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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 30.05.2007 06:00

Inspiriert?

Friederike Osthof

Am letzten Sonntag hat die Christenheit Pfingsten gefeiert, das Fest der Ausgiessung des Heiligen Geistes. Verheissen ist die Teilhabe am göttlichen Geist, der lebendig, wahr und frei macht. Bei diesem verlockenden Angebot von Inspiration und Geistesgegenwart müssten doch eigentlich alle Schlange stehen. Doch weit gefehlt. Selbst in der Kirche führt Pfingsten unter den hohen Festen eher ein Schattendasein. Eine Antwort auf die Frage, warum das so ist, wird schon in der biblischen Pfingstgeschichte angedeutet. Nachdem der heilige Geist unter Brausen und mit Feuerzungen die Jünger erfüllt und die ganze in Jerusalem versammelte Welt daran Anteil nimmt und alle das Reden der Jünger in der je eigenen Sprache verstehen, endet die Geschichte mit einer nüchternen Randbemerkung. „Andre aber spotteten und sagten: sie sind voll süssen Weines.“ Es könnte die Angst sein, offen und empfänglich zu sein und dann verspottet zu werden. Oder der Selbstzweifel, der einen beschleicht: Bin ich denn eigentlich betrunken?

Auch sonst ist eher Unwilligkeit in Sachen Inspiration und Geistesgegenwart zu konstatieren. Die meisten Leute sind auf Sendung und nicht auf Empfang eingestellt. Geübt werden Verstärkungsgesten zur Konfirmation des Eigenen. Wo wir gehen und stehen, sind wir dazu angehalten, andere von uns, unseren Fähigkeiten und unserer Motivation zu überzeugen. Ein vierzehnjähriger Sekundarschüler hat mir neulich versichert, dass es bei der Lehrstellensuche darum gehe, dem Lehrmeister klar zu machen, dass er etwas verpasse, wenn er ihn nicht als Lehrling nehme. Davon, dass er von seinem Lehrmeister vielleicht unbedingt etwas lernen will, war nicht die Rede. Dieser Schüler hat schon sehr gut aufgepasst: Wir selbst sind die Botschaft. Diese Haltung verwundert nicht weiter, müssen wir uns doch selbst anpreisen, weil heute in der Regel niemand auf uns wartet. Modernitätszeichen wie Mobilität, Flexibilität und Produktivität machen deutlich, dass es eigentlich nur um den ungehinderten Warenfluss geht, bei dem Menschen meist hinderlich im Wege stehen mit ihren Wünschen, etwas zu lernen und zu werden.

Auch im wissenschaftlichen Betrieb sind diese Verstärkungsgesten zu beobachten. Die eigene Position wird stark gemacht, indem man an das anknüpft, was andere schon zum Thema gesagt haben. Ob einen das interessiert oder ob man es richtig findet, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass man sich auf den Boden des schon Gedachten stellt und an dem Teppich wissenschaftlichen Denkens weiterknüpft. Dieses Vorgehen ist hinsichtlich der Verständlichkeit und Kommunizierbarkeit des Eigenen durchaus plausibel. Man befindet sich auf gesichertem Gelände. Allerdings hat dieses Vorgehen zur Folge, dass Themen- und Problemstellungen wie auch Denkweisen weitgehend vorgespurt sind. Der Spielraum für die eigene Position ist klein. Abweichungen, die Eigenes zum Ausdruck bringen, sind dementsprechend gering oder befinden sich an einem Ort so grosser Differenziertheit, dass sie kaum noch erkannt werden. Kann so Unerwartetes, Neues und Spannendes entdeckt und geschrieben werden? Hat in diesem wissenschaftlichen Gefüge Inspiration überhaupt noch eine Chance?


Zur Autorin

Glauben strebt nach Wissen, ist Friederike Osthof überzeugt. Diese suchende Haltung bildet für die Hochschulpfarrerin auch einen Berührungspunkt der Religion zu den Wissenschaften, insbesondere den technischen und naturwissenschaftlichen. Das Ziel sei einfach ein anderes: Bei ihr als Theologin gehe es um persönliche, existentielle Erhellung, dort um objektiv nachvollziehbare Aussagen. Grundsätzlich sehe sie sich als Zeitgenossin, die in der christlichen Tradition steht und von da aus denkt.

