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Rubrik: Mittwochs-Kolumnen |
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Die Ausstellung als architektonisches Experiment Forschung im Museum |
Von Philip Ursprung Wo findet architektonische Forschung statt? Am Zeichentisch? In der Modellwerkstatt? Am Computer? In der Bibliothek? Im Seminarraum? Sie findet an allen diesen Orten statt, aber auch, was weniger bekannt ist, im Museum. Vor zwei Wochen wurde in Montréal die Ausstellung "Herzog & de Meuron: Archéologie de l'imaginaire" eröffnet, bei der ich auf Einladung des Canadian Centre for Architecture (CCA) als Kurator wirkte. Sie ist zusammen mit dem Katalog "Herzog & de Meuron: Naturgeschichte" das Resultat einer dreijährigen Forschungsarbeit, die von Herzog & de Meuron (Jacques Herzog und Pierre de Meuron unterrichten übrigens am Studio Basel der ETHZ, die beiden anderen Partner des 1978 gegründeten Büros, Christine Binswanger und Harry Gugger lehrten letztes Jahr an der EPFL) und mir zusammen mit dem CCA durchgeführt wurde. Enttäuscht von Architekturausstellungen, in denen es von Plänen, dokumentarischen Fotos und massstäblich verkleinerten Modellen fertiger Bauten wimmelt - "Bonsai-Architektur", wie Jacques Herzog sie nennt - , konzentrierten wir uns auf die konzeptuellen Modelle des Büros. Wie taten so, als ob wir Archäologen aus der Zukunft wären, die im Archiv von Herzog & de Meuron Tausende dieser Modelle entdeckten, ohne genau zu wissen, was sie bedeuten. Wie Kuratoren eines Naturgeschichtsmuseums einst mit Fragmenten eines Dinosauriers verfuhren, etikettierten wir sie, ordneten sie nach formalen Kriterien und konfrontierten sie mit Kunstwerken, sowie ethnographischen, paläontologischen und kunsthandwerklichen Objekten aus diversen Sammlungen. Ziel war einerseits, den Prozess der architektonischen Forschung anschaulich zu machen, der unter anderm im Entwickeln von Ideen in Gestalt kleiner Modelle besteht. Andererseits wollten wir zeigen, dass die Interpretation des Materials durch den Kurator und Historiker nur eine unter vielen möglichen Ordnungen ist. Die Besucher sollen in der Ausstellung ihre eigenen Schlüsse ziehen können.
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Herzog & de Meuron benutzen seit langem Ausstellungen als Testgelände. Die Retrospektive in Montréal dient also nicht nur dazu, die bisherige Forschung zu präsentieren, sondern sie ist ihrerseits ein Experiment. Es zielt darauf ab, eine Mischung aus Vitrine und Sockel zu erfinden, die in Zukunft sowohl im Museumsbau wie auch kommerziell genutzt werden könnte. Das Ergebnis ist eine Art Laufsteg aus Holzmodulen, der sich linear durch die Säle des Museums zieht und von einer flexiblen Plexihaube überdeckt ist. Im Prinzip ist diese Haube fragiler als die Objekte, die sie schützen soll. Aber durch ihre schiere Verwundbarkeit - sie wackelt und zittert bei der geringsten Berührung - hält sie die Besucher paradoxerweise auf Distanz. Zwei Experimente wurden verbunden. Erstens, gibt es eine Präsentationsform, welche die Objekte sowohl auf Distanz rückt als auch in eine dynamische Beziehung zum Betrachter führt? Zweitens, ist es möglich, die scheinbar wertlosen Relikte des Entwurfsprozesses mit Objekten aus Museumssammlungen, ja künstlerischen Meisterwerken im Wert von mehreren Millionen Dollar unmittelbar zu konfrontieren? Diese Experimente konnten ausschliesslich im Medium der Ausstellung erfolgen. Aus unserer Sicht sind sie geglückt. Verifiziert werden können sie bis April 2003 in Montréal, danach im Carnegie Museum, Pittsburgh, und, in einem Jahr, im neuen Schaulager in Basel. |
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Literaturhinweise:
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