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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 17.01.2001 06:00

IT-Segnungen: Mehr Frust als Lust
Der Sündenfall

Von Arnd Bätzner

Das Schlimmstmögliche trat ein, als im grauen Nebel eines Dezemberwochenendes in einem Raum im Hauptgebäude unangemeldet 15 Unix-Workstations durch Windows-PCs ersetzt wurden. Selten hat die ETH so schnell so viele Schlagzeilen gemacht. Mit der Informatik, das haben wir vor Weihnachten wieder gesehen, verhält es sich ähnlich wie mit anderen Überzeugungen quasireligiöser Art: Sie rührt bisweilen an des Menschen Innerstes, und schon kleinste Fehler im Umgang mit dem Thema sind geeignet, die Gemüter aufs stärkste zu erhitzen. Sein Windows, Dein Linux, mein MacOS - spätestens die Auseinandersetzung mit der Wahl des Betriebssystems des eigenen Rechners scheint ein prägender Prozess zu sein. Oft hinterlässt er tiefe Spuren, wird der zum User mutierte Eigentümer doch zumindest während einer Frist von einigen Jahren auf die grausamst mögliche Art für die Konsequenzen seiner Wahl zur Verantwortung gezogen: Er muss mit dem Computer arbeiten.

Wer fünf Jahre zurückdenkt und sich an den Gestus der Herren mit den blaugrauen Anzügen und bunten Kravatten in der ersten Klasse des Intercitys zwischen Zürich und Bern erinnert, die mit strenger Miene ihre Excel-Sheets vor- und zurückscrollten und das Prestige ihres 486-Laptops mit Farb-LCD auskosteten - damals das stolze Pendant zum Mercedes Kombi ihrer strassengebundenen Vertreterkollegen - der erkennt auf einen Blick das ganze Wettbewerbspotential, dass sich heute derjenigen unter den Airlines eröffnet, die als erste den Internetzugang ab Sitzplatz anbieten kann. Fasten seat belts: Wehe dem Passagier, der nicht die unerträgliche Selbstzufriedenheit mitansehen kann, die sich aus dem weltmännischen Gestus generiert, mit dem der Mittdreissiger nebenan den Stecker aus dem Kreditkartenlese-Spielkonsolen-Telefon am Vordersitz zieht um ihn hinten am Adapter seines Subnotebooks anzuflanschen. Vielleicht sind die Airlines gut beraten, entweder einen diskret auftretenden Supporter an Bord zu haben oder zum Selbstschutz der Stewardessen die doppelte Menge der kleinen Whisky-Flaeschchen mitzufuehren.

Die üblichen Verdächtigen in der schönen bunten Welt des Datenverkehrs sind längst bestimmt: Dem gerade im akademischen Bereich gern gehassten Giganten in Redmond/Seattle sucht man bisweilen durch Produkte vom Obsthändler aus Cupertino oder dem weltweit beheimateten Pinguin aus dem Weg zu gehen. Doch auch wenn sich die Melodie ändert, bleibt die Kapelle meist die gleiche: Zu tief sind die Gewohnheiten, die bestehende EDV-Konzepte, obwohl als unzureichend erkannt, entstehen liessen und die schulterzuckend und mehr oder minder gediegen fluchend akzeptiert werden: "Industriestandard" heisst das Unwort. Die Folgeschäden, die die lausige Programmierung solcher Standardsoftware in Form von Datenvernichtung und Ausfallzeiten tagtäglich anrichtet, haben längst volkswirtschaftliche Dimensionen erreicht, werden aber in keiner Konzernbilanz explizit erfasst. Wer Wichtiges zu notieren hat, greift gern zum papiernen Block.

Auch die Regelmässigkeit, mit der Fahrgäste kurz vor Erreichen des Zielbahnhofes im Speisewagen an meinen Tisch traten und nach mehrfacher Entschuldigung über die eigene Neugier höflich fragten, was für ein kleines Gerät es denn sei, das da mit der Aufschrift "Newton" und einer separaten Tastatur vor mir läge, zeigt die verzweifelte Suche nach einfachen und handhabbaren Lösungen, die den Menschen in seinen Lebens- und Arbeitsgewohnheiten unterstützen statt ihn permanent zu überfordern.


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VSETH Prds Bdtzner
VSETH-Präsident Arnd Bätzner

Der von Heerscharen von Werbern entworfene Tekkie-Lifestyle fällt schnell in sich zusammen, wenn der 5000-Franken-Laptop die sommerliche Arbeitssession unter den schattigen Bäumen des Lindenhofes schon deshalb nicht mitmacht, weil spätestens nach einer Stunde ein freundliches Dialogfenster um den Netzadapter bittet und sonst ebenso freundlich den Rechner hinunterfährt.

In diesem Moment fragt sich der je nach Stimmungslage zu irgendetwas zwischen einem sanft nachdenklichen Konsumsoziologen und einem militanten, mit Notebooks um sich werfenden Technikhasser mutierte User, was er eigentlich hauptsächlich tut, wenn er unterwegs vor seinem Gerät sitzt: Neben der unvermeidlichen Beschäftigung mit dem Werkzeug selbst - geduldig warten wir auf das Starten der Programme und stellen uns eine Gabel vor, die vor jedem Essen nachgeschmiedet und mit drei verschiedenen Tüchern geputzt werden will - wird es meist zu einem überwiegenden Teil Text- oder Zahleneingabe sein, auf die die Hauptlast entfällt.

Auf die Frage, warum man dazu einen Prozessor braucht, der vor kurzem noch als "Supercomputer" unter die US-Exportrestriktionen für Kriegsmaterial fiel, findet der IT-Bestrafte trotzdem keine Antwort. Der erwähnte Newton, die Isadora Duncan und Mutter aller stiftbedienbaren Kleincomputer, kam mit seinem Auf-Knopfdruck-Anschalten-Arbeiten und den 4 Wochen Batterielebensdauer der Vision vom elektronischen Dienstboten schon recht nahe: Ein ganz anderer Umgang mit dem Rechner wurde möglich, andere Arbeitsweisen, andere Gewohnheiten. Zu früh für seine Zeit, wird er seit fast drei Jahren nicht mehr hergestellt, auch wenn einige Softwarefirmen im Silicon Valley noch heute neue Programme dafür entwickeln.

Ein ganzer Stab des Vizepräsidiums für Planung und Logistik arbeitet an der ETH derzeit fieberhaft daran, innerhalb der vorhandenen Rahmenbedingungen brauchbare Lösungen für die de-facto-Zwangsinformatisierung der Studierenden zu finden: Das Wireless LAN, einfacher Datenzugriff per Funk mit dem eigenen Computer nach gleichem Standard in allen ETH-Gebäuden, wird unabhängig von Steckdosen allen den begehrten Informationszugriff gestatten. Und doch: Wer jetzt in den ersten Januartagen genau hinsieht auf den Bänken in den Hörsälen, erkennt einen Typus Weihnachtsgeschenk, der dieses Jahr sicherlich einen Trend ausmachte. Die alten Füllfederhalter, nachfüllbar ab Tintenfass, sind wieder da.


Zur Person

Arnd Bätzner wurde in Bonn/Deutschland geboren und ist im französischen Jura aufgewachsen. Er hat am Konservatorium in Genf Klavier studiert und bereitet sich zurzeit auf das Diplom in Hochenergiephysik an der ETH vor. Bätzner ist seit Herbst 1998 Präsident des Verbandes der Studierenden der ETH (VSETH).






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