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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 04.06.2003 06:00

Albert Einstein als Popikone

Von Barbara Orland

„Erkenntnis für freie Menschen“, das war das Programm, dem Paul Feyerabend seine Philosophie verpflichtete. In einer Gesellschaft freier Menschen werde sich Erkenntnis nur im Wechselspiel verschiedener Traditionen durchsetzen und Bestand gewinnen können. Die Welt solle nicht durch die abstrakte Erkenntnis einer vermeintlich „objektiven“ Wissenschaft definiert, sondern vom Standpunkt verschiedener Kulturen aus gesehen werden. Dass sich die bunte Kultur der modernen Massengesellschaft die Naturwissenschaften längst einverleibt hatte und mit grösstem Eifer Wissenschaft als Mythos inszenierte, scheint Feyerabend in seiner Sorge vor der Übermacht der Rationalität entgangen zu sein. Als aufrechter Bildungsbürger hatte er augenscheinlich nur die spröde Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse in Schule und Ausbildung oder das Urteil der Fachleute in Politik und Gesellschaft vor Augen. Dabei war auf dem Markt der Popkultur die vom libertären Philosophen beschworene Freiheit des Individuums längst zur radikalen Wirklichkeit geworden.

Spätestens seit Albert Einsteins herausgestreckte Zunge übergrosse Werbeflächen ziert, dürfte klar sein, dass die Freiheit des Konsums vor der ehrwürdigen Wissenschaft keineswegs Halt macht. Warum auch immer, aber der grosse alte Mann der Physik scheint mit Abstand zu den beliebtesten Sujets der Wissenschaft zu gehören, denen ein fester Platz in der Massenkultur zugewiesen wurde. Reizend anzuschauen ist er zum Beispiel als zigtausendfach verkauftes Postkartenmotiv: „Einstein meets Monroe“. Mit Baskenmütze und Geigenkasten ausstaffiert, schaut er wohlwollend auf die lässig auf einer Parkbank sitzende und bewundernd zu ihm aufblickende Marilyn Monroe. „Wisdom and Beauty“ hat ein Künstler, der 1999 noch einmal das Motiv aufgegriffen und in Öl auf Leinwand bannte, das Bild genannt.

„Einstein meets Monroe“

Was macht einen Wissenschaftler zur Popikone und seine Formel E=mc2 zum eye-catcher vieler Plakate und Collagen, ohne dass man etwas davon verstehen müsste? Wir leben in einer Massenkonsumgesellschaft, und da wird selbst wissenschaftliche Erkenntnis zum Konsumobjekt. Moderner Konsum befriedigt bekanntermassen ein ganzes Bündel von persönlichkeits- und statusbildenden Bedürfnissen. Zu tragenden Einrichtungen der Unterhaltung und Lebensstilbildung geworden, sind Waren nicht nur Vehikel prosaischer Bedürfnisse. Sie sind Objekte für vielfältigste Träume und Wünsche. Albert Einstein ist zur Ikone akademischer Weisheit geworden, und die Popularisierung von Naturwissenschaft und Technik zum festen Bestandteil der Unterhaltungskultur.

Vermarktung von wissenschaftlichen Darstellungen erfordert Personalisierung, und der Hauptdarsteller muss mehr bieten als eine brilliante wissenschaftliche Leistung, weswegen es nicht jedem Wissenschaftler vergönnt ist, zum Objekt kollektiver Erinnerung zu werden. Die augenscheinlich wachsende Begeisterung, Todestage von berühmten Naturwissenschaftlern zum Anlass für weltweite Feierlichkeiten zu nehmen, zeigt deutlich, dass die Inszenierung ihrer Persönlichkeiten und Ideen weit mehr ist als nur akademische Erinnerungsarbeit. Im Lichte populärer Veranstaltungen und Publikationen werden Wissenschaftler zu Idolen des wissenschaftlich-technischen Zeitalters, die auch das Zeug zum Nationalhelden haben: Louis Pasteur für die Franzosen, Michael Faraday für die Briten, Alexander von Humboldt für die Deutschen. Jüdische Intellektuelle wie Albert Einstein, Lise Meitner oder Wolfgang Pauli liessen sich in dieser Hinsicht eindeutig schwerer vermarkten.


