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Rubrik: Interview der Woche

Uni-Professor Adriano Aguzzi zum Rinderwahnsinn
Die Gefahr lauert im Menschen

Published: 01.12.2000 06:00
Modified: 04.12.2000 09:16
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Rindfleisch ist nicht das Problem. Die Gefahr lauert vielmehr in der Übertragung von Mensch zu Mensch. Diese brisanten Aussagen machte der bekannte Prionenforscher Adriano Aguzzi (#kasten) im Gespräch mit ETH Life. Zehn Jahre nach AIDS droht Europa im schlimmsten Fall eine zweite Epidemiewelle.



Von Jakob Lindenmeyer (www.jakob.lindenmeyer.ch/) und Richard Brogle Nach den täglichen Schlagzeilen zum Rinderwahnsinn die Frage an den Fachmann: Essen Sie noch Rindfleisch?

Ja. Muskelfleisch ist für mich kein Problem. Sie müssen allerdings aufpassen mit der Definition des Begriffs Rindfleisch. Der Steak-Konsum trägt wohl am wenigsten Schuld für den Rinderwahnsinn beim Menschen, denn im Muskelfleisch ist nie infektiöses Material nachgewiesen worden. Das bedeutet allerdings nicht, dass es im Muskelfleisch nicht auch bösartige Prionen hat. Sie konnten aber bisher nicht nachgewiesen werden.

Aguzzi
Aguzzi: "Ich bin sehr beunruhigt."

Ist Rindfleisch also unproblematisch?

Problematisch ist, was ich als "mechanically recovered meat" bezeichnen würde. Das heisst, Fleisch wird mit Fräsen aus der Wirbelsäule herausgelöst. Das hat eine massive Kontamination mit hochinfektiösem Rückenmark zur Folge. Über diese Form der Fleischrestverwertung haben sich wahrscheinlich die meisten Menschen mit dem Rinderwahnsinn-Erreger infiziert.

Haben Sie auch schon solches Fleisch gegessen?

Ich habe noch nie bewusst solches Fleisch aus Restverwertung gegessen. Ich war auch nie ein Fan von Fast Food und Hamburgern.

Das Problem ist aber, dass dieses Zeug ziemlich überall vorkommt, beispielsweise in Gelatine. Selbst als Vegetarier bleiben Sie kaum verschont davon. Es ist sehr schwierig, die genauen Wege von Rindfleischkomponenten zurückzuverfolgen.

Gibt es sonst noch Fleisch, das Sie nicht essen würden?

Ich weiss nicht, ob diese Westschweizer Spezialität noch verkauft wird: "Tete de veaux" (Kalbskopf). Überall wo noch Hirnmaterial drin ist, kann ich mir nicht vorstellen, wie jemand noch Appetit auf so was haben kann, ausser er hätte in den letzten zehn Jahren hinter dem Mond gelebt.

Was halten Sie vom Rindfleisch-Verbot an Genfer Schulkantinen: Vernünftig oder paranoid?

Das ist eine echte Augenwischerei. Wir sind momentan im Jahr 15 nach Beginn der BSE-Epidemie. Der erste Fall von Rinderwahnsinn in Grossbritannien entdeckte man 1986. Der erste Fall der Schweiz trat 1991 auf. Und jetzt im Jahr 2000 kommt die Genfer Schule plötzlich auf die Idee, Rindfleisch vom Speiseplan zu nehmen.

Auch die Mensa der Uni Zürich überlegt sich, kein Rindfleisch mehr anzubieten...

...Da verstehe ich die Welt nicht mehr! Der Rinderwahnsinn ist zwar momentan ein aktuelles Medienthema. Dabei geht aber vergessen, dass Rinderwahnsinn eine Krankheit ist, die immer seltener wird. Der Rinderwahnsinn ist zwar nicht verschwunden, aber das Problem ist geringer, als vor fünf Jahren.

Also ist nicht das Rind das Problem, sondern der Mensch, Stichwort: Creutzfeldt-Jakob- Krankheit?

Ja sicher, aber dieses Problem lösen sie nicht mit einem Stopp des Rindfleischkonsums. Das Problem ist nicht mehr die Übertragung vom Rind auf den Menschen. Die Wahrscheinlichkeit, sich heute noch über den Konsum von Rindfleisch mit Rinderwahnsinn zu infizieren, ist sehr gering, weil heute alle Hochrisikoorgane wie Hirn und Rückenmark aus der menschlichen Nahrungskette entfernt werden.

Die Schweizer sind vor zehn Jahren mit dem Erreger des Rinderwahnsinns in Kontakt gekommen. Damals sind in der Schweiz BSE-Rinder gegessen worden, ohne die heutigen Vorsichtsmassnahmen. Deswegen gehe ich davon aus, dass es auch in der Schweiz Personen gibt, die mit dem Erreger des Rinderwahnsinns infiziert sind.


