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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 11.05.2005 06:00

Zurück im Elfenbeinturm

Von Helmut Wessert

Wir waren draussen, bei den Leuten. Wir zeigten auf vielfältige Weise, wie wir forschen und mit welchen Fragen wir uns auseinandersetzen. Das Interesse der Bevölkerung an unserer Arbeit war überwältigend gross. Wir wurden mit Lob überhäuft, was uns im wissenschaftlichen Alltag ja nicht so häufig passiert. Die BesucherInnen und Presse waren uns wohlgesinnt. Der Platzspitz wurde für uns in den letzten zwei Wochen zum Ort der Begegnungen, zur „City of Science“. Die „Welten des Wissens“ haben uns gezeigt, dass die Leute den Kontakt mit den Wissenschaftlern suchen. Zukünftige Begegnungen mit der Bevölkerung werden ja nicht immer Platzspitz-Dimensionen erreichen müssen, mit Zuschauerzahlen, von denen unsere berühmten Zürcher Fussballclubs nur träumen können.

Nun sind wir wieder drinnen, im Elfenbein-Turm, dem Turm, der uns die für gute Forschung nötige Ruhe geben soll, der uns jedoch nicht gleich zu weltfremden Forschern machen muss. Die Platzspitz-Wochen haben gezeigt, dass die Arbeit im Turm nicht vom Alltag der pulsierenden Stadt, von den politischen und gesellschaftlichen Problemen der weiten Welt entkoppelt sein muss. Wir brauchen jedoch den Elfenbeinturm dringend als Ort der konzentrierten Arbeit, der intensiven Auseinandersetzung mit unseren Forschungsfragen.


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Helmut Weissert geht es um die ganz grossen Zusammenhänge, sowohl auf der Zeit- wie der Raumachse. So ist eines der zentralen Themen, die ihn als Geologen beschäftigen, die Geschichte der Ozeane. „Wir sind schon etwas grössenwahnsinnig“, bekennt der aus Winterthur stammende Leiter der ETH-Forschungsgruppe „sediments, past oceans, and climate“. Was brauchts, um ein erfolgreicher Geologe zu werden? „Detektivisches Gespür. Ich empfehle Studierenden, immer mal wieder einen Krimi zu lesen“, so Weisserts etwas überraschender Tipp. Vergangene Ozeane: Schnell entsteht da heute der „Verdacht“, des l’art pour l’art. – Im Gegenteil, meint Weissert. Oft seien aktuelle Fragen die Auslöser für sein Forschen. Weisserts Team versucht zum Beispiel herauszufinden, wie die aktuelle Klimaveränderung das Wachstum der Riffe nachhaltig stören könnte – anhand der Spurensuche bei analogen Ereignissen in der Erdgeschichte. Bei dem, was uns und der Nachwelt blühen könnte, weicht die kriminologische Freude schnell der Besorgnis: „Die Erde ist durch zuviel CO2 oder Methan nicht kaputt zu kriegen, unsere Kultur langfristig aber sehr wohl“, so Weissert. Den Blick für die langfristigen Nebenwirkungen menschlichen Handelns zu schärfen, ist eines seiner Anliegen. Es erstaunt nicht, dass sein Denken in grossen Systemen keine verabsolutierte Naturwissenschaft zulässt. So sieht der die Kunst in der Rolle eines für die Wissenschaft unverzichtbaren Souffleurs.




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Helmut Weissert, Professor für Geologie an der ETH.

Leider hat das Innere des Turms über die Jahre viel von seinem elfenbeinernen Licht verloren. Die einst hellen Wände sind voll geklebt mit Formularen zur Quantifizierung des Alltags, mit Reglementen und Strategie-Berichten zur Zukunft und zur Vergangenheit der Forschung. Unzählige Termin-Uhren ticken an den Turmmauern.

Ich erachte eine Auffrischung des Turminnern als nötig. Die Wissenschafts-Räume sollen von der wachsenden Formular- und Terminflut geschützt werden. Vielleicht müsste man ein Bürokratie-Rating einführen. Dann wäre vermutlich das neue Jahresbericht-Formular zum schlechtesten Formular des Jahres erkoren worden. Bei den Terminuhren wäre der Eingabetermin für die ETH+ Projekte 2005, der 3. Januar (!) als der Un-Termin des Jahres ausgewählt worden.

Weit über den universitären Elfenbeintürmen herrschen Wissenschaftsregierungen. Sie treffen einsame Top-down Entscheidungen zu Alltagsthemen wie etwa dem Semesterbeginn. Sie überlassen es den Elfenbeinturm-Bewohnern, die dadurch neu entstanden Probleme zu lösen, über die sie schon gar nicht nachdenken mussten, als sie ihren Entscheid fällten. Übrigens, es wird noch einige Zeit dauern, bis die Semestertermine europaweit harmonisiert sind. Beim ETH-Partner Trondheim wird auch in Zukunft das Semester im August beginnen und am Imperial College und in Perugia werden sie weiterhin das Jahr in Trimester aufteilen und Gent bleibt vermutlich beim Oktober als Startdatum.

Hier noch ein kleiner Hinweis für uns alle, welche die zunehmende Bürokratisierung beklagen. Das Klagelied ist alt, älter als wir vermuten. Der ETH-Geologieprofessor Albert Heim liess sich 1911 frühzeitig pensionieren, weil er endlich in Ruhe an seinem grossen Werk „Geologie der Schweiz“ arbeiten wollte. Er klagt in seinem Vorwort: “Durch mein ganzes Leben begleitete mich Überbürdung mit Pflichten und Anforderungen. Viele Mängel in allem, was ich getan habe, wurden durch die stete Hast verschuldet, in der die Arbeit gemacht werden musste (...) Das Amt des Hochschullehrers und des Museumsdirektors erforderte zu viel Arbeit.“


Literaturhinweise:
A. Heim, 1919, Geologie der Schweiz, Band I.



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