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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Im Gespräch
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Publiziert: 20.05.2001 06:00

Stellungnahme zum Thema Doktorierenden-Löhne
"Lieber Herr Prof. Kübler"

Nachfolgend eine Stellungnahme der Akademischen Vereinigung des Mittelbaus an der ETH Zürich (AVETH) zum Thema Doktorierenden-Löhne. Der offene Brief nimmt Bezug auf Aussagen von ETH-Präsident Olaf Kübler, die dieser an der Jahresmedienkonferenz und in einem Interview mit ETH Life gemacht hat.

Lieber Herr Prof. Kübler,

ich freue mich, innerhalb der Arbeitsgruppe 'Doktorandenlöhne' an der Problemlösung mitzuwirken. Ich denke, wir können dort im kleinen Kreis schnell und effektiv vorgehen. Der Zeitplan erscheint mir gut gesteckt; das wird dazu beitragen, gegenüber den Doktorierenden Vertrauen zu schaffen.

Mit grossem Interesse habe ich auch die Jahrespressekonferenz und das Interview mit ETH Life verfolgt. Daraus geht hervor, dass Sie eine Erhöhung der Anzahl von Doktoranden (und graduate students) anstreben. Es ergeben sich einige Konsequenzen, die ich aus unserer Sicht kommentieren möchte.

Eine höhere Anzahl von Doktoranden führt unweigerlich zu vermehrten Kosten. "Kostenneutral" lässt sich das also niemals verwirklichen. Es ist völlig unklar, wie Sie einerseits eine deutliche Erhöhung der Saläre wegen der hohen Kosten ausschliessen und andererseits auf eine Erhöhung der Anzahl Doktorierender abzielen. Dies ist umso merkwürdiger, als die Professoren unter den jetzigen Anstellungsbedingungen schon oft genug Schwierigkeiten haben, neue Doktoranden zu rekrutieren. Mehr motivierte und gut ausgebildete Doktoranden findet man nicht so einfach am Strassenrand, wenn man gleichzeitig die vorhandenen Doktoranden sträflich vernachlässigt. Es geht hier nicht nur um das Existenzminimum, sondern auch um den sozialen Status, den Stand und das Ansehen in unserer leistungsorientierten Gesellschaft. Die Doktorierenden leisten genug (ich denke, hier besteht Konsens), nur wird das weder entsprechend vergütet, noch gesellschaftlich anerkannt.

Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass ein Doktorand allein durch seine Aufgabe und das Gefühl, zur Elite zu gehören, motiviert genug ist, um Hungerjahre zu durchleben. Heutzutage wird man schon bei der Entscheidung, eine Doktorarbeit zu beginnen beinahe ausgelacht, etwa vergleichbar mit dem Entschluss, Künstler zu werden oder in ein Kloster einzutreten. Insbesondere die inländischen Absolventen kennen die Lebenshaltungskosten in Zürich und ziehen allein deshalb eine schlecht bezahlte Doktorarbeit nicht in Betracht. Die meisten Absolventen, die sich dennoch für den Verbleib an der Hochschule entscheiden, lieben die Wissenschaft, aber sie werden sich nicht bis zur Selbstaufgabe opfern. Die Chance, in der Industrie unterzukommen, nutzen viele Absolventen, um nicht in ein paar Jahren als alternder Wissenschaftler vor einer ungewissen Zukunft zu stehen. Wenn die Universitäten den Doktoranden keine adäquate Bezahlung zukommen lassen und gleichzeitig die Zukunftsaussichten in der Wissenschaft sehr unsicher und zudem wiederum schlecht bezahlt sind, sehen wir auch keine langfristige Perspektive für die ETH, im Inland zu rekrutieren.

Der Zuwachs an Doktorierenden soll also vornehmlich durch Absolventen aus dem Ausland erfolgen. Obwohl das offerierte Doktorandengehalt in Zürich in den Augen eines Ausländers durchaus ausreichend erscheint, wenn man es in die jeweilige Landeswährung umrechnet, willigt man vor allem in Hinblick auf den guten Ruf der Hochschule ein. Schon bald nach dem Antreten in Zürich wird dann aber offenbar, dass die Lebenshaltungskosten mit denjenigen in den Herkunftsländern nicht vergleichbar sind. Es macht sich schon der erste Unmut breit, wenn die adäquate Wohnung fast die Hälfte des Doktorandengehaltes auffrisst, ganz zu schweigen von den Preisen im Supermarkt oder im Restaurant und den anderen üblichen Startschwierigkeiten.

