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Publiziert: 16.01.2001 11:00

Das "Migros-Syndrom" - eine Entgegnung
Das "Migros-Syndrom" - eine Entgegnung

Moritz Kälin

In einer vor kurzem in ETH Life erschienenen Kolumne verglich Frau Prof. Von Salis die ETH mit der Migros, aufgrund der aktuellen Diskussion um ungenügende Minimalllöhne für Doktorierende. Dieser Vergleich gefiel natürlich nicht allen. Die Verantwortlichen der Personalabteilung versuchten in einem zweiten Artikel die teilweise sehr tiefen Löhne für Doktorierende zu begründen. Die vorgebrachten Argumente beruhen auf einer, meiner Meinung nach falschen, Auffassung der Rolle der Doktorierenden, was ich im Folgenden erläutern möchte.

Was ist die Rolle der Doktorierenden an der ETH? Gemäss den Vertretern der Personalabteilung dient das Doktorat in erster Linie der Weiterbildung der Doktorierenden. Dies ist grundsätzlich richtig. Der von der Personalabteilung zur Untermauerung ihrer Argumentation ins Feld geführte Begriff «PhD student» ist aber unzutreffend, mag er auch noch so modisch englisch sein. Das Doktorat ist nämlich kein Studium im Sinne des Diplomstudiums. Doktoranden arbeiten in erster Linie als wissenschaftliche Mitarbeiter in den Forschungsgruppen, und in zweiter Linie als Assistenten in der Lehre. Die Forschung und die Lehre dienen nicht primär der Ausbildung der Doktoranden, vielmehr können sie sich "learning on the job" weiterbilden. Die Doktorierenden liefern vollwertige Arbeit, ohne die die ETH nicht funktionieren könnte. Das Doktorat als bezahlte Weiterbildung abzutun und dadurch die tiefen Löhne der Doktorierenden zu begründen, ist nicht zulässig.

Die Personalabteilung spricht zudem von einem Gehalt der Doktorierenden von brutto sFr. 60'000 (Lohnklasse 15). Diese Summe (sie entspricht etwa dem Einkommen eines gut qualifizierten KV-Angestellten im gleichen Alter) wäre an und für sich vernünftig für eine Arbeit, von der auch der Doktorierende profitiert. Leider ist dies jedoch eher die Ausnahme. Ein Grossteil der Doktorierenden ist zu 75% angestellt. In gewissen Departementen herrschen sogar 50%-Anstellungen vor (2000.- netto/Mt.!). Solche Anstellungen bedeuten jedoch nicht, dass diese Personen Teilzeitarbeit verrichten. Die Anstellung ist faktisch 100% (wenn nicht höher). Man finde einen Professor, der akzeptiert, dass sein zu 50% bezahlter Doktorand nach dem Mittagessen nach Hause geht oder erst dann erscheint!

Sorge bereitet mir ebenfalls das Argument der Personalabteilung, man würde jungen ForscherInnen den Zugang zu einer Dissertation an der ETH verwehren, wenn wegen höheren Löhnen weniger Stellen zur Verfügung stünden. Forschung ist Arbeit, und nicht ein Hobby der Doktorierenden. Wenn das Budget nicht reicht, ist dies ein Problem, mit dem sich die Forschungsleiter zu befassen haben, und nicht die Angestellten. Nettolöhne von 2000 sFr. verunmöglichen es zudem Doktorierenden mit Familie, ein Doktorat überhaupt in Erwägung zu ziehen. Es ist sicher allen klar, welchen Lebensstandard man mit 2000 sFr. netto als Alleinstehender in der Stadt Zürich zu erwarten hat. An den Unterhalt eines Kindes ist da gar nicht zu denken, geschweige denn die Finanzierung eines Krippenplatzes.

Man kann jedoch nicht allein den Professoren den Vorwurf machen, sie bezahlten ihre Mitarbeiter schlecht. Sie stehen als Forscher unter stetem Erfolgszwang – weniger Doktoranden bedeuten auch weniger Forschungsergebnisse. Die Löhne werden deshalb so weit wie möglich gedrückt, um die Anzahl der Mitarbeiter zu maximieren. Nötig sind hier klare Vorschriften seitens der Schulleitung bezüglich Minimallöhnen. Es darf nicht sein, dass in einem der reichsten Länder der Welt qualitativ hochstehende Forschung mit den Löhnen von Billigst-Arbeitskräften finanziert wird.

Abschliessend bleibt nur noch zu sagen, dass die ETH sich tatsächlich nicht mit der Migros vergleichen lässt: Die Angestellten der Migros haben sich erfolgreich gewehrt. Die Doktorierenden der ETH jedoch, unpolitisch eingestellt, häufig aus Ländern mit schlechten Einkommens- und Karriereaussichten stammend, und oft der deutschen Sprache nicht mächtig, wehren sich nicht. Ihre Lohnpolitik könnte sich jedoch eines Tages gegen die ETH selbst richten. Der Anteil Schweizer Doktoranden wird wegen den unattraktiven Anstellungsbedingungen weiter sinken. In Fachrichtungen, in welchen eine Dissertation und ein ein- bis zweijähriges Postdoc-Praktikum im Ausland für eine interessante Stelle in der Industrie ein Muss sind, sinkt die Zahl der neuen Studierenden. Im Departement Chemie z.B. ist dies bereits der Fall. Am Ende könnte die ETH, die ja nach eigenen Aussagen «Exzellenz» in Forschung und Lehre anstrebt, vor dem Problem stehen, dass sie zwar sehr gute ausländische Forscher ausbildet (die anschliessend in ihre Heimat zurückkehren), jedoch keine schweizerischen mehr. Für den Forschungsplatz Schweiz hätte dies im Endeffekt fatale Auswirkungen.

M. Kälin

Copräsident AVETH (Akademische Vereinigung des wissenschaftlichen Mittelbaus an der ETH Zürich)





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