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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen


Was es zu glauben und zu wissen gibt

Published: 27.06.2007 06:00
Modified: 26.06.2007 16:29
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Friederike Osthof

Du bist Pfarrerin? Du siehst gar nicht so aus. Auf dem Gesicht meines Gegenübers spiegelt sich ungläubiges Erstaunen, Irritation, Ablehnung, Befangenheit oder Zutrauen – je nachdem und manchmal alles zugleich.

Die ganz Entschiedenen holen zu einem umfassenden Bekenntnis aus: dass sie das alles für baren Unsinn halten, dass sich das Christentum durch all die Gräueltaten in seiner Geschichte selbst diffamiert hätte und dass sie den Glauben als Krücke nicht nötig hätten, sie würden sich gut ohne ihn im Leben zurecht finden. Da ich keinen Grund habe, daran zu zweifeln und da diese Menschen von mir gar nichts wissen wollen, sind solche Begegnungen rasch beendet.

Es gibt aber auch das Andere, dass Menschen, nur weil sie wissen, dass ich Pfarrerin bin, ein grosses Zutrauen zu mir fassen und mir von ihren Sorgen und Nöten erzählen und von ihren Gedanken, die sie sich über das Leben machen. Das freut mich. Und ich versuche, mich dieses Vertrauens würdig zu erweisen, indem ich ihnen gut zuhöre und ihnen mit der gleichen Offenheit begegne wie sie mir.

Die grösste Herausforderung für mich sind die Menschen, die mit Zweifeln und Fragen, aber auch mit Neugier an mich herantreten. Dieser Herausforderung stelle ich mich gerne, denn diese Menschen wollen von mir etwas wissen. Für mich besteht die Herausforderung darin, das jeweilige Anliegen in der Frage zu verstehen und zu beantworten.

Die Fragen haben oft mit dem Verhältnis von Glauben und Wissen zu tun, respektive setzen sie ein bestimmtes Verhältnis von Glauben und Wissen voraus.

Glaube ist dann zum Beispiel das, was man noch nicht weiss, aber vielleicht oder bestimmt irgendwann einmal wissen wird. Warum dann also glauben und nicht stattdessen das Wissen befördern? Denn diese Art zu glauben führt zu einer Lebenshaltung, in der man sich viel zu früh zufrieden gibt und bescheidet, statt das Wissensmögliche mit aller Kraft voranzutreiben.

Es stimmt schon, dass der Glaube von Zufriedenheit und Bescheidenheit redet, um einerseits ein grundsätzliches Hadern mit sich, Gott und der Welt und andererseits ein megalomanes Überschätzen dessen, was den Wissenden möglich ist, abzuwehren. Aber in dem Glauben, wie ich ihn verstehe, stehen diese Zufriedenheit und Bescheidenheit immer in Spannung mit einem dezidierten nicht Zufriedensein mit schlechten und ungerechten Zuständen und mit einem völlig unbescheidenen sich Hinauslehnen über all das, was als möglich und unmöglich erscheint. Wer glaubt, setzt sich dieser Spannung aus. Der Glaube beschränkt also nicht das Streben nach Wissen, sondern er thematisiert das Verhältnis, in das sich der Wissende zu seinem Wissen setzt. Der Wissende soll weder von seinem Wissen abhängig werden, noch soll er sich mittels seines Wissen von anderem und anderen abschneiden und darum verantwortungslos handeln. In die Freiheit von Wissen und zu wissen führt der Glaube.


Zur Autorin

Glauben strebt nach Wissen, ist Friederike Osthof überzeugt. Diese suchende Haltung bildet für die Hochschulpfarrerin auch einen Berührungspunkt der Religion zu den Wissenschaften, insbesondere den technischen und naturwissenschaftlichen. Das Ziel sei einfach ein anderes: Bei ihr als Theologin gehe es um persönliche, existentielle Erhellung, dort um objektiv nachvollziehbare Aussagen. Grundsätzlich sehe sie sich als Zeitgenossin, die in der christlichen Tradition steht und von da aus denkt.

Friederike Osthof geht es darum bei ihrer Tätigkeit nicht um Missionierung, sondern sie will im Kontakt mit Studierenden aufzeigen, wie grundsätzliche Probleme bereits in der Bibel aufgegriffen und bearbeitet wurden. Und der Austausch ist rege: So gibt es neben den persönlichen Beratungen jeden Freitag ein gemeinsames Mittagessen mit Studierenden. Zudem führt sie zusammen mit ihrem Lebenspartner ein studentisches Wohnheim, in dem sie mit ihrem Sohn auch wohnt. Friederike Osthof ist aber nicht nur Ansprechperson für Studierende, sondern für alle Hochschulangehörigen.