Bisher ist auch die Frage des Familiennachzugs ausländischer Doktorierender, wie Sie selbst bemerkten, nur unzureichend geklärt. Der 'brain gain' aus dem Ausland entpuppt sich somit als Falle für (angehende) Familien. Eine derartige Behandlung von einzelnen Personengruppen kann schon als soziale Diskriminierung bezeichnet werden. Zumal Doktoranden mit geringerer Entlöhnung doppelt gekniffen sind, denn sie haben auch kaum Chancen, ihre Ehepartner und Kinder nach Zürich zu holen. Warum sollen z. B. die meisten Chemiker, Biologen, Erd-, Agrar- und Umweltwissenschaftler auf Familiennachzug verzichten, während die meisten Mathematiker und Informatiker hier geringere Probleme zu erwarten haben? Die Antwort lautet bisher: Weil sie nicht entsprechend entlöhnt werden! Dieser Aspekt wird offensichtlich immer wieder unterschätzt und das zeigt wiederum die Nachlässigkeit, mit der man (Elite-)Doktoranden in Zürich behandelt.

Ausserdem wird von den Doktoranden heute viel mehr verlangt als noch vor einigen Jahren. Doktorarbeiten sollen grundsätzlich innerhalb von 3 Jahren abgeschlossen sein, man soll innerhalb dieser Zeit publizieren, möglichst patentierbare Ergebnisse produzieren, Kreditpunkte einholen, und schliesslich Diplomarbeiten, Praktika und Übungen betreuen. Einige Professoren verlangen von Doktoranden auch Einsatz in der Vorbereitung oder Durchführung von Vorlesungen. Oft genug müssen admistrative Leistungen, wie etwa die Betreuung von Instrumenten und Einführung neuer Nutzer oder die Evaluation neuer Geräte, erbracht werden. Es ist zu erwarten, dass die Betreuung von graduate students zum grossen Teil durch die Doktorierenden erfolgen wird, die somit die Hauptlast einer Erhöhung der Anzahl von graduate students tragen müssen. Das macht den Einstieg in ein Doktoratsstudium nicht attraktiver, wo doch z.B. in der Mathematik einige Doktoranden schon auf Bezahlung verzichten, damit sie ihre Lehrverpflichtung loswerden, die oft mehr als 50 Prozent der Zeit verschlingt. Das ist kein Einzelfall und wird, falls dieses Beispiel Schule macht, die Hochschule vor ernsthafte Probleme stellen.

Das selbstgesteckte Ziel der ETH Zürich ist, mit den besten Hochschulen der Welt zu konkurrieren. Unsere Hochschule hat dafür, infolge der bereits guten internationalen Reputation, sicherlich eine gute Ausgangslage. Es ist jedoch zu bedenken, dass eine Erhöhung der Anzahl Doktorierender nicht automatisch in einer Verbesserung des Ansehens der Hochschule resultiert. Auch die Zufriedenheit der Doktorierenden mit ihrer Universität darf als Masstab für die Reputation derselben angeführt werden. Bedenken Sie, dass die Doktorierenden den Grossteil der Forschungarbeit und Lehrtätigkeit verrichten. Ist es im Kontakt mit Studenten als fortgeschrittener Wissenschaftler nicht auch wünschenswert, Zufriedenheit auszustrahlen? Geben Sie den Doktorierenden die zeitlichen Freiräume für Ihre Forschung und eine faire Entlöhnung und tragen Sie Sorge um den Familiennachzug!

Die Arbeitsgruppe 'Doktorandenlöhne' kann nur mit dem entsprechenden finanziellen und organisatorischen Spielraum sinnvoll sein. Eine Veränderung der Rahmenbedingungen für Doktoranden stärkt die ETHZ für den internationalen Wettbewerb. Zukunftsorientiert zu sein, bedeutet nicht nur wissenschaftliche, sondern auch soziale Kompetenz. Sie verlangen beides von Doktoranden. Die ETHZ selbst hat sich in Ihrem Leitbild dazu verpflichtet eine verantwortungsbewusste Arbeitgeberin mit fortschrittlichen Anstellungs- und Arbeitsbedingungen zu sein. Wir nehmen Sie beim Wort!

Falls Ihr Angebot noch gilt, sind auch wir weiterhin bereit, unabhängig von der eingesetzten Arbeitsgruppe, mit Ihnen das persönliche Gespräch zu suchen. Die geforderten 45.000 CHF Mindestlohn pro Jahr für Doktoranden sind nicht überzogen, und es wird schwer sein, bei dieser Forderung Einbussen hinzunehmen.

Beste Grüsse

Dietbert Neumann

Vorstand AVETH





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