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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 06.03.2002 06:00

Die Verantwortung der Hochschulen bei globalen Problemen
Ein grosser Glückstag für die Schweiz!

Von Richard Ernst

Wir sind noch einmal davongekommen! - Das positive Abstimmungsresultat zum UNO-Beitritt zeigt, wie stark wir noch heute von glücklichen Zufällen abhängig sind. Noch können wir uns nicht blind auf Vernunft und in diesem Fall auf das Verantwortungsgefühl aller Schweizer Stimmbürger und Stimmbürgerinnen verlassen. Noch sind viele anfällig auf demagogische Stimmungsmache von unverantwortlichen oder verblendeten Politikern (vor allem männlichen Geschlechts), die in perverser Weise mit Begriffen wie Neutralität und Freiheit argumentieren. Noch sind viele unfähig, die Schweiz im grösseren internationalen Kontext zu sehen.

Kein Zweifel, wir befinden uns in einer sehr labilen Zeit. Sowohl was die weltpolitische als auch besonders die wirtschaftliche Lage betrifft, bestehen grosse Unsicherheiten. Politiker und Industrieführer kämpfen sich von Tag zu Tag durch die übergrosse Fülle von Problemen und verlieren oft den klaren Blick in die fernere Zukunft. In der letzten Zeit sind, besonders bei Industrieführern, auch unverzeihliche persönliche Schwächen bekannt geworden, die das Vertrauen in ihre Fähigkeiten und ihre langfristige Sicht weiter beeinträchtigt haben.

Keine Frage: Eine dritte unbelastete Instanz ist von Nöten, eine Instanz, die Weitsicht und Weisheit beisteuern kann, die globale Zusammenhänge ergründet und Vorschläge für die Gestaltung der Zukunft erarbeitet. Es bestehen kaum Zweifel, dass dies die eigentliche Aufgabe der Hochschule ist. Lehrende, Forschende und Studierende haben nicht nur die Freiheit sondern die Pflicht, richtungsweisend zu wirken. Dafür werden sie von der Gesellschaft freigestellt und mehr oder weniger grosszügig unterstützt. Die Aufgabe von Professoren und Professorinnen ist nicht nur Ausbildung von Spezialisten und Erforschung faszinierender Detailaspekte, die möglicherweise ihren Ruhm in alle Welt tragen und ihnen mit etwas Glück einen Gratisflug nach Stockholm verheissen. Die Hochschule hat auch eine Funktion als sozio-kulturelles Kreativitätszentrum, das Modelle für eine gerechte globale Gesellschaft ausarbeitet und Behörden, Industrie und die breitere Öffentlichkeit im Hinblick auf Möglichkeiten, Gefahren, und Bedürfnisse der Zukunft berät. Natürlich geht dies nicht in 'splendid isolation', sondern erfordert intensive Wechselwirkung innerhalb und ausserhalb der Hochschule.


Zur Person

Den Nobelpreis, den Richard Ernst 1991 für seine bahnbrechende Forschung im Bereich NMR-Spektroskopie bekam, nutzt er, um sich regelmässig als einer der profiliertesten Kommentatoren der Schweizer Bildungspolitik zu Wort zu melden. "Ich habe mich immer als Werkzeugmacher verstanden," bekennt der emeritierte ETH-Chemieprofessor, der lange in den USA in der Industrie tätig war. Seine Forschung sollte stets in eine sinnvolle Anwendung münden. Die Revolutionen in den exakten Wissenschaften gründeten, so Ernst, vor allem auf der Intuition und Kreativität der Forscher. Kein Wunder, hielten sich bei ihm die Begeisterung für die Chemie und jene für die Kunst seit seiner Jugend die Waage. Eines seiner Erfolgsrezepte: "Wenn ich etwas mache, dann nicht mit halbem Engagement, sondern richtig – alles andere ist Zeitverschwendung."




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prof richard ernst
Richard Ernst, ETH-Professor für Physikalische Chemie und Nobelpreisträger 1991. gross

Das Schlüsselwort heisst hier Niederreissen von Trennmauern, zuerst einmal innerhalb der Hochschule zwischen den einzelnen Disziplinen. Wir benötigen eine Gemeinschaft, in welcher Naturforschende, Geistes- und Sozialwissenschaftler miteinander einen regen Gedankenaustausch pflegen und neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit Fragen der zukünftigen Gesellschaft diskutieren. Wir Forschende sind aufgerufen, gleichzeitig auf zwei Ebenen zu arbeiten: auf einer unteren, der Forschungsebene, wo die tiefsten Tiefen ergründet werden, aber auch auf einer oberen, gesellschaftlichen, wo es um die Formulierung langfristiger globaler Konzepte geht. - Warum nicht gemeinsame interdisziplinäre Lehrveranstaltungen durchführen? Warum nicht regelmässig 'artfremde' Persönlichkeiten für Institutskolloquien einladen oder als gelegentliche Kommentatoren zu Fachvorlesungen und Doktorprüfungen beiziehen?

Im Weiteren braucht es einen intensivierten Kontakt zur Öffentlichkeit, nicht als Propaganda-Aktion, um Studierende zu gewinnen, sondern um sich gegenseitig zum Nachdenken anzuregen: die Öffentlichkeit mit Resultaten verantwortungsbewusster Denkweise an einer zukunftsorientierten Hochschule, und die Forschenden mit den Ansichten und Nöten der Bevölkerung. Vermehrte Weiterbildungskurse für lebenslanges Lernen, Informationsveranstaltungen und universitäre Kontaktpersonen zu allen Mittelschulen und grösseren Gemeinden wären von Nöten. - Versuchen wir, durch unseren Beitrag die globale Entwicklung in verantwortbare Bahnen zu lenken, bevor es zu spät ist. Ich bin überzeugt, dass sich unsere Studierenden dafür mindestens so sehr begeistern lassen, wie für scheinbar irrelevante wissenschaftliche Details.




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