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Rubrik: Frontpage Erster Tag der ETH Visionen Schub für die Lehre |
Published: 15.11.2005 06:01 Modified: 15.11.2005 20:33 |
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Zum Start in die Woche der ETH Visionen wurde gestern einen Tag lang angeregt über die Lehre an der ETH debattiert. Deutlich wurde, dass es Anreize struktureller Art braucht, um den Status der Lehre zu verbessern. Zudem setzen die Bolognareform und der Trend zur totalen und permanenten Verfügbarkeit des Wissens den Hochschulunterricht unter einen ständigen Veränderungsdruck. Norbert Staub (mailto:norbert.staub@sl.ethz.ch) Mit dem „Tag der Lehre“ hat gestern im Hauptgebäude die Woche der „ETH Visionen“ begonnen. Sie bildet einen letzten Höhepunkt des 150-Jahr-Jubiläums der ETH. Dazu hat das Jubiläumsteam das Hauptgebäude gestern in ein Forum der Lehre mit einer Vielzahl von Veranstaltungen verwandelt; vom Referat über die Ausstellung bis zur Showeinlage. Mit Wissensvermittlung allein schaffe es die ETH nicht, aus Gymnasialabgängern fähige Fachleute zu formen, sagte Bertram Batlogg, ETH-Physikprofessor und Verantwortlicher des „Tages der Lehre“ zum Auftakt. Es sei wesentlich, in den jungen Leuten Begeisterung, Neugier und Kreativität zu entfachen. Begeisterungsfähigkeit und Kreativität: diese Merkmale haben auch begnadete Dozierende. Ideale Lehrende sind glücklich, wenn der Funke springt und das Gegenüber vom Stoff so fasziniert ist wie sie selbst. So weit, so gut – wäre da nicht das andere universitäre Standbein, die Forschung. Denn darauf werden akademische Karrieren aufgebaut und nicht auf pädagogischen oder anderen „soften“ Talenten. Die Forschungs-Dividende heisst institutionelle Anerkennung und Perspektiven, jene der Lehre „nur“ zufriedene Studierende. Kein Wunder, geniesst die Wissens-vermittlung gemeinhin weniger Aufmerksamkeit als die Forschung. Alles Wissen immer verfügbarZu Unrecht, wie der gestrige Tag gezeigt hat. Denn dem „täglichen Brot“ der Hochschule, wie es Batlogg formulierte, steht ein dramatischer Wandel bevor. So wird uns in nicht allzu ferner Zukunft das gesamte Wissen in handlichen Geräten permanent zur Verfügung stehen, wie Hermann Maurer, Informatikprofessor an der TU Graz, in seinem Referat festhielt. Wie und was angesichts dessen noch gelehrt werden kann und soll, müsse bereits heute diskutiert werden.
Genau dies nahm sich die „Groupe de Réflexion“ vor, welche die Ergebnisse der ETH-Visionen nun täglich zu einem Fazit bündelt. Die Gruppe umfasst Ernst Hafen, den designierten Präsidenten der ETH Zürich, Olaf Kübler, als ETH-Präsident noch bis Ende November im Amt, Martin Heller, „Mister Expo.02“ und Kulturunternehmer, Felicitas Pauss, ETH-Professorin für Teilchenphysik, Daniela Suppiger Doktorandin am Centre of Structure Technologies am D-MAVT sowie Mauro Pfister, ETH-Mathematiker und Präsident des Verband der Studierenden an der ETH. Beiträge zu dieser Thematik versprachen die während des Tages angebotenen Workshops. In jenem mit dem Titel „Die ETH-Lehre in 30 Jahren“ wurde angenommen, dass das Spannungsfeld Forschung – Lehre auch künftig bestehe, und gefordert, neue Anreizsysteme zu schaffen, um die Qualität der Lehre zu erhöhen. Ob die Vorlesung als Veranstaltungstypus überlebt, wurde kontrovers diskutiert. Einig war man sich, dass trotz zu erwartender Technologieschübe die persönliche Beziehung zwischen Lehrenden und Studierenden den Lernerfolg auch künftig bestimmt. Auch Studierende in der PflichtAuch der Workshop „Lehrveranstaltungen optimieren“ zeigte, dass Anreize fehlen, damit Dozierende ihr Lehr-Know-how vergrössern. So sei das Tenure-Track-System für Assistenzprofessoren an der ETH darauf ausgerichtet, soviel zu forschen wie nur möglich. Die Lehre hingegen bilde bei der Evaluation dieser Nachwuchskräfte kaum eine Rolle. Vorgeschlagen wurde etwa, Gütekriterien für den Unterricht festzulegen, ein Hospitationssystem aufzuziehen, die Feedbackkultur zu fördern und die didaktische Ausbildung - allenfalls mit einem Obligatorium - voranzutreiben.