Aguzzi-Interview Teil 2

Was Professor Aguzzi zur Entstehung des Rinderwahnsinns und zu verschiedenen Erreger-Theorien sagt, lesen Sie in Teil II des Interviews mit Aguzzi. Dort werden auch die im neusten "Nature" publizierten Forschungsresultate von Aguzzis Gruppe vorgestellt. Unter anderem legen sie die Basis für einen neuen Nachweistest im Blut sowie für eine Möglichkeit zur Reinigung von Blutkonserven. Teil II.


Aguzzi
Aguzzi: "Muskelfleisch ist für mich kein Problem."

Stehen wir also vor einer neuen Seuche?

Das Problem ist vor allem die Übertragung von Mensch zu Mensch. Das heisst, dass Personen, die den Rinderwahnsinn-Erreger im Körper tragen, ihn auf andere Menschen übertragen, via Bluttransfusionen oder über ungenügend sterilisierte chirurgische Instrumente. Die Zeit zwischen der Infektion und dem Ausbruch der Krankheit ist wahrscheinlich sehr lange, zirka 15 bis 20 Jahre. Die Infektion gefährdet primär die Person selbst, aber sie stellt auch eine Gefahr für alle Mitmenschen dar.


Zur Person

Der 40jährige italienische Neuropathologe Adriano Aguzzi ist Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsspital Zürich und des Schweizerischen Referenzzentrums für Prionenkrankheiten. Er ist Mitglied des BSE-Beratungsausschusses der britischen Regierung und der EU-Kommission. Aguzzi gilt als einer der weltweit führenden Experten für die menschliche Variante von Rinderwahnsinn. In der neusten Ausgabe von "Nature" publizierte er einen Ansatz, um bösartige Prionen im Blut nachzuweisen und Blutprodukte zu reinigen.


Wird Rinderwahnsinn wie AIDS von Mensch zu Mensch übertragen?

Das möchten wir auch gerne wissen. Beteiligt sind eine Reihe von peripheren Zellen und das Immunsystem. Da würde ich als erstes suchen. Mögliche Übertragungswege sind Bluttransfusionen oder chirurgische Instrumente.

Wie steht es mit einer Ansteckung über Geschlechtsverkehr?

Davon ist eher nicht auszugehen. Bisher gibt es keine Beispiele dafür, dass Prionenerkrankungen über Geschlechtsverkehr übertragen werden.

In einem früheren Interview sagten Sie, in Europa seien 100 Millionen Menschen mit dem Rinderwahnsinn-Erreger in Kontakt gekommen.

Zu dem stehe ich.

Modellrechnungen in Nature gehen von 20'000 bis 136'000 Erkrankungen aus. Wie kommen Sie auf die 100 Millionen?

Meine Aussage bezieht sich auf die Menschen, die mit dem Rinderwahnsinn-Erreger in Kontakt gekommen sind. Nicht all diese Menschen haben sich angesteckt, und nicht all diejenigen die sich angesteckt haben, werden in der Zukunft krank werden: Am Ende sind dies aber alles nur Zahlenspielereien, denn wir haben keine Ahnung über genetische Dispositionsfaktoren. Auch haben wir erst eine Handvoll Fälle. Darum sind solche Berechnungen und Simulationen noch nicht sehr aussagekräftig.

In England sind mittlerweile über 80 Menschen an der neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit erkrankt. Wie schätzen Sie die Situation dort ein?

Ich bin sehr beunruhigt. Ich glaube es sieht nicht gut aus. Die Zahl der Erkrankungsfälle in Grossbritannien nimmt zurzeit exponentiell zu.

Und wann trifft es in der Schweiz den ersten Menschen?

Ich finde die allgemeine Erwartungshaltung nach dem ersten Rinderwahnsinn-Opfer etwas makaber. Alle Leute fragen mich: "Wann kommt endlich mal das erste Opfer in der Schweiz?" Ich hoffe natürlich, dass es bei uns nicht soweit kommt. Allerdings befürchte ich, dass wir von der Seuche nicht verschont bleiben.


Originalton Aguzzi

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References:
•  Aguzzis Institut fuer Neuropathologie: www.unizh.ch/pathol/neuropathologie
•  Homepage von Professor Adriano Aguzzi: www.neuroscience.unizh.ch/e/groups/aguzzi00.htm
•  Aktionsgruppe zur Bekaempfung des Rinderwahnsinns in der Schweiz: www.rinderwahnsinn.ch
•  Informationen zur menschlichen Variante des Rinderwahnsinns: www.cjd.ed.ac.uk
•  ETH Life-Artikel: Wie die ETH-Mensen mit dem Rinderwahnsinn umgehen: http://ethlife.ethz.ch/tages/show/BSE.html


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