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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen
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Publiziert: 04.07.2007 06:00

Lies mal, wer da spricht - jöö, ein Forschungsplan

Anke Neumann und Nadine Schüssler

Hallo liebe Leserinnen und Leser. Anke und Nadine haben mich heute eingeladen, damit ich mich mal kurz vorstelle. Sie haben nämlich das Gefühl, dass nicht alle an der ETH mich gut genug kennen – auch diejenigen nicht, die das eigentlich sollten. Und das, obwohl die meisten schon einmal etwas von mir gehört oder gelesen haben. Mein Name ist Forschungsplan, Kuno Forschungsplan und ich bin der beste Freund der Doktoranden und ihrer Betreuer.

Mein eigentliches Leben beginnt etwa ein halbes Jahr nachdem ein Doktorand an der ETH angefangen hat. Geschaffen und gestaltet werde ich von eben jenem Doktoranden gemeinsam mit seinem Betreuer ganz neu und individuell. Im Idealfall bin ich ein wirklich attraktiver Typ. Ich habe klare Ziele vor Augen und weiss, wie ich diese erreichen will. Ich bin logisch und habe Köpfchen. Darüber hinaus bin ich überzeugend, von meinem Schöpfer und seinem Betreuer gleichermassen getragen, sehe gut aus und bin für die beiden ein Fels in der Brandung. Dazu benötige ich klare Fragestellungen, eine detaillierte Beschreibung des Vorgehens und der Methodik, einen realistischen Zeitplan und genau definierte Meilensteine. Das Wichtigste ist jedoch, dass mein Schöpfer und sein Betreuer gemeinsam an meiner Entstehung mitwirken und danach voll hinter mir stehen. Und das Allertollste ist es, von meinem Doktoranden stolz vor einem ganzen Komitee von Fachleuten präsentiert zu werden und wenn diese mich dann gut finden und helfen, mich noch weiter zu verbessern.

Leider läuft meine Entstehung häufig nicht so ideal ab. Zunächst einmal werde ich oft erst viel später erschaffen, als das der Fall sein sollte. Mein Doktorand und sein Betreuer sind oft schwer beschäftigt. Und wenn der Betreuer meinem Doktoranden nicht nahe bringt, wie wichtig und dringend ich für die beiden bin, dann passiert lange Zeit nichts. Strengen sich die beiden später an, dann kann aus mir immer noch der tolle Typ werden, den ich oben vorgestellt habe. Tun sie es nicht und empfindet mich der Betreuer nur als unnötige Pflicht, bin ich oft nur ein blasses Abbild meiner Selbst. Ich bin dann wirklich unattraktiv, habe keine Substanz und keine Bedeutung für den Doktoranden. So verstaube ich den Rest meines Lebens in irgendeiner Schublade. Anke und Nadine haben festgestellt, dass es für mein Schicksal eine entscheidende Rolle spielt, was für eine „Kultur“ in meinem Departement herrscht. Werde ich ernst genommen und gibt es jemanden, der meinem Doktoranden und vor allem seinem Betreuer auf die Finger klopft, werde ich zumeist rechtzeitig fertig und ein ganzer Kerl. Werde ich aber dort ignoriert, dann habe ich leider verloren und mit mir oft auch mein Doktorand.

Denn wie schon gesagt, ich bin der beste Freund eines Doktoranden und seines Betreuers. Mit mir sind die Ziele festgeschrieben, die der Doktorand erreichen soll, und vor allem der Weg dorthin. Meine wichtigsten Bestandteile sind dabei die Meilensteine. Sie bestimmen, was der Doktorand bis zu welchem Zeitpunkt erreicht haben soll. Und immer, wenn ein solcher Meilenstein entweder zeitlich oder inhaltlich erreicht wurde, sollten sich mein Doktorand und sein Betreuer treffen und austauschen. Dann kann der Doktorand von seinen Erfahrungen erzählen: Was hat gut geklappt? Was schlecht? Was ging schneller als erwartet? Was hat länger gedauert? Was hat den Doktoranden eventuell vom Arbeiten an seiner Dissertation abgehalten? Soll das so weitergehen? Und der Betreuer sollte Rückmeldung geben: Was gefällt ihm gut? Wo sieht er Nachhol- oder Verbesserungsbedarf? Wie geht es weiter? Ich bilde dabei die beste Basis für solche Gespräche.


Zu den Autorinnen

Anke Neumann und Nadine Schüssler teilen sich das Präsidium der Akademischen Vereinigung des Mittebaus der ETH Zürich (AVETH). Neumann, die ihr Doktorat in den Umweltwissenschaften macht, und Schüssler, die dasselbe Ziel am Institut für Verkehrsplanung und Transportsysteme erreichen will, wollen als Kolumnistinnen Themen des Mittelbaus aus ihrer ganz persönlichen Perspektive zur Sprache bringen.

