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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Bus Nr. 1, Zentrum Töss ab 06:02 |
Von Matthias Erzinger Bus Nr. 1, Zentrum Töss ab 06:02. Jetzt, wo es wieder grau, feucht und kalt ist, ist der Bus trotz etwas umständlicherem Arbeitsweg wieder begehrter als das Velo. Sie sind da, wie wohl jeden Morgen: Der Mann mit der abgewetzten Lederjacke, vierzig- vielleicht fünfundvierzigjährig. Graues Gesicht, müde. Leicht eingezogene Schulter, dünne, billige braune Schuhe zum dreinschlüpfen, eine dünne Mappe unter dem Arm. Es gibt ihn noch, den «Arbeiter». Daneben ein leicht jüngerer Mann, Jeans, grellorange Signalweste. «Was hast Du heute?» fragt der jüngere den Älteren. «Lang», sagt der, darauf Schweigen. «Lang», so habe ich herausgefunden, heisst zehn Stunden Rangier- und Visiteurdienst bei der Eisenbahn. Morgen-Depresso-Stimmung Dahinter, ebenfalls leicht verhärmt – vorhin an der Haltstelle hat sie noch hastig an einer Zigarette gezogen – eine unscheinbare Frau, Alter irgendwie zwischen dreissig und fünfzig. Wobei zu sagen ist, dass die Unklarheit nicht daher rührt, dass sie wie die Schönen und Reichen immer ungefähr wie dreissig aussieht. Nein, sie scheint gegen die fünfzig zu gehen – aber möglicherweise ist sie einfach nur schon so stark vom Leben und der Putzerei gezeichnet. Auch zwei jüngere Frauen sind im Bus, die vielleicht am Wochenende, dann als fröhliche junge Frauen, im Ausgang zu treffen sind. Jetzt scheinen auch sie nur müde, abgearbeitet, leicht traurig.
Morgen-Depresso-Stimmung im Bus. Es ist ruhig. Es ist (noch) nicht die Zeit der gestressten Pendler und der raschelnden 20 Minuten, Tagis oder selten NZZ. Trotz der Stimmung im Bus strahlen alle diese Menschen eine Würde aus. Bei ihnen geht es nicht darum, den Gewinn zu optimieren. Sie haben keine Sorge, wie sie ihr Geld am besten anlegen und wo mehr zu holen ist. Sie wollen nur einfach leben und kommen irgendwie durch. Und – sie sind nicht nur im Bus Nr. 1, Zentrum Töss ab 06:02 anzutreffen. Sie sind überall, aber werden kaum beachtet. Die Welt «voran» bringen Kürzlich habe ich einen jungen Forscher gefragt, wofür er forsche. Die Antwort liess, nicht völlig unerwartet, zuerst auf sich warten. Schliesslich meinte er etwas von «Letztendlich für die Menschheit ein besseres Leben zu ermöglichen». Ein Professor gibt mir auf dieselbe Frage zur Antwort, dass es darum gehe, die Welt «voran» zu bringen. Für eine Forscherin, ist die die Tätigkeit im Labor mehr oder weniger ein Job, um Geld zu verdienen. Der «Think Tank» Avenir Suisse fordert «die Forschung» auf, mehr für die Wirtschaft zu forschen. Die ETH Zürich will gemäss ihrem Leitbild ihre Aktivitäten «konsequent auf die Bedürfnisse von Mensch, Natur und Gesellschaft ausrichten.» Vordingliches Ziel sei die Lösung der dringendsten Probleme der Menschheit – Armut, Hunger, Krankheit und die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen durch die eigene Zivilisation».
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Von der ETH profitieren Soweit so schön. Am Ende der ETH Leitlinien schreibt die Schulleitung: «An den hier formulierten Vorstellungen will die ETH Zürich ihre Tätigkeit orientieren. An ihnen will sie gemessen werden.» Wie aber soll dass gemessen werden? Wie kann der junge Forscher kontrollieren, ob seine Forschungstätigkeit mit seinem Ziel übereinstimmt? Was die ETH Zürich und die Ziele ihrer Forschenden mit dem Bus Nr. 1, Zentrum Töss ab 06:02, zu tun haben? Vielleicht, unter Umständen, eventuell und allenfalls kann der Gedanke an diesen Bus und seine Insassen, Teil einer Antwort auf die oben gestellte Sinnfrage sein. Vielleicht hilft es, sich ab und zu darauf aufmerksam zu machen, dass es diesen Bus und seine Insassen gibt, und dass sie es sind, die letztendlich den grössten Teil des Budgets der ETH Zürich tragen. Schöne Worte allein reichen nicht. Die Menschen im Bus Nr. 1 müssen von der ETH Zürich profitieren können. Irgendwann, irgendwo, irgendwie... Oder so ähnlich. Auskolumniert Damit hat’s sich für mich auskolumniert. Dank an das Team von Ethlife für die Gelegenheit, meine weltbewegenden Gedanken weltweit verbreiten zu können. Dank an Marisa Grassi für die Illus. Dank für die netten und weniger netten Feedbacks. Vor allem: viel Spass mit den Nachfolgenden. Und Tschüss.
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