ETH Life - wissen was laeuft

Die tägliche Web-Zeitung der ETH Zürich - in English

ETH Life - wissen was laeuft ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuft
Home

ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Im Gespräch
Print-Version Drucken
Publiziert: 07.06.2001 02:00

Umkämpfte Militärvorlagen
"Es wird an die Angst appelliert"

Sogar mit dem Tod sei Bundesrat Schmid bedroht worden, meldet sein Departement: kaum je war ein Abstimmungskampf gehässiger als jener zur Militärgesetz-Revision, über die wir kommendes Wochenende abstimmen und welche der Bewaffnung von Schweizer Friedenstruppen im Ausland eine stärkere Grundlage geben soll. Kurt R. Spillmann, ETH-Professor für Sicherheitspolitik gehört zu den Verfechtern dieser militärpolitischen Öffnung. ETH Life konfrontierte ihn mit den Argumenten der Abstimmungsgegner.

Interview: Norbert Staub

Nicht nur von AUNS und SVP, sondern auch von linksgrüner Seite ist den beiden Vorlagen Widerstand erwachsen. Diese pocht auf eine Sicherheitspolititk mit den Schwerpunkten "Prävention, Bearbeitung der Konfliktursachen, Früherkennung und Vermittlung" und gegen "Aufrüstung" - das sind doch Dinge, die Sie und Ihr Institut auch unterstützen würden?

Kurt R. Spillmann: Das ist richtig. Weltweit bemühen sich die Staaten, die Sicherheitspolitik stärker auf Prävention und Bearbeitung von Konfliktursachen auszurichten. Dennoch ist die Realität so, dass wir seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges immer rund 30 bis 40 gleichzeitig ablaufende bewaffnete Konflikte hatten. Und hier sucht man nach Mittelwegen: Armeen zu Verteidigungszwecken existieren nach wie vor, auch im Umfeld der Schweiz. Gleichzeitig werden immer häufiger im Auftrag der UNO oder der OSZE Kontingente von Soldaten zu genau begrenzten Friedenssicherungsaufgaben abgeordnet. Hier möchte sich die Schweiz gleichwertig beteiligen, d.h. sie möchte ihre Freiwilligen auch im Verband zum Selbstschutz und zum Auftragsschutz mit leichten Waffen ausrüsten, wie das z.B. gegenwärtig über 30 Nationen im Kosovo tun. Die Schweizer Soldaten hingegen, die sonst vollwertigen Dienst leisten, müssen sich von anderen bewachen lassen.

Die Rechte ihrerseits operiert mit plakativen Schreckvisionen; vor allem mit der historisch verbrämten Vorstellung, dass mit der Annahme der Vorlagen Schweizer Soldaten "in fremden Kriegsdiensten geopfert" werden. Auch wenn hier eingängige Klischees bedient werden: es besteht offenbar diese Grundangst. Wurde diese bei der Ausarbeitung der Vorlage unterschätzt?

Spillmann: In schweizerischen Abstimmungskampagnen herrscht in der Regel eine Auseinandersetzung mit Argumenten vor. In diesem Falle wird nun unter massivem Einsatz finanzieller Mittel und unter rücksichtsloser Verdrehung der Tatsachen an die Angst appelliert. Ich habe so etwas noch kaum gesehen und wir werden über diese Entgleisungen noch intensiv nachdenken.

kurt r. spillmann
Kooperation in der Sicherheitspolitik diene der Schweiz weit mehr als der Rückzug auf die "Widerstandsarmee", sagt Kurt R. Spillmann, ETH-Professor für Sicherheitspolitik. gross

Anschlussfrage: Da und dort wird das "Ende der Neutralität" heraufbeschworen. Wurde nicht unterschätzt, dass diese vielgeschmähte Neutralität im Volk tiefer verwurzelt sein könnte als angenommen? Bundesrat Schmids Bekenntnis, die Revision sei kein Schritt Richtung NATO, ist doch bereits durch die "Partnerschaft für den Frieden" unterhöhlt.

Spillmann: Nein: das ist eine Unterstellung. Die Mitgliedschaft in der NATO ist kein Ziel des Bundesrates, wie etwa die Mitgliedschaft in der EU. Es geht im Gegenteil aus allen offiziellen Dokumenten - auch aus der offiziellen Erklärung anlässlich des Beitritts der Schweiz zur "Partnerschaft für den Frieden" - hervor, dass die Schweiz ihre Neutralität nicht aufzugeben gedenkt und nicht Mitglied der NATO zu werden beabsichtigt. Wer also verbreitet, der Bundesrat plane insgeheim einen NATO-Beitritt, unterstellt der Landesregierung, sie lüge die Wählerschaft an.

Dem Bundesrat wird laut neuem Gesetz eine sehr hohe Entscheidungsbefugnis über militärische Auslandeinsätze zukommen. Droht hier also der Ausschluss des Volkswillens?

Spillmann: Im Gegenteil. Alle Entsendungen von derartigen Freiwilligenverbänden müssen mit den Aussenpolitischen und den Sicherheitspolitischen Kommissionen von National- und Ständerat abgestimmt werden. Wenn ein bewaffneter Einsatz von mehr als 100 Angehörigen der Armee beschlossen wird oder wenn ein solcher Einsatz länger als drei Wochen dauert (was in der Regel der Fall sein dürfte), dann muss die Bundesversammlung den Einsatz genehmigen. Nur wenn man unser Parlament nicht mehr ernsthaft als Volksvertretung betrachtet, kann man diese strenge Regelung als "Ausschluss des Volkswillens" bezeichnen.


weitermehr

swyisscoy, suva reka
Die beiden Militärvorlagen implizieren laut Kurt R. Spillmann keine Absage an die Neutralität: Swisscoy-Kontrollposten bei Suva Reka in Kosovo. gross

Wie begegnen Sie dem Vorwurf, hier solle die reine Verteidigungs- und "Widerstandsarmee" liquidiert und zu einer "Angriffsarmee" mit unsicherer Perspektive umfunktioniert werden?