Zur Person

Sie betreibe die Geschichte der Technik als "historische Konfliktforschung", sagt Barbara Orland, seit 1999 Oberassistentin am ETH-Institut für Geschichte. Zuvor lehrte und forschte sie vor allem an der TU Berlin und der Ruhr-Universität Bochum sowie am Deutschen Museum München. Zur Technikgeschichte kam sie über ihre Doktorarbeit zur Sozial- und Technikgeschichte der Wäscherei seit dem 18. Jahrhundert. So weit gefasst ihre Interessen sind: sie kreisen alle um das Thema "Technisierung des Privaten durch Medizin- und Biowissenschaften". - Was macht die Technik denn so konfliktträchtig? Neue Technologien bringen oft das Werte- und Wahrnehmungsgefüge ins Wanken, sagt Barbara Orland - man nehme bloss die heutige Stammzell- und Klondiskussion mit ihren unabsehbaren Weiterungen.




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Barbara Orland, Oberassistentin am ETH-Institut für Geschichte.

Dass ein persönlicher Makel jedoch kein Hinderungsgrund für die öffentliche Legendenbildung sein muss, das zeigt der Fall Stephen Hawking. An ihm wird immer wieder von neuem das uralte Thema "Genie und Krankheit" medienwirksam umgesetzt. In zahllosen Fotoserien und Fernsehfilmen wurde die schwere Behinderung des Astrophysikers zum Markenzeichen seiner Genialität modelliert. Aufgrund seiner intellektuellen Kapazitäten wird der Übermensch seiner Körperlichkeit entkleidet.

"Hawking meets Monroe"

Dabei sollte man sich nicht der Illusion hingeben, Wissenschaftler seien hilflose Opfer des Medienzeitalters. Manche haben es ganz im Gegenteil gelernt, äusserst effizient auf der Klaviatur der öffentlichen Meinungsbildung zu spielen, oder wurden von ihren Standesvertretungen aufgefordert, den akademischen Elfenbeinturm zu verlassen. Organisationen, wie die American Association for the Advancement of Science & Technology haben schon zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert finanzielle Beiträge dazu geleistet, die Arbeiten bekannter Wissenschaftler einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Gerade Albert Einstein war sich seiner Publizität durchaus bewusst. Nicht nur hat er selbst ein wenig zur Legendenbildung beigetragen, indem er sein Gehirn der Forschung vermachte. Die Geschichte der von ihm gemeinsam mit Leopold Infeld veröffentlichten und 1938 erschienenen Populärschrift "Die Evolution der Physik" gibt einige Auskunft über die Vielfalt der Motive, den eigenen Namen gewinnträchtig zu vermarkten. Die Idee zu diesem Buch entstand, nachdem es Einstein 1936/37 nicht gelungen war, dem Institute for Advanced Studies in Princeton das Gehalt für Leopold Infeld abzuringen, den er als seinen zweiten Assistenten einstellen wollte. Überrascht ob dieses Misserfolges wollte Einstein das Stipendium von 600 Dollar zunächst aus eigener Tasche zahlen. Doch Infeld, für eine solche Lösung zu stolz, schlug ihm einen anderen Weg vor, zu Geld zu kommen. Er bat ihn, als Mitverfasser für ein populäres Buch über die Physik aufzutreten. Infeld schrieb das Buch alleine. Als es ein Jahr später erschien, verdienten seine beiden Autoren schnell viel mehr als 600 Dollar daran.

Zahlreiche Mittler mit je eigenen Regeln und Produktionszwängen sind zeitgleich zum Aufschwung der modernen Naturwissenschaften zwischen die Wissensproduktion und ihre Endverbraucher getreten. Und diese wirken insofern auf die Wissenschaften zurück, als sie sich nicht alleine von der Angebotsstruktur der Produktion, sondern auch von der Nachfragestruktur des Konsums leiten lassen. Das populäre Produkt "Naturwissenschaft" muss sich seither, losgelöst von seinen Ideenproduzenten, selber explizieren.




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