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ETH - Eidgenoessische Technische Hochschule Zuerich - Swiss Federal Institute of Technology Zurich
Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 21.11.2001 06:00

Nachhaltigkeit: Und die ETH?

Von Dieter Imboden

"Sie [die Eidgenossenschaft] ... setzt sich ein für die dauerhafte Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen...", sagt die neue Bundesverfassung über die Staatsziele in ihrem Artikel 2. Im Leitbild der ETH(1), von der Schulleitung im Februar 1996 unter dem damaligen Präsidenten Jakob Nüesch verabschiedet, lesen wir unter dem Titel ‚Verpflichtung’: " ... den Weg für eine sinngebende und nachhaltige Entwicklung der heutigen und künftigen Zivilisationen mitzugestalten." Anfangs 1998 wurde mit Pauken und Trompeten die ‚Strategie Nachhaltigkeit’ (novatlantis) gestartet. Im Jahresbericht 1998 des ETH Rates wird sie gar als siebte virtuelle Institution des ETH-Bereiches bezeichnet. Die ETH Zürich wollte von Anfang an zentral dabei sein und gewährte dem Projektteam in der Beletage ihres Hauptgebäudes Gastrecht.

Hand aufs Herz, wer kennt heute das ETH-Leitbild noch, wer erinnert sich an die ‚2000 Watt-Gesellschaft’? Letztere ist schon vor zwei Jahren unters Dach in den J-Stock gezügelt und soll in Kürze das Hauptgebäude ganz verlassen – wohl am liebsten durch die Hintertür. Am Haupteingang unserer Schule wird unterdessen andern die Reverenz erwiesen. Sie tragen das Gütesiegel SEP – Strategische Erfolgspositionen (SEP). Vielleicht haben Sie sich auch schon gefragt, wie sich eine solche Bezeichnung in eine Hochschule verirren konnte. An das Strategische haben wir uns unterdessen gewohnt – siehe ‚Strategie Nachhaltigkeit’ – und längst vergessen, dass es sich hier um einen Begriff aus dem Instrumentarium des Kriegers handelt. Aber was ist eine Erfolgsposition? Sind damit Menschen, Apparate oder Studienpläne gemeint?

Jemand hat mir erklärt, die SEPs seien eine Erfindung des ETH-Rates (da gab’s doch schon einmal die Portfolio Analyse; damals waren offenbar die Banken das Vorbild), ausgedacht als Köder, mit dem sich die Institutionen des ETH-Bereiches die im Zusammenhang mit der Autonomie verloren gegangenen Millionen quasi zurückangeln konnten.


Zur Person

In die Rolle des Pioniers zu schlüpfen, ist Dieter Imboden, Professor für Umweltphysik an der ETH, gewohnt. Das war schon Anfang der siebziger Jahre so, als er als erster Physiker an die EAWAG (Eidg. Anstalt für Wasserversorung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz) berufen wurde. 1987 dann war er massgeblich an der Gründung des ETH-Studiengangs Umweltnaturwissenschaften beteiligt. Bis vor zwei Jahren leitete der 57-jährige Wissenschaftler das Projekt 'novatlantis', Nachhaltigkeit im ETH-Bereich, und auch das Pilotprojekt ‘Die 2000 Watt-Gesellschaft’ geht auf seine Initiative zurück. Im vergangenen Semester war Dieter Imboden Gast am Collegium Helveticum. Dort machte er sich Gedanken über die heutige Rolle der Wissenschaftler. Sein Fazit: Will die Forschung im gesellschaftlichen Kontext Sinn machen, müsse neben ihr Wissenwollen ganz entschieden ihre Verantwortung treten.




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dieter imboden
ETH-Umweltphysiker Professor Dieter Imboden.

Wenn dem tatsächlich so ist, wäre eine Erfolgsposition also ein Gebilde, das beim ETH-Rat Geld locker zu machen in der Lage ist. Und das wiederum würde die Ratio der Schulleitung erklären, sich als umsichtige Investoren in einer derart kritischen Situation auf die sicheren Positionen, also auf die Blue Chips zu besinnen.

Nichts gegen Informations-, Unternehmens-, Bio- und rechnergestützte Wissenschaften. Nur frage ich mich, wieso man es nicht auch mit der Nachhaltigkeit versucht hat? Man hätte die Bundesverfassung und das ETH-Leitbild im Rücken gehabt und den ETH-Rat gar auf seine eigene Strategie verweisen können. Und wichtiger noch, man hätte sich auf die Kunden und Kundinnen unserer Institution berufen können, auf die Studierenden also, welche – Erfolgspositionen hin oder her – in immer noch wachsender Zahl den Studiengang der Umweltnatur-wissenschaften wählen und diesen in aller Stille zu einem der erfolgreichsten Fächer an der ETH gemacht haben.

Aus der Nähe sieht man die Dinge oft sehr anders als aus der Ferne. Während die 2000-Watt-Gesellschaft hier bereits auf dem Weg in die Archive zu sein scheint, lebt sie ausserhalb der ETH weiter. Ich bin immer wieder verblüfft, welche Faszination dieses zugegeben plakative, aber auf das Wesentliche zielende Leitbild eines zukünftigen nachhaltigen Energiesystems auf Fachleute im In- und Ausland ausübt. Unterdessen erscheint die ETH-Vision in vielen Dokumenten und Studien, so beispielsweise in der Einführung zum neuen Programm des Bundesamtes für Energie ‚Energie Schweiz’. Wenn wir mit Strategien das langfristige Denken meinen, dann gibt es kaum etwas, das diesem Gedanken besser gerecht wird als die Nachhaltigkeit. Nur eben, man muss es merken, dass man noch andere Blue Chips im Portfolio hat als diejenigen, die von allen Anlageberatern gerade propagiert werden. Denn es geht um mehr als eine Erfolgsposition einer Institution. Diese allein würde den Weg in die Bundesverfassung nicht schaffen.

Muss sich, um ernst genommen zu werden, die Nachhaltigkeit den Namen SEP umhängen?


Fussnoten:
(1) Siehe unter: www.ethz.ch/overview



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