www.ethlife.ethz.ch    
ETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuftETH Life - wissen was laeuftETH LifeDie taegliche Web-Zeitung der ETHETH Life - wissen was laeuft
ETH Life - wissen was laeuftETH Life - wissen was laeuft


Rubrik: Interview der Woche

WTO-Experte Richard Senti
Macht zähmen statt totschlagen

Published: 24.11.2000 06:00
Modified: 24.11.2000 07:28
druckbefehl
Das Image der WTO ist seit dem Debakel der Millenniums-Runde in Seattle arg ramponiert. Trotzdem gebe es keine Alternative zur WTO, sagt Professor Richard Senti in einem Gespräch mit ETH Life. Macht sei auf bilateraler Ebene weit gefährlicher als in einem internationalen Zusammenschluss wie der WTO.



Interview: Roman Klingler (mailto:roman.klingler@sl.ethz.ch)

Herr Senti, Sie haben ein umfangreiches Buch über die WTO geschrieben, erhältlich im Buchhandel zum stolzen Preis von 188 Franken. Können Sie den Studierenden noch in die Augen schauen?

Richard Senti: Der Preis wird nicht von mir, er wird vom Verlag festgelegt. Dabei wird der Verlag sicher berücksichtigen müssen, dass der Markt für solche Fachbücher eng ist und die Auflage daher bescheiden sein muss.

Für wen schreiben Sie Bücher: für den engen universitären Bereich oder für eine breitere, interessierte Öffentlichkeit?

Senti: Mein Zielpublikum sind einerseits die Studierenden und Dozenten der Aussenwirtschaft und des Völkerrechts. Anderseits besteht offensichtlich ein grosser Informationsbedarf von Seiten der Wirtschaft, der Verwaltung und der Politik.

Lob erhalten Sie in den Buchbesprechungen für die gut verständliche und nüchterne Analyse. Nur der Preis ist etwas gar hoch. Da wird Wissen doch zum Luxusgut.

Mister WTO

Richard Senti ist Autor zahlreicher Bücher über den Welthandel und dessen Institutionen. Der seit wenigen Monaten emeritierte Professor stand zwischen 1982 und 1994 dem Institut fur Wirtschaftsforschung der ETH vor. Seine Schwerpunkte in Lehre und Forschung betreffen Aussenwirtschaft, internationale Wirtschaftsorganisationen und den Agrarmarkt. Senti ist unter anderem Mitglied des WTO/GATT -Streitschlichtungsorgans und der "International Trade Law Association".


Vom Gatt zur WTO

Senti: Das Buch ist ein breiter Kommentar zur WTO und gedacht für ein vertieftes Studium. Es gibt auch noch eine kleinere und entsprechend günstigere Ausgabe, die wir den Studierenden für 20 Franken abgeben, als Manuskript.

Sie haben fünf Jahre an Ihrem neusten Buch uber die WTO gearbeitet: Wie stark hat sich die Organisation selber in dieser Zeit gewandelt?

Senti: Die grossen Neuerungen der WTO gehen nicht auf die letzten fünf Jahre zurück, sondern auf Anfang der 90er Jahre. Während der damaligen Uruguay-Runde wurde das ursprüngliche GATT in die WTO umgewandelt.

Was konkret hat sich damals geändert?

Senti: Das GATT von 1947 hat sich nur auf den Handel mit Gütern bezogen. In der Uruguay-Runde entstand neben dem GATT das Allgemeine Abkommen uber den Dienstleistungshandel (GATS) und das Abkommen uber den Schutz der geistigen Eigentumsrechte (TRIPS). Hinzu kamen diverse Sonderabkommen u.a. uber die Landwirtschaft, den Textilhandel, die Telekommunikation und die Finanzdienstleistungen. Nicht vergessen darf man schliesslich die Neuregelung der Streitschlichtung."

Angeschlagene WTO
Das neue Jahrhundert hat mit dem Debakel von Seattle nicht gerade vielversprechend begonnen für die WTO. Wie stark haben Sie "Seattle" in Ihrem Buch thematisiert?

Senti: Auf das Scheitern der Konferenz von Seattle tritt das Schlusskapitel kurz ein. Es zeigt, welch unterschiedliche Interessen in Seattle aufeinander prallten und warum ein Scheitern dieser Konferenz vorprogrammiert war: Mangelhafte Vorbereitung des Meetings, Proteste und Druck von Seiten der NGOs sowie Uneinigkeit unter den Delegierten.

Ist die Welthandelsordnung, wie sie die WTO verkörpert, nach dem Scheitern der Millenniums-Runde in Seattle in Gefahr?

