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Rubrik: Frontpage Neue Instrumente für Hochwasserschutz und Revitalisierung Bevor das Wasser bis zum Halse steht |
Published: 10.03.2006 06:00 Modified: 13.03.2006 10:39 |
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Das Augusthochwasser 2005 war das folgenschwerste der letzten 100 Jahre in der Schweiz. Es machte abermals klar: Die bisherigen Schutzmassnahmen mit Begradigung und Eindämmung der Flüsse bieten keine absolute Sicherheit. Bereits mit dem Unwetterjahr 1987 setzte der Paradigmenwechsel ein: weg von einem „technischen“ hin zu einem „nachhaltigen“ Hochwasserschutz, wie er inzwischen sogar gesetzlich festgeschrieben ist. Damit beschäftigte sich am Mittwoch der Eawag-Infotag an der ETH Zürich. Im Vordergrund stand die Revitalisierung von Flüssen. Vorgestellt wurden neue Erkenntnisse und bisher fehlendes Werkzeug. Michael Bartnik 350 Fachleute aus Wissenschaft, Wasserbau, Ingenieur- und Umweltbüros, Politik und Verwaltung informierten sich am 8. März im ETH-Audimax bei der Tagung des Wasserforschungsinstituts Eawag. In diesem Jahr stand der Infotag unter dem Titel „Hochwasserschutz und Revitalisierung – Neue Wege für unsere Flüsse“. Er sollte der offizielle Schlusspunkt hinter das „Rhone-Thur-Projekt“ sein, wenn gleich einzelne Projektbestandteile noch ausstehen. Das 2002 von Bund, Kantonen und Forschungsinstituten lancierte Projekt hat flussbauliche Vorhaben an Rhone, Thur und anderen Flüssen begleitet. Ziel war die Erarbeitung von Methoden und Werkzeugen zur Revitalisierung von Flüssen, also zum Rückgängigmachen künstlicher Flussläufe und Einengungen. Diese senken nicht nur die Gefahr von Überschwemmungen, sondern schaffen auch mehr Lebensvielfalt für Pflanzen und Tiere. Aus dem Projekt hervorgegangene Ergebnisse und Erkenntnisse, Entscheidungshilfen und Handlungsanleitungen wurden am Infotag vorgestellt. Planen, womit man noch nicht rechnetArmin Peter, Co-Projektleiter des Rhone-Thur-Projektes, nannte die Hauptprobleme: „Die Schweizer Flüsse haben eine zu naturferne Gewässermorphologie.“ Ein Viertel der Fliessgewässer sei durch bauliche Eingriffe stark beeinträchtigt. Im Mittelland sind es gar 40 Prozent, was rund 16'000 Kilometern Fluss- und Bachläufen entspricht. Den Gewässern mangele es an Vernetzung. Die Läufe sind durch künstliche Hindernisse fragmentiert und voneinander getrennt. Herausforderung sei auch die stete Veränderung der Abflussmenge, die meist durch das kurzfristige Zuführen von Turbinierungswasser aus Wasserkraftwerken verursacht wird. Jedes vierte Gewässer ist von dieser Schwall-Sunk-Problematik betroffen. Hans Peter Willi von der Abteilung Gefahrenprävention beim Bundesamt für Umwelt stellte ein integrales Risikomanagement vor. Es schliesst einen Kreis von einem Hochwasserereignis über die Bewältigung und Regeneration bis hin zur Vorbeugung vor einem nächsten Ereignis. Er appellierte, vorausschauend zu denken und dynamisch zu handeln: „Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt: Wir müssen mit Ereignissen planen, mit denen wir noch nicht rechnen.“ Mehrzweckprojekte genügen verschiedenen InteressenAnton Schleiss, Wasserbau-Professor an der EPF Lausanne, betonte die Gewässerdynamik beim Hochwasserschutz: „Es ist aussichtslos, den Fluss in ein enges Korsett zu zwängen. Denn bei Hochwasser wird er sich sein natürliches Bett wieder suchen.“ Dynamische Gewässer würden viel Raum beanspruchen. So benötige ein natürlich mäandrierender Fluss fünf- bis sechsmal mehr Platz als das Gerinne normalerweise breit ist. Die Anforderung an den Hochwasserschutz ist seines Erachtens eine grosse Strukturvielfalt in der Gewässerdynamik.
