www.ethlife.ethz.ch |
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen Jeder ist sich selbst der nächste |
Published: 19.07.2006 06:00 Modified: 17.07.2006 11:22 |
||||||||
Beat Louis Die Erdwissenschafterinnen und Erdwissenschafter an der ETH sind im Exil. Unser Stammgrund, das NO-Gebäude im Zentrum, wird renoviert und umgebaut. Das bedeutet: alle und alles musste raus. Für geplante drei Jahre bezogen wir neue Quartiere irgendwo im weiten Feld der ETH, wo es gerade noch Platz gab. Die Institute, sogar einige der Forschungsgruppen wurden dabei auseinander gerissen. Meine Professur etwa verteilt sich über drei Stockwerke in verschiedenen Gebäudeteilen des CHN. Räumlich existiert das D-ERDW also nicht mehr. Da ist die Gefahr natürlich gross, dass der Kontakt zwischen den einzelnen Forschungsgruppen verloren geht. Eine Handvoll Engagierte hat sich darum vorgenommen, dem drohenden Zerfall des Departementes entgegen zu treten. Dazu organisierten sie ein wöchentliches Seminar, mit Vorträgen von Wissenschaftern des Departements. Doch schon während dem ersten Semester machte sich Ernüchterung breit. Das Seminar wurde, gemessen an der Zahl der Mitarbeitenden, sehr schlecht besucht. Offensichtlich klaffen da Vorstellungen und Bedürfnisse der einzelnen Mitarbeitenden auseinander. Im Sinne eines Advocatus Diaboli stelle ich die Frage: warum sollen wir den eigenen Garten überhaupt verlassen? Warum sollen wir uns mit Departements-Angehörigen ausserhalb der eigenen Forschungsgruppe austauschen? Oder anders herum: warum bemühen sich einige sehr um Austausch während des Exils des D-ERDW? Geht es ihnen darum zu verhindern, dass in drei Jahren lauter Fremde unter ein gemeinsames Dach ziehen müssen? Interessiert es sie, was andere in diesem Departement erforschen? Ist ihnen viel an einem angenehmen Arbeitsklima gelegen, wo Mitarbeitende noch Kolleginnen und Kollegen sind? Gründe, nicht am Seminar teil zu nehmen, sind schnell zur Hand – bei mir etwa war es der Abschluss der Dissertation. Oder man hat gerade ein Experiment am Laufen, muss eine Publikation fertig stellen, fliegt an eine Konferenz. Das ist alles legitim, ich vermute aber, dass der eigentliche Grund tiefer liegt. Es gibt keine Anreize mehr, sich mit einem Institut oder Departement zu identifizieren: Jeder ist sich selbst der nächste, wenn es darum geht, in einem extremen Markt zu Forschungsgeldern zu kommen.
Jeder ist sich selbst der nächste, wenn er oder sie für drei Jahre an einer Uni ist, um schnell eine Dissertation zu machen. Jeder ist sich selbst der nächste, wenn sich die finanzstärksten Universitäten gegenseitig die Professoren abspenstig machen. Wer will sich da noch auf eine „Grossfamilie“ einlassen? Mit dem Finger auf das Departement Erdwissenschaften zu zeigen, ist also unangebracht. Hier kommt wegen der Verbannung ins Exil nur zu Tage, was sich andernorts wohl auch einschleicht.
References:
|