Senti: Das bisher Erreichte ist wohl nicht in Gefahr. Kein WTO-Mitglied wird es sich leisten wollen, einseitig die Zölle wieder anzuheben oder einmal abgeschaffte nichttarifäre Handelshemmnisse erneut einzüfuhren. Andererseits hat die WTO in der Tat durch das peinliche politische Gerangel um die Besetzung der Generaldirektion, die endlosen Streitereien über die EU-Bananenordnung und den Handel mit Hormonfleisch aus den USA und aus Kanada sowie das Scheitern der Ministerkonferenz in Seattle an Prestige und Schwung verloren."

Richard Senti, ETH-Professor und WTO-Experte
Hat ein neues Standardwerk zur WTO geschrieben: Prof. Senti

Keine Alternative zum Freihandel
Für viele hat Seattle gezeigt, dass die Globalisierung die Gräben zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden vertieft. Welche Rolle spielt die WTO dabei?

Senti: Ich glaube, es ist es ein Trugschluss zu glauben, die einen seien reich, weil die anderen arm sind, oder umgekehrt. Meiner Ansicht nach handelt es sich bei der Diskussion um die Globalisierung um ein Sündenbock-Phänomen. Auch die Globalisierung macht nicht die einen reich und die anderen arm. Vielmehr ist es wie bei jeder Innovation, dass die Verlierer um ihren Besitzstand, ihren Handelsanteil, ihren Job kämpfen.

Also gibt es doch Verlierer bei der Globalisierung. Die Frage bleibt somit: baut die WTO die weltweiten Ungleichgewichte ab oder verstärkt sie diese noch?

Senti: Ob mit dem Handel das zwischen den Ländern bestehende Ungleichgewicht beseitigt wird oder nicht, ist schwer zu beurteilen. Ungleichgewichte haben viele Ursachen: da spielen Faktoren wie Klima, Ressourcen, politische Stabilität, Rechtssicherheit, Bevölkerungsstruktur, Ausbildung - um nur einige zu nennen - mit eine Rolle.

Freihandel kann dazu beitragen, die eigenen Vorteile zu nutzen. Wie dramatisch und wie schnell ein Land "abstürzt", das sich gegenüber dem Ausland abschottet, haben die Beispiele der UdSSR, Mexiko und Kuba gezeigt.

Machtgefälle bleibt
Selbst Generaldirektor Mike Moore räumt ein, dass es Ungerechtigkeiten innerhalb der WTO gibt. Untergraben Handelsmächte wie die EU und die USA nicht die Glaubwürdigkeit der ganzen Institution, wenn sie sich immer wieder um die Entscheide der Streitschlichtungsorgane foutieren?

Senti: Man darf nicht annehmen, dass man mit internationalen Zusammenschlüssen, sei es in Form von Integrationsverträgen wie der EU oder Kooperationsabkommen wie der WTO oder der Bretton Woods Abkommen (IMF und Weltbank) die Macht der Stärkeren aus der Welt schafft. Macht kann man nicht totschlagen, man muss versuchen, sie zu zähmen. Starke Marktpartner werden immer bestrebt sein, ihr Potenzial zu nutzen, denn die Regierungen wollen wieder gewählt werden.

Über einen Zusammenschluss können kleinere Staaten aber an Macht gewinnen. Es ist jedoch klar, dass die USA und die EU auch in der WTO stärker und bedeutender sind als Costa Rica oder die Schweiz. Meine Hypothese ist aber, dass Macht auf bilateraler Ebene weit gefährlicher ist als im Verbund eines internationalen Zusammenschlusses.


Merkmale der WTO-Welthandelsordnung
auflistungszeichen Abbau der Zölle und Beseitigung aller nichttarifärer Handelshemmnisse (Handelshemmnisse ausserhalb des Zolltarifs): Die Zollbelastungen sind in den letzten fünfzig Jahren von durchschnittlich 40 Prozent der Importwerte auf vier Prozent abgebaut worden.
auflistungszeichen Einhaltung der Meistbegünstigung: Ein WTO-Mitglied hat die Vorteile und Begünstigungen, die es einem anderen Land gewährt, unverzüglich und bedingungslos allen anderen Vertragsparteien für gleiche Produkte und Dienstleistungen auch zu gewähren (Nichtdiskriminierung).
auflistungszeichen Einhaltung des Inländerprinzips: Ausländische Güter, Dienstleistungen und deren Anbieter dürfen nicht ungünstiger behandelt werden als inländische Güter, Dienstleistungen und deren Anbieter (Zölle ausgenommen)



Copyright 2000-2002 by ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zurich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
ok
!!! Dieses Dokument stammt aus dem ETH Web-Archiv und wird nicht mehr gepflegt !!!
!!! This document is stored in the ETH Web archive and is no longer maintained !!!