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Publiziert: 31.03.2003 06:00

Unendliche Weizen-Geschichte

Von Amon Marxer

Nun, eigentlich wollte ich als einsamer Rufer in der Wüste - und wohl einziger Mensch, der der Bepflanzung vor dem Haupteingang tieferen Sinn abgewinnen kann - meine Stimme gegen eine Neugestaltung des Rämihofes erheben aber ... wie es der Zufall will, bin ich - wieder einmal - auf diese "Unendliche Weizengeschichte" gestossen. (Freisetzungsversuch von gentechnisch verändertem Weizen in Lindau-Eschikon)

Lasst uns doch den Weizen in die windgeschützten Beete vor dem Haupteingang zur ETH säen und die zum Ort des Geschehens pilgernden Aktivisten mittels eines "Workshops" (ich liebe diese sinnlos-trendigen Anglizismen, die unsere Sprache überall so grund- und gedankenlos fremdbestäuben und zu gar lächerlichen sprachlichen Auskreuzungen führen) in die Diskussion einbinden. Dies würde sicherlich die Verständigung zwischen Forschung und Gesellschaft erleichtern: Wenn der Prophet nicht zum Berge kommt, muss der Berg bekanntermassen zum Propheten gelangen. Wieso nicht? Im schlimmsten Fall graben uns die Greenpeace-Aktivisten das Blumenbeet um und düngen es gleich noch kostenlos mit Mist - eine wesentlich preiswertere Variante als das von Amilcare Foglia vorgeschlagene 100'000-CHF-Projekt.

Nun aber ernsthaft. Herr Schweizer beklagt sich über mangelnde Kritik aus den Reihen der Studenten? Mal abgesehen davon, dass viele an der ETH während des Studiums vor lauter Studieren wirklich keine Zeit zum Denken haben ;-), würde man in dieser Angelegenheit fast nicht damit fertig werden, seine Kritik gerecht auf alle Parteien zu verteilen. Wie so oft ist/sind wieder mal niemand oder eben wieder alle unschuldig.

Ich bin leider ungenügend über die gegenwärtige Situation informiert, um mir ein qualifiziertes Urteil erlauben zu können. Als Biologiestudent weiss ich jedoch ungefähr, von was wir hier reden.

Es mutet schon seltsam an... Man könnte meinen, die Gentechnik gäbe es erst seit gestern, und Freisetzungsversuche in der Schweiz wären eine ganz neue Idee.

Es ist für mich völlig unverständlich, dass - aus einem der Leserbriefe habe ich entnommen, dass es schon 1991 einen Freisetzungsversuch ("in rechtsfreiem Raum"?) gegeben habe - in über 10 Jahren scheinbar noch keine klaren gesetzlichen Richtlinien zu diesem Thema, das solch grosse Resonanz in der Bevölkerung findet, geschaffen worden sind. Die alternative Erklährung, nähmlich, dass die zuständigen Organe offenbar der Aufgabe nicht gewachsen sind, ist ebenfalls wenig schmeichelhaft.

Ich gebe Herrn Schweizer recht, wenn er meint, dass qualifizierte Leute - in diesem Fall wohl unabhängige, mit den Rechtsnormen vertraute Biologen - über das Ja oder Nein eines Freisetzungsversuchs entscheiden sollten. Ganz offensichtlich waren die Experten beim BUWAL aber nicht in der Lage, ein qualifiziertes, fachlich begründetes Urteil zu sprechen, das sich an den existierenden Rechtsnormen orientiert.

Oder ist hier etwa nicht von Experten entschieden worden?

Wenn ich der Darstellung von Christof Sautter Glauben schenken will - und ich sehe keinen Grund, dies nicht zu tun -, wurde "das geplante Experiment von allen beigezogenen Gutachtern [...] als hinreichend sicher beurteilt".*

Da frage ich mich doch, zu was Gutachter und Experten nütze sind, wenn ihre Expertisen nicht in den Entscheidungsfindungsprozess einfliessen? Ich kann nur hoffen, dass der gegenläufige Entscheid, der alsdann von der UVEK gefällt wurde, sowohl fachlich als auch formal einwandfrei war. Ansonsten ist eher Sorge um das Rechtssystem angebracht. Der Bundesgerichtsentscheid scheint zumindest in die gleiche Richtung zu gehen und das BUWAL abzustrafen, wobei ich den Wortlaut nicht kenne.