Virulent sei zum Beispiel das Thema Familien an der ETH: Was heisst es, hier als Mittelbauangehöriger eine Familie zu haben oder zu gründen? Grundsätzlich müsste man meinen, so Neumann, dass Akademiker ohne feste Arbeitszeiten genügend flexibel sind, sodass auch eine Partnerschaft mit Kindern im Leben Platz hätte. Doch in der Praxis sehe das häufig anders aus. Schüssler weist darauf hin, dass bei der ETH, die sonst hervorragende Infrastrukturen biete, das Betreuungsangebot zu klein sei. Die beiden Doktorandinnen selbst tragen sich momentan nicht mit dem Gedanken einer Familiengründung, sondern sind teilweise fast schon froh, wenn sie dazu kommen, Sport zu treiben. Solche Tätigkeiten sind für die AVETH-Präsidentinnen ebenso wichtig wie die soziale Integration. Für diese sei es auch von Vorteil, wenn man sich deutsch und deutlich ausdrücken könne. Dies ausländischen Mitarbeitern zu ermöglichen, ist ein weiteres zentrales Anliegen der beiden und der AVETH.




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Mittelbauerinnen, AVETH-Co-Präsidentinnen und für ein halbes Jahr auch "ETH Life"-Kolumnistinnen: Anke Neumann und Nadine Schüssler. gross

Im Idealfall entwickle ich mich ausserdem dabei laufend weiter. Vor allem für Doktoranden in der Grundlagenforschung ist am Anfang nur ungefähr klar, wohin es gehen soll und wie das Ziel zu erreichen ist. Vieles ist nicht vorhersehbar. Das führen manche ?etreuer als Ausrede an, um mich gar nicht erst zu erschaffen. Dabei bin ich wie jede richtige Person auch: Ich werde älter und entwickle mich dabei ständig weiter. Und gemeinsam mit dem Fortgang der Dissertation meines Doktoranden werde ich langsam erwachsen. Aber dazu muss ich immer wieder überprüft und angepasst werden. Das empfinden viele - auch manche Doktoranden - als lästig. Doch auf welcher Basis wollen sie ihr nächstes Zwischengespräch führen, wenn nirgendwo festgehalten wurde, was die nächsten Ziele sind?

Aber meine ganze Kraft entfalte ich meistens erst, wenn es ein Problem zwischen meinem Doktoranden und seinem Betreuer gibt. Sollten die Beiden sich um etwas streiten, kann ich, wenn ich als echter Kerl mit Substanz erschaffen und ständig aktuell gehalten wurde, als gemeinsame Basis für ein sachliches Gespräch dienen. Sie können mich als Grundlage nehmen, um wieder ruhig miteinander zu reden und sich zu überlegen, wie es weitergehen soll. So kann eine Eskalation verhindert werden. Ausserdem kann ich einem herangezogenen Schlichter, wofür es in Zukunft – das haben mir Anke und Nadine verraten – eine ganze Kommission geben soll, Informationen darüber geben, was die beiden Streithähne einmal vereinbart hatten. Und was noch zu tun ist, um die Dissertation zu beenden. Aber leider haben Anke und Nadine mir auch erzählt, dass es mich in den Fällen, in denen es eskaliert, nur selten gegeben hat. Und ehrlich gesagt, das wundert mich nur wenig. Denn erstens gerät man schneller in Streit, wenn man die gemeinsamen Ziele nicht einmal definiert hat. Und zweitens zeugt mein Nicht-Vorhandensein von einer entsprechenden Einstellung des Betreuers meines Doktorandens. Sieht er ihn vielleicht doch nur als billige Arbeitskraft und nicht als Nachwuchswissenschaftler, der ausgebildet und gefördert werden muss?

Als wir über meine Vorstellung hier geredet haben, haben Anke und Nadine mir übrigens noch was ganz Tolles erzählt. Sie sagen, dass im Moment die so genannte ETH Graduate School diskutiert wird. Diese hat unter anderem zum Ziel, die Betreuung und die Ausbildung der Doktoranden zu verbessern. In jedem Departement sollen dann so genannte Doctoral Programmes eingeführt werden. Anke und Nadine haben mir auch verraten, wie sie sich so ein Programm vorstellen: Wenn es nach ihnen geht, spiele ich darin eine ganz wichtige Rolle. Es wird in jedem Departement jemanden geben, der dem Doktoranden und seinem Betreuer auf die Finger klopft, wenn ich nicht rechtzeitig oder nicht angemessen erarbeitet werde. Jeder Doktorand wird mich – hoffentlich stolz – vor einer ganzen Gruppe von Betreuern präsentieren müssen. Und auch meine regelmässige Überarbeitung und das Feedback von Seiten des Betreuers wird überall ernst genommen. Ausserdem wird das Lehrangebot mit Sachen, die die Doktoranden wirklich interessieren und ihnen weiterhelfen, ausgebaut werden. Natürlich werden die Doktoranden daraus dann ganz nach ihren Interessen auswählen können. Leider, so Anke und Nadine, haben noch nicht alle Leute an der ETH die gleichen Vorstellungen wie sie. Aber deswegen führen sie gerade auch viele Diskussionen und versuchen, die anderen von ihren Ideen zu überzeugen. Denn zumindest wir drei sind uns da einig: Es würde das Doktorat an der ETH viel besser machen.




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