Setzt sich im Moment nicht nur als Seelsorgerin mit den Hochschulen auseinander, sondern auch als Kolumnistin: Friederike Osthof.

Nach einer anderen Verhältnisbestimmung widersprechen sich Glaube und Wissen. Danach hat der Glaube das Unglaubliche und Unwahrscheinliche zum Inhalt: Die Jungfrauengeburt zum Beispiel, oder alle die Wundergeschichten der Bibel. Aber auch die katholische Abendmahlslehre, nach der sich Brot und Wein unter den Worten des Priesters in Fleisch und Blut Christi verwandeln, gehört in diese Kategorie. Leute, die heute noch an so etwas glauben, müssen ziemlich blöd und absolut weltfremd sein, wird, wenn nicht offen gesagt, dann doch geglaubt. Mein Problem mit diesen Fragen ist zuerst einmal das Unwissen, das sich darin ausdrückt. Und ich bin davon überzeugt, dass die christlichen Kirchen nicht damit zu kämpfen haben, dass die heutigen Menschen nichts mehr glauben, sondern damit, dass viele heutige Menschen nicht mehr wissen, wie sie die christlichen Quellen zu lesen und zu verstehen haben. Wer weiss, dass sich zum Beispiel die Vorstellung der Jungfrauengeburt mythologischem Denken verdankt, der weiss auch, dass die Glaubensleistung nicht darin besteht, deren Faktizität für wahr zu halten, sondern dass es darum geht, der Einzigartigkeit Jesu nachzudenken, die damit zum Ausdruck gebracht wird. Oder wer weiss, dass die katholische Abendmahlslehre der Versuch ist, die Heilsvermittlung des Abendmahls mithilfe des damals gültigen philosophischen Instrumentariums zum Ausdruck zu bringen, der muss sich nicht mit dem Kannibalismus der Christen zufrieden geben, sondern kann sich überlegen, wie heute die heilsvermittelnde Kraft des Abendmahls gedacht und gefeiert werden kann.

Wissen ist wichtig für den christlichen Glauben, aber Wissen und Glauben sind nicht dasselbe. Der christliche Glaube bezieht sich auf das Geheimnis Gottes, das nicht in den Aggregatszustand des Wissens übersetzt werden kann. Und damit bin ich beim Hauptproblem vieler heutiger Menschen angelangt. Das Problem der Existenz Gottes ist allerdings nicht neu. Es ist schon in der Bibel vielfältig dokumentiert. Glaube und Nichtglaube sind miteinander verbunden. Auch Glaubende sind mit ihrem Nichtglauben konfrontiert und müssen sich damit auseinandersetzen. Der Glaube ist kein Ruhekissen, auf dem man sich gelassen niederlässt, schon eher ein Unruhekissen, das einen in Bewegung setzt. Ein solcher Unruheherd ist für Christen heute das Gebot, nur das Immanente, das Vorfindliche zu denken; was bedeutet, dass das Transzendente nicht gedacht werden darf. Wenn es um den Nachvollzug des christlichen Glaubens geht, dürfen sich heutige Christen eben nicht zur Ruhe setzen, weil sie – im Sinne intellektueller Redlichkeit – ihre Inhalte verständlich zum Ausdruck bringen müssen. Aber mit dem Glauben als existentiellem Lebensvollzug wäre ein Denkverbot und Denkgebot heillos überfordert. Darum bleiben intellektuelle Redlichkeit und existentieller Glaubensvollzug sich gegenseitig Stachel im Fleisch; zum Gewinn beider, wie ich überzeugt bin.

Steht dieser zwielichtige Glaube seiner Zeitgenossenschaft im Wege? Das ist die Gretchenfrage. Zeitgenossenschaft wird nicht schon dadurch erreicht, dass man sich an die geltenden Gesetze und Denkgewohnheiten hält und sich der verfügbaren und akzeptierten Mittel bedient. Zeitgenossenschaft ereignet sich, wenn man so nah an der Zeit dran ist, dass man sie versteht und so weit von ihr entfernt ist, dass man sie verständlich machen kann. Wenn Menschen sich und ihr Leben begreifen, ohne auf das Begriffene reduziert zu werden. Wenn Denk- und Handlungsspielräume offen bleiben, ohne beliebig zu werden. Diese Art von Zeitgenossenschaft müssen die Christen anstreben; und ich denke, dass der christliche Glaube dafür noch viele ungenützte Möglichkeiten bereithält. Mit diesem Bestreben sind die Christen nicht alleine, denn dieser Herausforderung müssen sich auch alle anderen stellen, die etwas zu sagen haben wollen. Für die Christen wie für alle anderen gilt: an ihren Früchten werdet ihr sie erkennen.


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