Sie spielen also nicht Lotto Herr Schweizer? Wahrlich eine weise Entscheidung. Vergessen Sie dabei aber bitte nicht, dass die Statistik das ABSOLUT EINZIGE Mittel ist, "sicher" zu sein, soweit Sicherheit überhaupt existiert. Denken Sie daran, wenn Sie am Morgen den Schritt aus der Wohnung ins Freie wagen: Es könnte Ihnen ein Pandabär auf den Kopf fallen. Zugegebenermassen sehr unwahrscheinlich aber durchaus möglich, wenn sich die VR China dazu entschliessen sollte, ein solches Tier z.B. nach Frankreich auszufliegen und dabei ein gravierendes Missgeschick passiert.

Sicherheit ist niemals absolut. Aber die GESELLSCHAFT setzt die Limiten wie sicher sicher genug ist - NICHT Greenpeace und auch nicht die betroffenen Forscher. Auf welcher Grundlage das auch immer geschieht, seien dies irrationale oder begründete Ängste bzw. Hoffnungen - letztendlich ist das egal. Demokratische Entscheidungen sind immer auch gefühlsbestimmt und damit nur zum Teil eine Sache der (subjektiven?) Vernunft und Logik.

Je nachdem welcher Seite man eher zugeneigt ist, mag einen die rückständig-sture, irrationale, überängstliche Haltung der einen oder das unbedachte, ethisch zutiefst verwerfliche, rücksichtslose, nach Ruhm lechzende und - natürlich wieder - irrationale Verhalten der anderen Seite zur Verzweiflung treiben.

Die Entscheidung, ob dieser Weizen seinen Weg aufs Feld findet, obliegt der Gesellschaft und niemandem sonst, und sie ist es auch, die zu diesem Zweck durch die staatlichen Organe den rechlichen Rahmen setzt - in dem sich gefälligst alle Parteien zu bewegen haben.

Ich weiss, ich laufe hier Gefahr in eine generelle Gesellschaftskritik abzugleiten aber ich höre gewisse Leute schon sagen:

"Aber... aber... - der Staat und seine Organe sind doch nicht die Gesellschaft... " Ich kann's bald nicht mehr hören dieses ewige Gejammere. Von wegen: "die Politiker machen doch, was sie wollen", oder noch besser: "wir leben in einem Polizeistaat", "die Menschen wollen etwas ganz anderes (nämlich, das was WIR vertreten!)".

Hallo! Bei uns gibt niemand an der Urne mit der Kalaschnikow in der Hand gutgemeinte Wahlempfehlungen.

Ihr habt die Wahl: Wenn die Politiker nicht in die gewollte Richtung laufen, dann - IN GOTTES NAMEN - wählt sie doch nicht jedesmal wieder.

"Aber... aber... - es gibt doch keine Alternativen und... und... - ich gehe sowieso nicht mehr zur Wahl." Dann beklagt Euch auch nicht! Wo bitte schön findet man denn einen demokratischeren Staat als die Schweiz? Geht! Sammelt Unterschriften, wenn ihr etwas ändern wollt.

Offenbar tut es den meisten noch nicht weh genug, um auch nur etwas mehr als das sich ewig beklagende Mundwerk zu bewegen. Am Ende ist dann wieder niemand schuld, niemand übernimmt Verantwortung.

Wir sind alle Mitglieder dieser Gesellschaft, und wir bestimmen alle mit - gewollt oder ungewollt, aktiv oder passiv. Kritik ist gut - wenn sie konstruktiv ist. Jeder hat das Recht, seine Meinung zu sagen - ENTSCHEIDEN tut am Ende die Mehrheit, die für die Gesellschaft spricht. Wessen Ideen nicht mehrheitsfähig sind, muss sich nicht wundern, wenn diese nicht umgesetzt werden - das ist DEMOKRATIE. Dies scheinen einige Leute vergessen zu haben. Stattdessen wähnen sie sich nicht mehr an die Gesetze gebunden.

Jeder der engagiert und vor allem friedlich für seine Anliegen kämpft, kann sich meines Respekts sicher sein.

Ja, sich von Zeit zu Zeit an Geleise zu ketten mag notwendig sein, um die Aufmerksamkeit der oftmals fast komatös-gleichgültigen Öffentlichkeit zu erheischen - wo aber Eigentum zerstört wird, hat der Spass ein jähes Ende.