Spillmann: Kleine Kontingente von Soldaten, die zu Friedensförderungsaufgaben bewaffnet werden, sind wirklich alles andere als eine "Angriffsarmee". Hingegen halte ich das ganze Gerede von der "Widerstandsarmee" für zynisch, da es durch die Sicherheitspolitik der Kooperation weit bessere Möglichkeiten gibt, den Interessen des Landes zu dienen. Wann käme eine "Widerstandsarmee" zum Einsatz? Wenn alle unsere Nachbarstaaten niedergekämpft wären (von einem übermächtigen Feind, von dem weit und breit nichts zu sehen ist), wenn die NATO niedergekämpft wäre, und wenn ein Besetzer ganz Europas nur noch die Schweiz zu knacken hätte. Haben sich die Leute, die diese selbstmörderische Widerstandsarmee propagieren, eigentlich einmal die für Land und Leute vernichtenden Konsequenzen überlegt?

Die Schweizer Luftwaffe trainiert bereits im hohen Norden und im Mittelmeerraum; in Kosovo leisten Schweizer Soldaten Dienst – viele von ihnen tragen eine Waffe: Offenbar ist schon vieles möglich und ein neues Gesetz also überflüssig.

Spillmann: Das neue Gesetz ist nötig, um den Schweizer Freiwilligenverbänden Parität zu verschaffen. Sie sollen zum Beispiel in Kosovo mit gleichen Mitteln - leichten Waffen - sich selbst und ihren Auftrag verteidigen können wie alle anderen, aus über 30 Ländern stammenden Soldaten auch. Das entspricht schweizerischem Selbstverständnis. Alles andere ist unwürdig.

In Kosovo ist zum Glück noch kein Schweizer Soldat umgekommen - im Gegensatz zu Militärangehörigen anderer Armeen. Das zeigt doch, dass die grundsätzliche Nichtbewaffnung gut ist, ja sogar als "Versicherung" wirken kann. Nach dem Motto: "Gewaltpotentiale ziehen Gewalt auf sich" - und umgekehrt.

Spillmann: Die Haltlosigkeit dieses Argumentes wird sofort sichtbar, wenn man Nachrichten über Todesfälle unter den Delegierten und MitarbeiterInnen des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz betrachtet. Schutzlosigkeit ist keine gute Versicherung. Im Gegenteil. Sogar der Präsident des IKRK, Jakob Kellenberger, ist für schwierige Missionen auf bewaffneten Schutz angewiesen und gibt das auch zu.

Wie schätzen Sie den Ausgang der Abstimmung ein?

Spillmann: Ich bin noch immer zuversichtlich, dass die Vernunft der Argumente und die politische Vorsicht, die der Bundesrat bei der Abfassung des Vorschlages walten liess, den Sieg davontragen werden. Die Schweiz will sich vor der Weltöffentlichkeit auch nicht als engstirnig-egoistisch lächerlich machen. Die humanitäre Tradition dieses Landes verlangt von uns ein aktives Engagement für den Frieden, und das auch in den jetzt geforderten Formen von bewaffneten Einsätzen zur Friedensföderung.


Verfechter eines modernen Sicherheitsdenkens

Kurt R. Spillmann ist ETH-Professor für Konfliktforschung und Sicherheitspolitik und Titularprofessor für Neuere Geschichte, insbesondere Geschichte der USA, an der Universität Zürich. Er leitet das CIS (Center for International Studies) in Zürich als Geschäftsführer seit dessen Gründung im Jahr 1997. Zwischen 1987 und 1995 war er Vorsteher der Abteilung für Militärwissenschaften an der ETH. Im Militär bekleidete er den Rang eines Obersten.

Spillmann hat verschiedene Bücher und zahlreiche Aufsätze aus den Bereichen Amerikanische Geschichte, Amerikanische Aussen- und Sicherheitspolitik, Schweizer Sicherheitspolitik und Konfliktforschung verfasst oder herausgegeben und ist Herausgeber der Zürcher Beiträge zur Sicherheitspolitik und Konfliktforschung, der Reihe Zeitgeschichtliche Hintergründe aktueller Konflikte sowie des Bulletin zur schweizerischen Sicherheitspolitik.

Kurt R. Spillmann ist als Experte Mitglied verschiedener nationaler Kommissionen, etwa der Arbeitsgruppe Sicherheitspolitik um den ehemaligen Appenzeller Ständerat Otto Schoch.




Literaturhinweise:
Ein weiteres ETH-Life-Interview mit Kurt R. Spillmann zu "Peace Support Operations" finden Sie unter www.ethlife.ethz.ch/tages/show/CISTagungPeaceSuppo.html
ETH-Life-Bericht über eine ETH-Veranstaltung mit Bundesrat Schmid zu den Militärvorlagen: www.ethlife.ethz.ch/news/show/BRSchmid.html



Sie können zu diesem Artikel ein Feedback schreiben oder die bisherigen lesen.




!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!