Friederike Osthof geht es darum bei ihrer Tätigkeit nicht um Missionierung, sondern sie will im Kontakt mit Studierenden aufzeigen, wie grundsätzliche Probleme bereits in der Bibel aufgegriffen und bearbeitet wurden. Und der Austausch ist rege: So gibt es neben den persönlichen Beratungen jeden Freitag ein gemeinsames Mittagessen mit Studierenden. Zudem führt sie zusammen mit ihrem Lebenspartner ein studentisches Wohnheim, in dem sie mit ihrem Sohn auch wohnt. Friederike Osthof ist aber nicht nur Ansprechperson für Studierende, sondern für alle Hochschulangehörigen.




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Setzt sich im Moment nicht nur als Seelsorgerin mit den Hochschulen auseinander, sondern auch als Kolumnistin: Friederike Osthof. gross

Demgegenüber beschreibt der Philosoph Gilles Deleuze (im Vorwort zu „Differenz und Wiederholung“) sein Buch als Science fiction: „Science fiction auch in einem anderen Sinn, in dem die Schwächen hervortreten. Wie lässt sich anders schreiben als darüber, worüber man nicht oder nur ungenügend Bescheid weiss? Gerade darüber glaubt man unbedingt etwas zu sagen zu haben. Man schreibt nur auf dem vordersten Posten seines eigenen Wissens, auf jener äussersten Spitze, die unser Wissen von unserem Nichtwissen trennt und das eine ins andere übergehen lässt. Nur auf diese Weise wird man zum Schreiben getrieben. Behebt man die Unwissenheit, so verschiebt man das Schreiben auf morgen oder macht es vielmehr unmöglich.“ Aus diesen Sätzen können einige Voraussetzungen von Inspiration gehoben werden, die mehr mit Entmächtigung als mit dem stark Machen eigener Positionen zu tun haben. Kommuniziert wird nicht darüber, dass man im Vollbesitz der eigenen Kräfte aus dem Vollen des eigenen Wissens schöpft, sondern kommuniziert wird über den Unruheherd, der einen umtreibt und - weil inspiriert - ansteckend wirkt. Deleuze meint selbst: „Wir haben also über science auf eine Weise gesprochen, von der wir – leider – doch ahnen, dass sie nicht wissenschaftlich war.“ In diesem doppelten Gebrauch von Wissenschaft liegt die Frage, ob der strikte Wissenschaftsbegriff das Schreiben nicht unmöglich macht. Vielleicht will er auch etwas vermeiden, weil es zu unbequem und ungesichert ist.

Inspiriertsein ist ein Zustand mit Nebenwirkungen. Bob Dylan, einer der inspirierteren Personen mit einer ungeheuren Wirkung auf Menschen, beschreibt in den Chronicles seinen Werdegang zum Musiker und Songwriter. Aus seinen Anfangszeiten berichtet er von einer Szene, die man als Initiation lesen kann. Es war die Begegnung mit dem Folksänger Mike Seeger. „Ich wusste, dass ich alles richtig machte, dass ich auf dem richtigen Weg war und mir das Wissen direkt und aus erster Hand aneignete – ich lernte Texte, Melodien und Akkordfolgen, aber jetzt erkannte ich, dass die praktische Umsetzung dieses Wissens den Rest meines Lebens in Anspruch nehmen konnte, während Mike das nicht nötig hatte. Er war einfach da. … Wenn man so gut sein wollte, musste man im Grunde er sein und kein anderer. … Mir kam der Gedanke, dass ich vielleicht meine eigenen Folksongs schreiben musste, …“ Zum Glück gab es Mike Seeger, sonst gäbe es heute vielleicht keine Dylan Songs. Für ihn selbst wird es zuerst einmal die Vertreibung aus dem Paradies gewesen sein oder der Gang in die Wüste. Auch Dylans Rückblick auf seine inspiriertesten Zeiten hört sich ziemlich nüchtern an: „Ganz egal, was man sagt, es ist nur Gestammel. Man hat nie die Zeit, in Ruhe über alles nachzudenken. Zusammenflicken, drüberbügeln, rein damit, und ab geht die Post – so läuft das normalerweise.“ Die Innenansicht inspirierter Personen zeugt auch von Unannehmlichkeiten und Ernüchterung. Wer will schon den Gang im ungesicherten Gelände und das Bewusstsein von Gestammel.

Gar nicht einfach über Inspiration zu schreiben. Aber was soll’s - zusammenflicken, drüberbügeln, rein damit, und ab geht die Post.




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