Ob nun eine Brent-Spar mehr oder weniger auf dem Meeresgrund liegt, macht angesichts des gegenwärtigen Standes der weltweiten Umweltzerstörung auch keinen grossen Unterschied mehr** - es wächst schon so einiges auf unseren Feldern, das da nicht hingehört. Das WIRKLICHE Veränderungspotential liegt im Finden von Mehrheiten für seine Sache. Wer dies nicht schafft, verändert auch nichts auf Dauer - und recht so, denn offenbar ist die Gesellschaft nicht seiner Meinung. (Oder es ist ihr egal und dann spielt es sowieso keine Rolle).

Die Beschädigung von Versuchsfeldern bringt keine dauerhafte Besserung sondern verhärtet nur die Fronten - stellt Euch vor, die Forscher würden einfach in der Nacht auf die Äcker gehen und Ihr Saatgut nach Gutdünken ausbringen.

Ja, der Gang in die Politik und Überzeugungsarbeit mag unheimlich frustrierend sein, und am Schluss ist nichts mehr von der anfänglichen Begeisterung übrig, weil alle Visionen durch Kompromisse bis zur Unkenntlichkeit verwässert worden sind. Aber an Kompromissen kommt man in einer Gesellschaft von 7 Millionen Menschen nun mal nicht vorbei (und wenn man am Ende einen kleinen Schritt in die richtige Richtung getan hat, dann verdient dies allemal Applaus!).

Soviel zu Greenpeace, Gesellschaft und politischer Mündigkeit.

Nun zu Herrn Schweizer (Bezugnahme auf seinen Leserbrief:

1) Ihre Nase in allen Ehren, aber ich verlasse mich lieber auf Studien, die mir statistisch relevante Ergebnisse liefern - über deren Interpretation muss natürlich diskutiert werden. (Bitte erzählen Sie mir nicht, dass Sie sich während der ganzen Pollenflugzeit verschiedenster Gräser NIEMALS näher als 60m von solchen Gewächsen aufgehalten haben, und auch Ihr Hund, der kleine Staubfänger - falls sie einen solchen besitzen - täte besser daran ein Alibi für die Pollenflugzeit vorweisen zu können ;-)).

Wie gesagt: Statistik ist leider die einzige Möglichkeit "sicher" zu sein. Aber Statistik macht nur Sinn in Verbindung mit der Kenntnis der Testbedingungen. Es ist deshalb nicht weiter verwunderlich, dass sie verschiedenste Angaben zur Pollenflugweite gefunden haben.

Die festgelegten Bedingungen für ein Experiment müssen sehr sorgfältig gewählt werden, um auch sinnvolle Aussagen machen zu können. Ausserdem sollte man sich immer im Klaren darüber sein, dass die Natur kein Modellsystem ist - wir können nur unser Möglichstes tun, die Testbedingungen der Realität anzugleichen. Sind die Testmöglichkeiten im Labor erschöpft, folgt also der Schritt zu Realbedingungen - wenn man Ihn denn tun will.

2) Einen Sturm kann man nicht herbeizaubern. Die Tauglichkeit der Zelte kann nur unter simulierten Extrembedingungen ausgiebig getestet werden. Relevant sind die Kräfte, die auf das Zelt wirken und nicht dijenigen die einen morschen Baum zum Umfallen bringen. Wenn der Wind auf jeden Körper die gleichen Kräfte ausüben würde, könnte sich ein Segler das Segel sparen und sich dafür einen gleich schweren Betonblock ins Boot legen.

Und natürlich noch einen Punkt zu Christof Sautter:

Der erste Freisetzungsversuch in der Schweiz fand vor über 10 Jahren statt?

Ich wundere mich, dass die ETH als Institution, die sich mit der Zukunft beschäftigt, nicht vorausgesehen hat, dass sie sich irgendwann mit dem Problem der Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen wird auseinandersetzen müssen. Oder wurde einfach die Brisanz des Themas unterschätzt?

Rein rechtlich ist Christof Sautter sicherlich kein Vorwurf zu machen. Er hat sich im Gegensatz zu Greenpeace an die gesetzlichen Normen gehalten.

Als Forscher müsste man jedoch vielleicht angesichts der Brisanz des Themas über das hinausgehen, was zwingend vorgeschrieben ist (was zu einem gewissen Grad auch getan wurde). Zur Forschung gehört heutzutage auch, dass man auf die Ängste - ob unbegründet oder berechtigt - eingeht, und dies umso mehr, je grösser diese sind.

