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Rubrik: Campus Life
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Publiziert: 05.02.2006 06:00

Zweite Staatsbürgerliche Konferenz
Blockierte Schweiz?

Festgefahrene Betrachtungsweisen sprengen und aus gegenwärtigen Blockaden ausbrechen: Mit diesem Ziel trafen sich am Freitag prominente Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik im Zentrum Paul Klee in Bern zur „Zweiten Staatsbürgerlichen Konferenz“. ETH-Rektor Konrad Osterwalder sprach zur Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft.

Claudia Naegeli

Schwaches Wirtschaftswachstum, steigende Arbeitslosenzahlen und eine zunehmende Polarisierung in politischen Auseinandersetzungen lassen die schweizerische Bevölkerung aufhorchen. Ist unser Land blockiert? Diese Frage stellen sich nicht nur die Meinungsmacher aus dem politischen Umfeld. Der Ruf nach Reformen kommt zusehends aus den unterschiedlichsten Kreisen der Gesellschaft. Und genauso vielfältig sind die Vorstellungen darüber, in welche Richtung das Schiff Schweiz gesteuert werden soll.

Komplexe Fragen verlangen unkonventionelle Lösungswege, sagten sich die Veranstalter der zweiten Staatsbürgerlichen Konferenz. Die Trägerschaft, bestehend aus dem Collegium Helveticum, der Stiftung Science et Cité, der Neuen Helvetischen Gesellschaft (NHG), der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften sowie der Stiftung für humanwissenschaftliche Grundlagenforschung (SHG) begrüssten prominente Personen aus der Schweizer Wirtschafts- und Kulturszene sowie bekannte Vertreter aus Wissenschaft und Politik zur eintägigen Konferenz im Zentrum Paul Klee in Bern (1). In diesem unkonventionellen Rahmen sollten überraschende Dialoge und Erkenntnisse ermöglicht werden.

Paul Klee als Ratgeber

Dem künstlerischen Leiter des Zentrum Paul Klee, Tilman Osterwold, gelang es auf anschauliche Weise, die Werke von Paul Klee mit der Thematik der Tagung „Heraus aus den Blockaden!“ in Verbindung zu bringen. Kreativität helfe Blockaden zu überwinden, sagte er. Eine Blockierung deute immer auf ein Ungleichgewicht hin. „Und die Balance ist ein zentrales Thema in den Werken von Paul Klee – sowohl in der Formgestaltung als auch im Lebensgefühl“, führte Tilman Osterwold in seiner Einführung zur Konferenz aus. Paul Klee sei ein guter Wegweiser und Ratgeber, wenn es darum gehe, Ambivalenz, Gegensätzliches und Symbiose besser verstehen zu wollen.

Der eigentliche Hauptteil der Konferenz war in die Themenblöcke „Meinungsbildung und Entscheidfindung in der Demokratie“, „Arbeitswelt und soziale Sicherheit“ sowie „Wissenschaft in der Gesellschaft“ gegliedert. Zu jedem dieser Gebiete äusserten sich jeweils zwei Experten mit unterschiedlichem Hintergrund. ETH-Rektor Konrad Osterwalder war sich mit seiner Vorrednerin Christine Beerli, der Direktorin der Hochschule für Technik und Informatik Bern, bezüglich Bildungsstandort Schweiz und der Stellung der Wissenschaft in der Gesellschaft weitgehend einig. Er könne eine Blockade in Bezug auf Wissenschaft und Gesellschaft ausmachen, meinte Konrad Osterwalder in seinem Referat. „Blockaden nennt man schöngeistig Moratorien“, sagte der ETH-Rektor eher scherzhaft in Anspielung auf die kürzliche Abstimmung zum Gentech-Moratorium.

Mit Risiken umgehen lernen

Die Gesellschaft habe gewisse Erwartungen an die Wissenschaft. Sie erwarte in erster Linie Sicherheit: Sicherheit vor Naturgefahren und Lösungen für Fragen der Gesundheit, der Ernährung und des Klimas. „Die Aufgabe der Wissenschaft ist, althergebrachte Meinungen und Erkenntnisse immer wieder auf das Neue zu hinterfragen“, betonte Konrad Osterwalder. Und genau diese Methode gelte es nun auf die Wissenschaft selbst anzuwenden. „Man hat es sich lange Zeit zu einfach gemacht und zu sehr auf vermeintlichen Erkenntnissen und Lösungen beharrt.“ Andererseits sei ebenfalls klar, dass die Bevölkerung nicht bereit sei Forschung zu finanzieren, deren Resultate an ein „wahrscheinlich“ oder ein „vielleicht“ gekoppelt seien.

Der ehemalige Bundeskanzler Achille Casanova im angeregten Gespräch. gross


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Spannende Diskussionen im Zentrum Paul Klee: Konrad Osterwalder war sich mit Christine Beerli einig. gross

Eine Möglichkeit zur Überwindung dieser Blockade sieht Konrad Osterwalder in einem „Wandel der Gesellschaft durch die Wissenschaft.“ Die Gesellschaft brauche ein anderes Verhältnis zum Begriff des Risikos. Lernen mit Risiken umzugehen, sei jedoch ein schwieriger Prozess für die Gesellschaft. „Ausserdem ist es schwierig für die Wissenschaft einzugestehen, dass beispielsweise die Atomfrage nicht so einfach zu beantworten ist, wie wir das gedacht haben.“ Christine Beerli plädierte zudem für Vertrauen im Bildungswesen. „Vertrauen in die Flexibilität und Kompetenz der Lehrpersonen und Vertrauen in die Motivation der Lernenden.“ Damit bekannte sie sich genau wie Konrad Osterwalder zu mehr Autonomie und Wettbewerb im schweizerischen Bildungssystem.

Konsens durch Dialog

Weniger gemeinsame Standpunkte, aber nicht weniger interessante Denkanstösse enthielten die Referate zur Thematik „Arbeitswelt und soziale Sicherheit“ von Serge Gaillard, Geschäftsführer des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes und seinem Ko-Referenten Rudolf Schuppisser, dem stellvertretenden Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Die Betonung von Konsensfindung durch Dialoge, Solidarität und Kompromissbereitschaft waren in diesen Gesprächen jedoch genau so zentral wie in den Referaten zum Themenblock „Meinungsbildung und Entscheidfindung in der Demokratie.“ Hier referierten Hanspeter Kriesi vom Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich und Mirjam Helg, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Collegium Helveticum.

Auch wenn sich die Referenten nicht in allen Punkten einig waren, so konnten sie an der Staatsbürgerlichen Konferenz doch deutlich und eindrücklich aufzeigen, dass es auf einfache Weise möglich ist, bestehende Blockaden aufzubrechen und festgefahrene Betrachtungsweisen aufzubrechen: Die Lösung beginnt mit einem einfachen Gespräch.

Spannende Gespräche zogen sich bis zum Ende der Veranstaltung durch. Auch der ehemalige Bundeskanzler Achille Casanova gab sich am Freitag die Ehre und verwickelte stellvertretend für den verhinderten Adolf Muschg die Konferenzteilnehmenden und die Referenten gekonnt und mit seinem bekannten Tessiner Charme in ein angeregtes Gespräch. Und brachte das eigentliche Ziel der Konferenz auf den Punkt: „Ich würde mir wünschen, dass sich Wissenschaftler und Künstler noch viel mehr in die Politik einmischen.“


Fussnoten:
(1) Zur Website des Collegium Helveticum: www.collegium.ethz.ch



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