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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 26.06.2002 06:00

"Hütet Euch vor dem Pech!"

Von

Sechs Kolumnen waren mein Pensum! Ganz ohne Echo sind sie zwar nicht geblieben, aber ob es jemand bis zur sechsten schaffen wird, wage ich zu bezweifeln. Nun diese letzte schreibe ich also nur noch, damit sich niemand beim ziellosen Surfen auf eine leere Internet-Seite verirren möge.

Heute ist ein wunderschöner, wolkenloser Tag in Downtown Los Angeles. Ich sitze neben den einzigartigen La Brea Tar Pits . Aus dem geheimnisvollen schwarzen Teer- oder Pech-See steigen wie schon seit Jahrtausenden Blasen auf, Blasen, die vielleicht herrühren von den unzähligen Kreaturen, die hier bei der Nahrungssuche im Pech stecken geblieben sind und sich so selbst 'entsorgt' haben. - Vielleicht bilden die Blasen ihre letzten Botschaften, die sie uns senden möchten: "Hütet Euch vor dem Pech!" - Von grauen Wölfen bis zu Mammuts und Mastodons haben Forscher hier alles gefunden; ein riesiger Friedhof und eine reiche Fundgrube zugleich, wie so oft!

Merkwürdig, wie man sich als 'entsorgter' Professor diesen Kreaturen verwandt fühlen kann! Auch mir wurden sechs letzte Sprechblasen (oder genauer Schreibblasen) zugebilligt, um mich mit einigen Botschaften aus meiner Versenkung zurückmelden zu können. Fünf davon habe ich vertan. Es bleibt mir also noch diese letzte!

Für die Tiere der Urwelt war ihr abruptes Ende Schicksal. Wenn hingegen wir selbst im zivilsatorischen 'Pech' stecken bleiben, so ist es unsere eigene Schuld; vielleicht nicht diejenige des Einzelnen, aber doch diejenige der Gesellschaft. Unsere Wissenschaft sollte zwar alle 'Pitfalls' unseres extensiven Lebenswandels getreulich vorregistriert haben, sodass wir nie mehr 'Pech' haben sollten.

Doch hat die Wissenschaft diese, ihre wichtige Aufgabe wirklich in ihrer ganzen Breite erkannt und genügend ernst genommen? Manchmal kommen mir Zweifel. Natürlich ist das unvoreingenommene Suchen nach Neuem, noch Unerforschtem wichtig, auch wenn die Details einem Aussenstehenden kaum verständlich erklärt werden können. So viele blendende Beispiele von wichtigsten Entdeckungen der Vergangenheit belegen dies.


Zur Person

Den Nobelpreis, den Richard Ernst 1991 für seine bahnbrechende Forschung im Bereich NMR-Spektroskopie bekam, nutzt er, um sich regelmässig als einer der profiliertesten Kommentatoren der Schweizer Bildungspolitik zu Wort zu melden. "Ich habe mich immer als Werkzeugmacher verstanden," bekennt der emeritierte ETH-Chemieprofessor, der lange in den USA in der Industrie tätig war. Seine Forschung sollte stets in eine sinnvolle Anwendung münden. Die Revolutionen in den exakten Wissenschaften gründeten, so Ernst, vor allem auf der Intuition und Kreativität der Forscher. Kein Wunder, hielten sich bei ihm die Begeisterung für die Chemie und jene für die Kunst seit seiner Jugend die Waage. Eines seiner Erfolgsrezepte: "Wenn ich etwas mache, dann nicht mit halbem Engagement, sondern richtig – alles andere ist Zeitverschwendung."




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prof richard ernst
Richard Ernst, ETH-Professor für Physikalische Chemie und Nobelpreisträger 1991. gross

Aber daneben gibt es die vielen sichtbaren und die noch unsichtbaren Tar Pits unserer Zivilisation. Viele davon haben ihren Ursprung in der technologisch-wissenschaftlichen Entwicklung selbst. Dass die Hochschulen sich vermehrt diesen lauernden Fallgruben widmen mögen, ist der Wunsch, den ich dieser meiner letzten Schreibblase anvertrauen möchte.

Alle drei unserer universitären Grundaufgaben beinhalten eigentlich dieses Ziel: In der Hochschulbildung, geht es um die Förderung des Verantwortungsbewusstseins der heranwachsenden Generation von Akademikern und Staatsbürgern, sodass sie in die Lage versetzt werden, Probleme zu erkennen und Lösungen initiativ zu verwirklichen. Ebenso ist in der Forschung ein Sensorium für langfristige Relevanz zentral, und die Problematik der globalen menschlichen Existenz soll ein ständiges Kriterium für die Themenwahl bilden. Auch in der minutiösen Detailarbeit dürfen die grossen Bögen der generellen Zielsetzung nicht vergessen werden.

Vielleicht am wichtigsten in diesem Zusammenhang ist die dritte Funktion der Hochschulen als kreatives kulturelles Zentrum, das die gesellschaftliche Entwicklung verantwortungsbewusst zu beeinflussen versucht, so wie es Frank H.T.Rhodes, der frühere Präsident von Cornell, in 'The Creation of the Future' (2001) eindrücklich sagt: "In an era of broken families, dwindling religious congregations, and decaying communities, our nation desperately needs a new model of community - knowledgeable but compassionate, critical but concerned, skeptical but affirming - that will serve the clamoring needs of our fragmented society and respond to the nobler, unuttered aspirations of our deeper selves. This emerging community will be the new university."

Auch nach dem Versiegen meiner sechsten Schreibblase scheint bei La Brea Tar Pits noch immer die kalifornische Sonne. - Und daneben steht das phantastische Los Angeles County Museum of Art, das auch einen hochspezialisierten Forscher begeistern und in eine andere, vielleicht noch beglückendere und weniger abstrakte Welt entführen kann. Besuchen Sie es doch bei Gelegenheit, - aber hüten Sie sich vor dem Pech!




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