Aber nicht nur von den Dozierenden werden methodische Verbesserungen erwartet. Da das Bologna-Zeitalter das Mass des Selbststudiums erhöht, steigt auch der Druck auf die Studierenden, sich ihr Wissen selbständig anzueignen. Und um eine engagiertere Atmosphäre zu schaffen, könnte die ETH zudem anpeilen, ihre Studierenden selbst auszuwählen, so ein als „ketzerisch“ deklarierter Vorschlag. Prüfen gleich LehrenEin weiteres „Mitbringsel“ von Bologna sei eine Zunahme der Leistungskontrollen, wurde im Workshop „Prüfungen“ festgehalten. Denn im neuen Studiensystem sei jeder Kreditpunkt an eine Leistungskontrolle geknüpft, erklärte Balthasar Eugster vom Didaktikzentrum der ETH. Der Trend gehe in Richtung Prüfung der einzelnen Lehrveranstaltung. Die integrierenden Schlussprüfungen würden damit praktisch zum Auslaufmodell – eine Entwicklung, die auch Skepsis hervorrief. Das Studium schrittweise abzuhaken, könne dazu führen, dass am Ende kaum übergreifendes Wissen bestehe. Und eine gute Prüfung zeichne sich nicht nur durch ihren selektiven Charakter aus, sondern sei auch eine Lehrveranstaltung. Kompetenzenerwerb nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Erreichen bestimmter Ziele: Diese Einsicht förderte ein Workshop zum Thema „Soft Skills“. Wer ein Produkt entwickelt, müsse zwingend im Team zielführend interagieren können, sei es physisch oder via Computer, sagte Wilfried Elspass vom Zentrum für Produkt-Entwicklung an der ETH. Noch vergibt die ETH für den Erwerb solcher Fähigkeiten allerdings keine Kreditpunkte. Just dies erhob ETH-Doktorand Koni Osterwalder gegenüber dem für die Lehre der ETH zuständigen Rektor gleichen Namens zur Forderung. Rhetorischer SchlagabtauschIn der Abschlussveranstaltung des Tages kreuzten die beiden rhetorisch die Klingen. Im vollen, begeistert mitgehenden Audimax kam es zu einem mit Schachuhr ausgetragenen Disput über die Lehre aus studentischer und Schulleitungs-Sicht. Der Doktorand beklagte den mangelnden Stellenwert und den fehlenden Praxisbezug der Lehre, kritisierte das Fehlen pädagogischer Kriterien bei der Professorenbeurteilung, verlangte die Förderung kritischen Denkens und studentischer Selbständigkeit, eine offene Kommunikation sowie eine eigenständige ETH-Kultur, ohne stets zum MIT zu schielen. Dies geschehe nur dort, wo es Sinn mache, entgegnete der ETH-Rektor. Beim Betreuungsverhältnis sei das zum Beispiel nicht der Fall, weil dieses am MIT weit günstiger sei. Die Stellung der Lehre, so der Rektor, habe an der ETH dank der Evaluationen, der Befragung der Ehemaligen und des Ausbaus des didaktischen Angebots Fortschritte gemacht. Im ETH-Unterricht habe der Praxisbezug seinen Platz, aber er dürfe die Theorie nicht verdrängen. Es liege im übrigen auch an den Studierenden, sich zu regen, wenn sie die Professoren als zu bevormundend empfinden, sagte Rektor Osterwalder. Da herrsche manchmal eben auch eine Konsummentalität. Können statt WissenIn der Schlussrunde der Groupe de Réflexion wurde eine Schlüsselkompetenz mehrere Male genannt: „Energiegeladene Neugier“. Diese zu wecken, müsse in 30 Jahren ein primäres Ziel der ETH-Lehre sein. Es werde in der Lehre kaum mehr wie heute darum gehen, was die Abgänger wissen, sondern was sie können, resümierte Ernst Hafen. Als Konsequenz werde die Zahl der Frontal-Veranstaltungen stark abnehmen. Und indem Lehrende und Lernende auch in neuen Lehrformen intensiv zusammenarbeiten und sich austauschen, werde die Selbständigkeit der Studierenden gesteigert.
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