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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen


Gartenschläuche als Nudeln: Fragen in der erweiterten Kampfzone

Published: 13.06.2007 06:00
Modified: 13.06.2007 09:50
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Michael Hampe

Gartenschläuche sind hohl wie Maccaroni, Maccorini länglich wie Gartenschläuche. Durch beide fliesst manchmal Wasser. Reichen diese Ähnlichkeiten, um Maccaroni als Schläuche oder Gartenschläuche als Nudeln zu bezeichnen? Nein, denn durch Gartenschläuche fliesst nur Wasser, kaum Tomatensosse, durch Maccorini aber erst Wasser (beim Kochen), dann Tomatensosse (beim Essen). Vor allem: Gartenschläuche isst man nicht.

Wann ist es sinnvoll, aufgrund von Ähnlichkeit verschiedene Sachverhalte mit denselben Begriffen zu beschreiben? Meist geschieht das aus heuristischen oder polemischen Gründen. Deshalb sagt man metaphorisch, jemand sei ein Esel (in einer Polemik) oder das Bohrsche Atommodell stelle die Struktur des Atoms wie das Sonnensystem dar (heuristisch und pädagogisch). Vergleiche haben manchmal Sinn, manchmal nicht. Kürzlich war in einem Konzept für Graduate Schools der ETH ein Abschnitt mit der Überschrift „Marketing“ zu lesen. Ein Ziel (unter anderen) des Marketings der Graduiertenprogramme sei, die „Präsenz der ETH an neuen Märkten zu erhöhen“, hiess es. Damit war nicht gemeint, die ETH werde an der Börse notiert, sondern konkurriere auf dem „Bildungsmarkt“. Bildungsinstitutionen konkurrieren um Studierende und Wissenschaftler, so wie Männer auch um Frauen und Frauen um Männer konkurrieren können. Dann sind sie auf einem „Liebes“- oder „Heiratsmarkt“. Der Schriftsteller Michel Houellebecq hat diese marktartige Strukturierung der Geschlechtsbeziehungen als „Ausweitung der Kampfzone“ bezeichnet. Sie ist inzwischen ein universales Phänomen in der Ökonomisierung moderner Gesellschaften (1) .

Manchmal kann man Verhalten konkurrierender Lebewesen, die unterschiedliche Strategien entwickeln, um Vorteile zu erreichen, entscheidungs- und spieltheoretisch analysieren. Strategiespiele und die Antizipationen von Entscheidungssituationen haben ihre historische Wurzel in Kriegsspielen wie Schach. Sind Maktprozesse Kriegen vergleichbar? Ist der Bildungs- wie der Heiratsmarkt eine „Kampfzone“? Vielleicht muss ich die Entscheidungs- und Spieltheoretiker im DGESS fragen, ob das alles auf andere als assoziative Weise, also anders als Gartenschläuche und Maccaroni, miteinander zusammenhängt.

Wie Maccoroni und Gartenschläuche haben Märkte, Kriege und der Bildungssektor einiges gemeinsam, vieles aber auch nicht. Hat es heuristischen oder polemischen Wert, die Konkurrenz der Hochschulen um Gelder, Studierende und Wissenschaftler als Marktgeschehen zu beschreiben? Wo ist hier die Ware, wer ist Käufer, wer Anbieter? Will die ETH die Strategie verfolgen, Doktorandenprogramme mit dem Zweck durchzuführen, auf einem „Bildungsmarkt“ präsenter zu sein? Sind die Studierenden dabei Mittel des Drittmittelerwebs oder die Drittmittel Mittel des Studierendeneinkaufs? Man will „eigentlich“ in der Öffentlichkeit (die übrigens nicht nur ein Markt ist) sichtbar sein, um Studierende für Doktorandenprogramm zu gewinnen („rekrutieren“ heisst es da im Text – wie bei Unternehmen oder dem Militär). Sind die Hochschulen die Ware, die Studierende kaufen? Oder ist Bildung die Ware, die Studierende von Hochschulen kaufen? Oder sind Hochschullehrer die Ware, die von Universitäten gekauft wird, damit sie Bildung verkaufen können, die sich dann die Studierenden kaufen? Oder sind doch begabte Studierende die Ware, die Hochschulen dynamischen Professorinnen anbieten, damit sie sie kaufen (in ihrem Labor engagieren), wozu die Forscherinnen und Forscher dann wieder die Hochschule kaufen bzw. von ihr gekauft werden müssen? Oder verhökern sich Hochschullehrer selbst, wenn sie ihren „Marktwert“ in einer Bewerbung bestimmen, um zu sehen, wer sie noch zu welchem Preis so berufen, d. h. kaufen könnte? Ich gestehe, ich verstehe nicht, wer hier mit was handelt.


Zum Autor

Wissenschaften ihre Exaltiertheiten vorzuführen, erachtet Michael Hampe als eine seiner Aufgaben. Der ETH-Professor für Philosophie sieht sich dabei auch in der Tradition von Diogenes von Sinope, der Platons Definition des Menschen als zweibeiniges, nacktes Tier mit einem gerupften Hahn ad absurdum führte, oder in der, die von Paul Feyerabend abstammt, der auf die Geschichtlichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis hinwies und Erkenntnistheorie als eine "bisher unerforschte Form des Irrsinns" karikierte.

Die Einbettung von Erkenntnissen in ihre historischen Umstände ist Hampe auch bei seiner Lehrtätigkeit ein Anliegen. Er ist auch der Auffassung, dass der Versuch, wissenschaftlichen Erfolg planen zu wollen, eine Kreativitätskapitulation darstellt. Dass man sich mit solchen "närrischen" Ansichten auch immer wieder Feinde schafft, nimmt Hampe als Folge der "intellektuellen Redlichkeit in Kauf“.


