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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen Kaderschmiede für Diplomaten |
Published: 12.11.2003 06:00 Modified: 12.11.2003 10:53 |
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Von Jürg Martin Gabriel Die ETH gilt als Kaderschmiede für Naturwissenschafter, Ingenieure und Architekten, die HSG als solche für Wirtschafts- und Rechtswissenschaftler. Die Erfahrung zeigt, dass eine akademische Grundlage für die Kader dieser Berufe unabdingbar ist. Trifft das auch für Diplomaten zu? Ist nicht gerade die Diplomatie ein Metier, das mehr mit Persönlichkeit als mit Wissenschaft zu tun hat und das man, wenn überhaupt, in der Praxis erlernen muss? Ist eine akademische Ausbildung für Diplomaten notwendig und möglich? Zur Notwendigkeit. Ein ganz auf Diplomaten zugeschnittenes Studium ist in der Tat oft überflüssig, denn im Gegensatz zu früher, wo man Recht, Geschichte oder Philosophie weitgehend getrennt studierte, bieten heutige Hochschulen Lehrgänge an, in denen Recht, Ökonomie, Politikwissenschaft und Geschichte – die vier akademischen Pfeiler der Diplomatie – in Kombination vermittelt werden. Für das Bestehen einer Aufnahmeprüfung für den diplomatischen Dienst ist dies in den meisten Fällen eine genügende Vorbereitung. Das gilt insbesondere für die Schweiz. Früher wurden unsere Jungdiplomaten für ein sechsmonatiges "stage" an das Institut universitaire de hautes études internationales (HEI) in Genf geschickt, um Völkerrecht, Aussenwirtschaft, Internationale Politik und Geschichte der Diplomatie vertieft zu studieren. Dieser Kurs – weil überflüssig – wurde vor Jahren abgeschafft. Gewisse Diplomaten jedoch haben ein Studium in Architektur, Philologie oder Medizin, und sie können eine Zusatzausbildung brauchen.
Zudem gibt es Länder mit weniger guten Universitäten, und es gibt junge Leute ohne Auslanderfahrung und ungenügenden Sprachkenntnissen. Die von der Schweiz in Malta gegründete Mediterranean Academy of Diplomatic Studies füllt solche Lücken. Letztes Jahr besuchte eine Jungdiplomatin aus Georgien unsere Akademie. Ihre Englischkenntnisse waren begrenzt, das Niveau der Mittelschulausbildung tief, und das Bachelorstudium absolvierte sie an einer Universität in der Ukraine, wo sie so gut wie nichts dazu gelernt hat. Das einjährige Vollstudium in englischer Sprache war für sie ein bedeutender Schritt in ihrer noch jungen Karriere. Ähnlich ergeht es Ingenieuren aus Libyen, Ökonomen aus Palästina, Slavistinnen aus Bosnien oder Juristen aus Litauen. Der Zerfall der Sowjetunion, die Kriege auf dem Balkan und die anhaltenden Wirren im Nahen Osten haben verheerende Auswirkungen auf das Bildungssystem und die Qualität des Lehrangebots gehabt. Der Nachholbedarf für Absolventen solcher Universitäten ist offensichtlich. In solchen Fällen besteht auch die Möglichkeit einer akademischen Ausbildung. Die Lehre an der Mediterranean Academy in Malta konzentriert sich auf die oben erwähnten Fächer. Der Unterricht ist intensiv und verlangt eine aktive Teilnahme. Wie an angelsächsischen Universitäten üblich, wird der Lektüre wissenschaftlicher Texte und der Abfassung kurzer "papers" grosse Bedeutung beigemessen. Wo nötig, werden fehlende Englischkenntnisse in besonderen Sprachkursen aufgebessert. Die Diplomatie im engeren Sinn wird mehr als "skill" denn als akademisches Fach betrachtet und deshalb von verschiedenen Personen aus der Praxis doziert. Nebst Simulationsübungen umfassen die Veranstaltungen Vorträge in Psychologie, Mediation sowie bi- und multilateralen Verhandlungsstrategien. Besuche bei verschiedenen Botschaften sowie eine Exkursion nach Genf, dem europäischen "Mekka" der multilateralen Diplomatie, runden das Angebot ab. |