Schleiss schlägt Mehrzweckprojekte vor, die verschiedenen Interessen und Anforderungen begegnen: Hochwasserschutz, Wasserkraftnutzung, Abflussregulierung, Schaffung neuer Biotope und Naherholungszonen. Für die Rhone stellte er eine solche Anlage vor. Neben dem Flusslauf kann ein naturnah gestaltetes Becken turbiniertes Wasser und Hochwasser aufnehmen, das langsam zunächst durch eine Erholungszone, dann durch eine Naturschutzzone und schliesslich wieder in die Rhone fliesst. 50 Indikatoren zu Planung und ErfolgskontrolleNachhaltiger Hochwasserschutz fängt bereits bei der Planung und der Einbeziehung aller relevanten Akteure an. Während bisher Entscheidungen abgeschottet, technokratisch und primär auf Expertenwissen beruhend getroffen wurden, gehöre es nun dazu, den Dialog zu suchen, Transparenz zu zeigen und entgegengesetzte soziale Interessen einzubeziehen. Marc Zaugg, Sozialgeograph der Universität Zürich hielt fest, dass „einzelne Interessengruppen das meiste Gewicht auf ihren wirtschaftlichen Nutzen legen. Die breite Bevölkerung steht Revitalisierungsprojekten und naturnahen Gewässern in der Regel positiv gegenüber.“ Mit dem Rhone-Thur-Projekt wurden 50 Indikatoren für die ökologische Qualität eines Revitalisierungsprojektes neu oder weiter entwickelt. Sie stehen nun für weitere Projekte zur Verfügung. Ein solcher Indikator ist die Uferlänge: Je naturnaher ein Flussabschnitt ist, umso länger sind seine Uferkanten. Temperaturunterschiede im Wasser stehen für mehr ökologische Vielfalt. Abwechselnde Stellen von kälterem und wärmerem Wasser auf engem Raum erlauben zum Beispiel eine grössere Fülle von Fischarten. Tot- und Schwemmholz erhöhe zwar die ökologische Qualität, kann aber zum Risiko im Überschwemmungsfall werden. Um Konsequenzen von Revitalisierungsmassnahmen vorhersagen zu können, stellte Peter Reichert, Leiter der Eawag-Abteilung für Systemsanalyse, Integrated Assessement und Modellierung, ein mathematisches Berechnungsmodell vor, das den aktuellen Wissensstand über wichtige Wirkungen zusammenfasst. Prognosemodelle und Variantenvergleiche könnten besser zur Entscheidungsfindung beitragen. Als Mangel in der bisherigen Umsetzung von Revitalisierungs-Massnahmen wurde die Erfolgskontrolle erkannt. In einem Handbuch liegt nun ein entsprechendes Tool vor. Nachfolgeprojekt ab Sommer 2006Für Revitalisierungen seien ökologisch gesehen die meisten Fliessgewässer der Schweiz gut oder sehr gut geeignet, so das Resultat einer Studie der Landschaftsplanerin Sigrun Rohde. Der ökologische Erfolg einer Massnahme hänge aber auch von Vernetzungen zwischen Lebensräumen in der Umgebung ab. Hochwasserschutz könne generell dann Erfolg haben, wenn im Oberlauf der Zuflüsse naturnahe Abschnitte vorhanden und die Flüsse mit dem Grundwasser vernetzt sind. Am Rande der Veranstaltung war zu erfahren, dass es ab Juli 2006 ein Nachfolgeprojekt geben soll. Es wird bis 2010 dauern und die gleichen Projektpartner umfassen. Wieder geht es um die Verbindung technischer Eingriffe des Wasserbaus und ökologischer Anforderungen. Es geht der Frage nach, wie sich Revitalisierungsprojekte weiterentwickeln und wie sie sich durch Hochwasser verändern. Ausserdem werde man sich weiter mit der Schwall-Sunk-Problematik beschäftigen. Welche Flüsse hier einbezogen werden, stehe noch nicht fest. |