Michael Hampe, ETH-Professor für Philosophie am Zentrum "Geschichte des Wissens" und "ETH Life"-Kolumnist.

Ich sehe ein, dass Studierende guten Unterricht und Forschung und Forscherinnen clevere Studierende wollen, denn dann geht Lehre und die Forschung besser. Was wird gewonnen, beschreibt man das Ganze als Markt? Nichts, ausser, dass sich so Sprechende zu „den Harten“ rechnen und sagen können: „Hand aufs Herz, eigentlich funktioniert doch alles wie ein Markt!“, also in der spätpubertären Suche nach einer unsentimentalen Identität vorankommen. Die Suche von Forscherinnen und Lehrern nach begabten Studierenden und die von Studierenden nach einfallsreichen Forscherinnen und Lehrern ist Teil der überhaupt menschlichen Suche nach Erkenntnis. Man fahndet nach kluger, verlässlicher Unterstützung in einer gemeinsamen Bestrebung. Aber Erkenntnis ist keine Ware. Wenn man sie mit anderen teilt, wird sie nicht weniger. Deshalb ist Streben nach Erkenntnis kein Wettbewerb um ein knappes Gut, sondern um eines der wenigen Güter (Spinoza glaubte das einzige), das mehrere verfolgen können, ohne in Konkurrenz zu geraten, weil es nicht knapp, sondern nur zuerst schwer zu erreichen ist. Hat jemand Erkenntnis, so kann er sie weitergeben, ohne sie zu verlieren. Wenn zwei Labors um eine Entdeckung konkurrieren, kommen die Mitglieder des Labors, das die Entdeckung nicht zuerst gemacht hat, trotzdem in ihren Genuss, nur nicht in den des Ruhmes etwas als erste erkannt zu haben. Ruhm ist nicht wie Erkenntnis teilbar, er scheint weniger zu werden, wird er auf viele gestreut, wie Geld. Aber weil Hochschulen keine Hitparadenteilnehmerinnenausbildungsstätten sind, geht es ihnen nicht um das knappe Gut Ruhm. Oder doch?

Konkurrenz soll nach Erkenntnis Strebende in ihren Anstrengungen anspornen, damit man schneller als andere zur Erkenntnis kommt. Denn dann gibt es ausser Erkenntnis auch Aufmerksamkeit, was vielleicht (bei privaten Hochschulen und Patenten) zu Geld führt. Manchmal funktioniert dieser Ansporn und beschleunigt Erkenntnisgewinne. Problematisch wird er, sobald sich alle auf einem Markt glauben, Erkenntnis für ein knappes Gut halten und dabei vergessen, dass wer Erkenntnis vermittelt, sie nicht aus der Hand gibt, wie der, der Rohöl verkauft. Lehren ist nicht Verkaufen, sondern Mit-teilen. Sollte diese Disanalogie, dass Erkenntnis auf viele Köpfe verteilbar ist, ohne weniger zu werden, nicht ausreichen, um Bildungssysteme nicht als einen Markt zu beschreiben, ebenso wie die Tatsache, dass Gartenschläuche nicht gegessen werden, davon abhält, sie als Nudeln zu bezeichnen?

In dem Text über Graduate Schools heisst es, Graduierte seien für eine „ethische Grundhaltung in wissenschaftlichen Zusammenhängen“ zu sensibilisieren, es solle „Zugehörigkeitsgefühl zu einer wissenschaftlichen Gemeinschaft“ entwickelt werden. Zur wissenschaftsethischen Grundhaltung gehört Achtung vor Werten wie Wahrhaftigkeit, Genauigkeit und Relevanz. Zugehörigkeit zur wissenschaftlichen Gemeinschaft umfasst das Gefühl gemeinsam mit anderen auf immer bessere Weise Erkenntnisziele zu verfolgen, „auf den Schultern von Riesen zu stehen“, wie Newton das genannt hat. Dieses Gefühl führt zur Zurückhaltung in der Darstellung eigener Leistung. Sind Markteilnehmer mit ihren Strategien der Wahrhaftigkeit verpflichtet? Haben Konkurrenten auf dem Markt das Gefühl zu einer Gemeinschaft der immer besser Verkaufenden zu gehören, das sie zurückhaltend in der Darstellung eigener Errungenschaften macht? Nein.

Die Rede vom Bildungssystem als Markt ist falsch. Sie erscheint nicht so absurd, wie die von Gartenschläuchen als Nudeln, ist jedoch viel gefährlicher. Denn anders als bei Schläuchen und Nudeln beschreiben wir uns hier selbst. Deshalb sollte man Menschen, die für Werte wie Genauigkeit und Wahrhaftigkeit sensibilisiert werden sollen, nicht gleich im Programmheft mit einer falschen Sprache konfrontieren, die geeignet ist, die angestrebten ethische Entwicklungen zu verhindern. Konkurrenten auf dem Markt neigen zu Übertreibung, damit sie wahrgenommen werden und gerade nicht zu Genauigkeit. Mit dem Euphemismus, Wissenschaftler müssten eben lernen, sich zu „profilieren“, wird diese Unterminierung des wissenschaftlichen Berufsethos nicht sehr erfolgreich kaschiert. Deshalb fördert die Marktmetapher im Bildungsbereich un-ethisches, letztlich in die Täuschung führendes Verhalten. Manchmal werden Menschen, wenn sie es nur lange genug tun, so, wie sie sich beschreiben: zu Marktschreiern und Kämpfern statt zu gemeinsam Erkennenden in einer Schule.

Footnotes:
(1 Michel Houellebecq, Extension du domaine de la lutte, Paris 1994 (dt. Berlin 1999).


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