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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Vom Erdöl unabhängig |
Kurt R. Spillmann Bill Clintons Auftritt am WEF in Davos wurde bejubelt und das Publikum dankte ihm mit einer standing ovation. Dabei sprach er der versammelten Weltwirtschaftselite keineswegs nach dem Munde, sondern sprach über schwierige und ungeliebte Herausforderungen unserer Zeit, nämlich über den Klimawandel, über die Armut, über Aids und den Kampf gegen den Fundamentalismus. Der Klimawandel, sagte Clinton, sei die grösste Bedrohung der menschlichen Zivilisation und es sei höchste Zeit zum Handeln. Nur globale Anstrengungen könnten eine Zukunft mit sauberer Energie ermöglichen. Ist die Botschaft verstanden worden? Hat das Thema Klimawandel damit endlich die Ebene der Macher erreicht? Das WEF jedenfalls schloss mit dem Aufruf, über die Worte hinaus endlich zu Taten vorzustossen. Eine gleichzeitig in Genf stattfindende wissenschaftliche Klimakonferenz untermauerte die Dringlichkeit dieser Anliegen: Die stetige Erwärmung seit 1950 sei nicht anders als durch die Emissionen fossiler Brennstoffe zu erklären, durch die der CO2-Ausstoss um 33 Prozent zugenommen habe, erklärte Michel Jarraud, Generaldirektor der Weltorganisation für Meteorologie. Sie sei auf dem höchsten Stand seit 420’000 Jahren, mit negativen Folgen wie abwechselnden Dürreperioden und Überschwemmungen und regional immer intensiverem Wassermangel (zum Beispiel in Spanien). Um die weitere Erwärmung zu bremsen, sei eine Reduktion des Energieverbauchs um ein Drittel notwendig, forderte einer der Experten, bzw. der Einsatz anderer Technologien zur Produktion von erneuerbaren Energien, die heute erst 1% der Energieproduktion ausmachten. Allmählich verbreitet sich die Kenntnis dieser Fakten auch bis zu den Politikern und Wirtschaftsführern. – Auch bis an die Spitze der grössten Energiekonsumenten (und CO2-Produzenten): der USA? US-Vizepräsident Cheney hat die „grüne Gesinnung“ als eine „personal virtue“, als eine private Angelegenheit abgetan. Der amerikanische Kolumnist Thomas L. Friedman hat dem heftig widersprochen: grün zu denken, meinte er, sei ein nationaler Sicherheitsimperativ der USA (New York Times, 6. Januar 2006). Wer – wie die USA – die Demokratie verbreiten wolle, müsse aufhören, diktatorische Regimes, die zufällig auf den weltgrössten Energiereserven sässen, zu finanzieren und damit politisch zu unterstützen, und stattdessen die Produktion energieeffizienter Autos fördern, wenn nötig durch eine über die nächsten Jahre stark ansteigende Steuer auf Treibstoff. Überhaupt müsse Amerika versuchen, die bedeutendste Wachstumsindustrie des 21. Jahrhunderts anzuführen, nämlich die für „grüne“ Autos, Häuser, Büros, Haushaltgeräte, und alle Produktionseinrichtungen für erneuerbare Energien.
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Realistisch? Heute noch zielen wissenschaftliche Erkenntnisse und daraus abgeleitete Forderungen nach einem vernünftig „grünen“ Verhalten in eine völlig andere Richtung als das reale Verhalten der meisten Staaten und der meisten grossen Unternehmen. Aber Energiepolitik wird über kurz oder lang ins Zentrum des politischen Handelns rücken. Und der Grad der Unabhängigkeit vom Erdöl wird dann für den einzelnen Staat bestimmend für seine Freiheit, und in globaler Perspektive für die Menschheit ausschlaggebend für ihr Überleben.
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