in der Schweiz, stellt Bernhard Plattner fest. „In Harvard beispielsweise unterschreibt jede/r Studierende, dass er sich an den Ehrenkodex der Universität hält. Wird er gebrochen, hat man die Hochschule zu verlassen.“ Wäre die Pflicht, ein solches Einstiegs-Bekenntnis abzulegen auch an der ETH denk- und wünschbar? „Im Prinzip schon. Aber für wichtiger halte ich, die Kultur der Ehrlichkeit bereits auf Gymnasialstufe besser zu verankern. Abschreiben und Prüfungsbetrug ist eben kein Kavaliersdelikt, schon gar nicht an einer Hochschule. Schon den Schülern im Gymnasium muss das unmissverständlich klar gemacht werden.“


Abgestufte Sanktionen

Fehlverhalten bei Prüfungen ist kein strafrechtliches Vergehen. Die ETH regelt deshalb entsprechende Fälle in der Regel selbst. Die Disziplinarordnung der ETH vom November 2004 führt die Massnahmen abschliessend auf. Die schwächste Sanktion ist der persönliche Verweis. Die nächste Stufe: Die betreffende Leistungskontrolle wird für nicht bestanden erklärt. Damit bleibt dem oder der Studierenden noch ein Versuch, die Prüfung zu bestehen. Die nächst strengere Massnahme ist der Ausschluss einer Person von bestimmten Lehrveranstaltungen oder Einrichtungen für maximal drei Jahre. Es folgen die Androhung des Ausschlusses aus der ETH, der Ausschluss selbst und als gravierendste Sanktion die Aberkennung eines unrechtmässig erworbenen akademischen Titels. Die Disziplinarmassnahme wird den Betroffenen in Form einer Verfügung samt Rechtsmittelbelehrung zugestellt. Ein solcher Entscheid ist rekursfähig. Den ganzen Text der Disziplinarordnung der ETH Zürich finden Sie unter: www.rechtssammlung.ethz.ch/pdf/361.1_disziplinarordnung.pdf


Footnotes:
(1 Vgl. dazu den „ETH Life“-Bericht „Prüfungen auf dem Prüfstand“ vom 25. Januar 2006: www.ethlife.ethz.ch/articles/tages/pruefbologna.html


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