Ich weiss nicht in welchem Umfang Herr Sautter in dieser Angelegenheit Öffentlichkeitsarbeit betrieben hat. Der Vorwurf von Herrn Schweizer: "Sie verfolgen seit geraumer Zeit Ihr Projekt, ohne dabei auf gesellschaftliche oder politische Gegebenheiten Rücksicht zu nehmen,"*** ist jedenfalls ein schwerer und bedürfte der Klärung.

Wieso wurde in diesen zehn Jahren von der ETH nicht in Erwartung der Situation, mit der wir uns jetzt konfrontiert sehen, Lösungsmöglichkeiten erarbeitet? Wieso hat man sich nicht z.B. ein Versuchsfeld für solche Experimente ausgesucht und die relevanten Umweltdaten für diesen speziellen Ort gesammelt?

Ich kann nicht beurteilen, was für einen Unterschied das macht, aber als besorgter Bürger würde ich auch nach den Windgeschwindigkeiten in Bodennähe fragen und nicht in 10m Höhe (=30km/h) und ich würde auch wissen wollen, wie weit Pollen unter den DORT vorherrschenden Bedingungen (Windgeschwindigkeit, Besonderheiten im Terrain, Vegetation etc.) fliegen.

Vielleicht hätte man bei so einem Thema schon lange vor Versuchsbeginn mit den potentiellen Gegnern in Kontakt treten können, um Bedenken auszuräumen und zu informieren. Man muss dabei ja keine Betriebsgeheimnisse verraten - ob man jetzt Weizen mit einer Herbizid- oder einer Pilzresistenz aussähen will, ist ja nicht wirklich das Entscheidende.

Ich verstehe, dass dies mit Aufwand verbunden ist - aber es schafft auch zusätzliches Vertrauen, auf das man in Zukunft bei ähnlich schwierigen Themen (Embryonalzellforschung?) aufbauen kann.

Ich denke, die ETH besitzt zu Recht einen grossen Rückhalt in der Bevölkerung und ich kann mir nicht vorstellen, dass irgend jemand ernsthaft behaupten würde, dass die Bevölkerung aus den Kreisen der ETH bewusst in die Irre geführt würde, nur um jegliche Behinderung der Forschungstätigkeit zu vermeiden.

Manchmal muss man vielleicht mehr tun, als der Gesetzgeber für nötig hält. Dabei besteht aber auch immer die Gefahr, dass man mit noch so vielen Zahlen und Argumenten es nicht vermag, sein Gegenüber zu überzeugen - weil er nicht überzeugt werden will.

Nur weil gewisse Leute - man beachte: ich klage hier niemanden an - überhaupt gegen bestimmte Experimente sind und sich durch keine noch so strikten Sicherheitsmassnahmen umstimmen lassen, kann man nicht die Arbeit von Jahren opfern.

Jeder scheint immer zu glauben, er sei im Recht - wohl ein typisch menschlicher Zug...

Deshalb sei es hier nochmals gesagt:

Die GESELLSCHAFT entscheidet, und sie hat sich dazu entschlossen Freisetzungsversuche nicht generell zu verbieten - vergessen wir das nicht.

Das Stichwort heisst Verständnis und Konsens. Wer felsenfest jegliches Entgegenkommen ablehnt, an den ist ohnehin jedes Wort verschwendet.

Grüsse und gute Wünsche

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(* ich beziehe mich auf ein Informationspapier, das ich im Zusammenhang mit einem Praktikum erhalten habe: "Freisetzungsversuch von gentechnisch verändertem Weizen, Versuchsstation Lindau-Eschikon" vom Institut für Pflanzenwissenschaften, PD Dr. Christof Sautter).

(** man beachte: es macht nicht KEINEN Unterschied. Ich rezykliere mein Papier, Glas, Alu und PET einfach deshalb, um der Welt vielleicht etwas mehr Zeit zu geben, um zur Vernunft zu kommen. Was ist besser: Land A), wo 7 Millionen umweltbewusste Menschen leben, die überzeugt worden sind und tagtäglich das Möglichste tun um die Umwelt zu schonen, ihren Strom aber aus einem Atomkraftwerk beziehen, oder: Land B), in dem ebenfalls 7 Millionen Leute leben, denen die Umwelt jedoch völlig egal ist, die aber kein Atomkraftwerk besitzen? Und in welchem Land wird in 20 Jahren eher (noch) ein Atommeiler stehen? Die BEVÖLKERUNG will überzeugt und mobilisiert werden.)

(*** vgl. Leserbrief Ethlife vom 25.3.2003)





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